Hauptbild
Adriano Celentano (re.) mit Gitarrenlegende Carlos Santana. Foto: Gruppo Mediante
Adriano Celentano (re.) mit Gitarrenlegende Carlos Santana. Foto: Gruppo Mediante
Banner Full-Size

Die Erinnerungen des Adriano Celentano

Untertitel
Italien, Ende 2005: Triumph der politischen Redekunst in Celentanos Fernsehshow „Rockpolitik“ · Von Daniele Martino
Publikationsdatum
Body

Am 20. Oktober 2005 hatte Adriano Celentanos Sendung „Rockpolitik“ ihre TV-Premiere auf RAI 1. Die kulturpolitischen Beben, die der Starkomiker und Rockmusiker damit auslöste, waren noch auf der Nordseite der Alpen messbar. Im Mai dieses Jahres sind Neuwahlen in Italien. Es geht um nichts Geringeres als die Ab- oder Neuwahl des Regierungschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi. Die neue musikzeitung bat Daniele Martino, Vize des italienischen Giornale della musica, um eine Einschätzung der Lage. Hier sein Bericht.

Adriano Celentano ist 1938 in Mailand geboren. Seine Eltern stammen aus Apulien, und so ist er einer der vielen Süditaliener, die in den 60er-Jahren im industriellen Norden Italiens aufgewachsen sind. Das heißt, ein Italiener, der in sich die calvinistische auf Leistung orientierte Kultur Nordeuropas mit den entspannten warmherzigen Traditionen des mediterranen Raumes vereint. Dieser Aspekt ist immer sehr wichtig gewesen in seiner „musikalischen Literatur“ und vor allem auch in seiner populistischen Ideologie – Celentano ist ein Vertreter des Mannes von der Straße. Er ist einerseits Umweltschützer und andererseits einer, der auf alles pfeift, und der sich nicht unterordnet – und diejenigen, die seine Platten kaufen und die seine Shows im Fernsehen anschauen, teilen mit ihm diese Ideologie.

Wie der größte Teil der Italiener mag Celentano keine Politik. Er hat sie nie geliebt. Celentano verkörpert die typische skeptische Distanz und Vorsicht des Süditalieners gegenüber dem italienischen Staat: Man gehorcht zwar, aber man verachtet! Wie alle Populisten hält sich Celentano nicht an die Regeln, sondern hebt stattdessen die Medienapparate aus dem Sattel. Dabei steht ihm von jeher die beste Sendezeit des ersten Programms des öffentlich-rechtlichen Senders, kurz RAI 1, zur Verfügung, auf der er alle drei bis vier Jahre mit pöbelhaften Fernsehshows wie zum Beispiel Fatastico 8 aus den Jahren 1987 bis 1988 oder aber mit seiner neuesten vierteiligen Show Rockpolitik von 2005 für Furore sorgt.

Celentano hat vom Anfang seiner Fernsehkarriere an die „Verfügungsgewalt und volle Autonomie über die technisch-künstlerische Auswahl und über die Inhalte seiner Shows“ gefordert, dann erhalten und sie schließlich in seinem letzten Vertrag mit der RAI durchgesetzt. Celentano, Demagoge über das Fernsehvolk, erhält so ein potentiell grenzenloses Forum, und dies zur besten Sendezeit des Flaggschiffsenders RAI 1. An dieses Forum wendet er sich mit endlosen Monologen, die jeglichen Zeitrahmen und jegliche kommerzielle Verwertbarkeit nach amerikanischem Maß missachten und verhöhnen.

Und während Celentano sich in der letzten Ausgabe von Rockpolitik als Verfechter der Dichotomie zwischen „Rock“ (dem Guten, dem Positiven, dem Offenherzigen) und „Lento“ (dem Bösen, dem Schlechten, und dem Falschen) präsentiert, betreibt er stattdessen in der Regie seiner eigenen Shows eine unerbittliche, unerträgliche und fast pseudo-mystische Langsamkeit, die leer ist von Ereignissen und Tönen und Worten. Diese Langsamkeit ruft bei den Fernsehzuschauern, gewöhnt an die konstante, zerstreuende Geräuschkulisse des allabendlichen Fernsehens, eine lächerliche messianische Erwartung auf eine Art enthüllende Bergpredigt des „Volkschristus“ Celentano hervor.

