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Schüchternes Genie: Prince. Foto: Warner
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Der kleine Prince im Paisley Park

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Zum Tod des Popmusikers Prince Rogers Nelson
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In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bildeten sie ein unschlagbares Triumvirat des Pop: Michael Jackson, Madonna & Prince. Was sie miteinander verband: der Geburtsjahrgang 1958 und eine ähnliche Musiksozialisation. Die Rollenverteilung war klar: Madonna war das sportive „Material Girl“, Michael Jackson gab den „King of Pop“ und Prince spielte das schüchterne „Genie“ im Rüschenhemd. Alle drei Performer waren Kinder des MTV-Zeitalters und prägten weltweit den Soundtrack einiger Generationen und das „Gesicht“ der Popkultur der letzten Jahrzehnte.

Während Michael Jackson damals von seinem väterlichen Produzenten Quincy Jones kongenial unterstützt wurde und Madonna immer wieder die angesagtesten Produzenten engagiert hat, war Prince eine „One Man Band “. Angeblich soll er 27 Instrumente beherrscht haben. „Produced, arranged, composed and performed by Prince“ war stolz auf den Plattencovern verzeichnet. 39 Studioalben hat Prince seit den späten 70er-Jahren eingespielt, darunter Klassiker wie „1999“, „Purple Rain“, „Around The World In A Day“ oder „Sign O‘ The Times“. Und in seinem Archiv, genannt „The Vault“ sollen noch hunderte Songs schlummern.

Die Geschichte beginnt Ende der Sixties, als der kleine Prince in ein James-Brown-Konzert mitgenommen wird und auf der Bühne zu tanzen anfängt. Schnell wurde der „Godfather of Soul“ zu einem seiner Idole, wie der gleichaltrige Michael Jackson und der unglaublich einflussreiche Sly Stone und später Joni Mitchell, die seine „feminine“ Seite anrührte. Später wird er der größten Songwriterin der 70er-Jahre sogar ein ganzes Lied widmen: „The Ballad Of Dorothy Parker“. Wobei es dabei nicht um die berühmte Schriftstellerin geht, sondern um eine Kellnerin, die Joni Mitchell liebt. Prince, der auch ein großer Stimmenimitator war, stimmt dann auch in Jonis Tonlage Dorothys Lieblingslied an: „Help me I’m falling“. Es ist anzunehmen, dass diese „spülwasserblonde“ Kellnerin der Meister selbst gewesen ist, denn Prince liebte Rollenspiele in seinen Songs. Als „One Man Band“ spielte er oft nicht nur alle Instrumente, sondern übernahm auch die männlichen und weiblichen Gesangsparts. Lange bevor ein Begriff wie „Gen­derfluidität“ aufgetaucht ist, experimentierte der Sänger, der seine Falsettstimme wie Curtis Mayfield oder Smokey Robinson einsetzte, mit den Geschlechterrollen. Am schönsten in einem der merkwürdigsten Songs der 80er-Jahre: „If I Was Your Girl­friend“. Eine „Männerfantasie“, die aber vieldeutig zu lesen ist – durch seine androgyne Stimmperformance.

Es war im Herbst 1979, als zum ers­ten Mal das funkige „I Wanna Be Your Lover“ aus dem Radio erklang, zusammen mit Michael Jacksons „Rock With You“. Der Song stammte vom zweiten Album des Musikers, schlicht „Prince“ betitelt, das natürlich noch komplett im Schatten stand von „Off The Wall“, dem ersten gemeinsamen Wunderwerk von Jackson & Jones. Disco-Eleganz versus schmutzigem Funk. Mit schmutzigen Versen, wie man hinzufügen muss, denn ihm zu „Ehren“ wurde der „explicit lyrics“-Sticker eingeführt! Aber bereits mit seinem vierten Album „Controversy“ wird er sich in komplett reduzierter Form dieser Eleganz annähern, die in den 20er-Jahren schon Duke Ellington gepflegt hat. 1986 schließlich wird er diese „Reduktion“ zu einem Höhepunkt treiben. Wieder mal hatte er da einen Song, der schon ewig rumgelegen war und für den er keine rechte Form gefunden hatte. Da wendete er wieder seinen alten Trick an, den Bass bei einer Funknummer wegzulassen. Schon bei „When Doves Cry“ aus dem „Purple Rain“-Soundtrack hatte er in letzter Sekunde die Bassspur einfach gelöscht. Aber „Kiss“ war noch minimalistischer. Elektronische Drums und ein „perkussives“ Keyboard treiben die Gitarren-Nummer hypnotisch voran, die Prince mit spitzen Schreien verziert. Ein Welthit.

„Kiss“ war einer der Höhepunkte auf dem „Parade“-Album, dem Soundtrack zu dem durchwachsenen Filmprojekt „Under The Cherry Moon“ (Kamera: Michael Ballhaus). Die erste Platte, die in seinem Paisley-Park-Studio in seiner Heimatstadt Minneapolis eingespielt wurde und die endete mit einer weiteren Joni-Mitchell-Hommage, „Sometimes It Snows In April“. Ein Song, der ahnen ließ, was da noch kommen würde. Was kam, war das – nach Meinung vieler Kritiker – beste Album der 80er-Jahre: „Sign O‘ The Times“.

Als sein „White Album“ wurde die Doppel-LP damals bezeichnet. Wobei John, Paul, George & Ringo immerhin zu viert waren und Prince nur eine „One Man Band“. Wer will, kann das Titelstück als Gegenstück zu Marvin Gayes „Inner City Blues“ hören. Prince zeichnet darin ein amerikanisches Panorama von 1987: Aids, Crack, Amokläufe, Rüstungswahn. Nach dem höllischen Opener lädt er uns dann aber in seine „Erotic City“ ein: mit James-Brown-Bläsern und Joni-Mitchell-Farben. Dazu gibt es Seesterne und Kaffee, die er dann zehn Jahre später auch in der „Muppet“-Show kredenzte. Ausgerechnet er, der sich sein eigenes Reich geschaffen hatte, war für einen magischen Monat lang Teil des Muppet-Universums geworden. Und es passte: der scheue Prince Charming war in seinem Element – wie sonst nur im Studio oder auf den Bühnen der Welt.

Nach dem großen Erfolg mit dem Soundtrack zu Tim Burtons „Batman“ ging dann aber die ganz große Party für ihn Anfang der 90er-Jahre langsam zu Ende. Der Kontrollfreak legte sich mit seiner Plattenfirma Warner Brothers an, die seinen Output drosseln wollte. Als der Streit eskalierte, schrieb er sich „Slave“ auf sein Gesicht und legte den Namen Prince ab. Von nun an firmierte er unter „The Artist Formerly Known As Prince“, „The Symbol“ oder „The Artist“. Und richtete sich langsam in seiner „splendid isolation“ ein. Wobei ihm weiterhin immer wieder ganz tolle Nummern gelangen, wie die James-Brown-Hommage „Sexy MF“, „Pink Cashmere“ oder „Musicology“. Und selbst einem Stylistics-Klassiker wie „Betcha By Golly Wow!“ hauchte er neues Leben ein. Mit HipHop konnte er freilich wenig anfangen. Musikalisch war er weiterhin in den 70er-Jahren gefangen, die er in den 80ern auf geniale Weise transzendiert hat, wenn man so will. Und mit den neuen Vertriebswegen konnte er sich auch nicht mehr so richtig anfreunden. Es schien, als sei der Mann, der sich seit dem neuen Jahrtausend wieder Prince nannte, ein wenig aus seiner Zeit gefallen. Live in Concert freilich strahlte er wie immer.

Bis wenige Tage vor seinem plötzlichen Tod am 21. April begeisterte er sein Publikum, das ihm nach wie vor zu Füßen lag.

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