Welche Reden aber schwingt Adriano Celentano, italienischer Rocker der 60er-Jahre, der im Verlauf seiner Karriere mehr als 70 Millionen Platten verkauft hat, Interpret von Liedern mit zum Teil widersprüchlichem „politischen Inhalt“, wie zum Beispiel dem Schlager „Il ragazzo della via Gluck“, in dem er gegen die Zubetonierung der Städte ansang, oder dem Lied „Chi non lavora non fa l’amore“, in dem er sich gegen die Arbeiterstreiks in den 1968ern aussprach?

Celentano hält Reden, geschrieben von einer Schar von Autoren, die für ihn arbeiten, darunter zum Beispiel Vincenzo Cerami, Benignis Lieblingsdrehbuchschreiber.
Benigni selbst hat in der zweiten Folge von Rockpolitik eine seiner denkwürdigen, marktschreierischen, genialen, persönlichen Shows gegeben mit der Darbietung einer karnevalesken, volkstümlichen, toskanischen, beißenden und verwüstenden Satire auf den italienischen Premierminister Silvio Berlusconi.

Oder aber Diego Cugia, Autor eindringlicher Hörspiele für Radio RAI, und Carlo Freccero, einst talentierter Leiter des jugendlich-berlusconischen Kanals Italia 1 (für den er sich innovative und brillante Programminhalte ausgedacht hatte) und dann Leiter der etwas verstaubteren RAI 2. (Es scheint, dass Celentano für jede der vier Sendungen, die zwischen Oktober und November 2005 ausgestrahlt wurden, 1.400.000 Euro Gage bekommen hat).

Celentano findet im vierten der fünf Jahre der Regierung Berlusconis (in Italien sind im Mai Parlaments- und Regierungswahlen) den Raum, das zu sagen, was er will, in einem Moment also, in dem die Männer der Mitte-Links-Opposition, und im Besonderen die Katholiken des Zentrums, sich nicht mehr um die Spielchen des Chefs der Mitte-Rechts-Koalition, Berlusconi, scheren und innerhalb der RAI den Kopf heben.

(Schon immer wird die RAI von den Anhängern der Parteien der jeweili- gen Regierung aufgeteilt und kolonialisiert; von der Nachkriegszeit bis in die 90er-Jahre setzte sie sich aus zwei Dritteln Christdemokraten und einem Drittel Kommunisten zusammen, dann wurde sie in Besitz genommen von zwei Drittel Berlusconianern, die von der Mediaset, Berlusconis Medienanstalt, her kamen. Diese haben das Qualitätsniveau, das die prä-berlusconische RAI trotz allem in vielen ihrer Programme aufwies, herabgesetzt, vulgarisiert und verwüstet. Verteidigt wird dieses Niveau lediglich von dem restlichen Drittel der christdemokratischen Minderheit.)

Seit letztem Sommer hat die RAI einen neuen christdemokratischen Generaldirektor, Ausdruck eines veränderten Klimas, in dem die zersplitterten Christdemokraten nach und nach Macht zurückerobern. Es handelt sich dabei um Alfredo Meocci, der während der ersten Sendung von Rockpolitik in der ersten Reihe saß und der, von Celentano direkt angesprochen, perfekt christdemokratisch, mit sibyllinischen und listigen Worten geantwortet hat, ohne dabei etwas zu sagen: „Wir denken nach. Die Worte sind langsam und das Schweigen ist Rock. Morgen ist ein anderer Tag.“

Der von der Mitte-Rechts-Koalition nominierte Direktor der RAI 1 hingegen reagierte angesichts der ersten Sendung von Rockpolitik, verstört und verängstigt und betrachtete sich in dem Moment, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass Celentano von der übergeordneten Generaldirektion grünes Licht bekommen hat, das zu sagen, was er will, als „selbst-suspendiert“.

In seinen vier Shows hat Celentano „ehemalige“ Fernsehstars der RAI eingeladen, die Silvio Berlusconi in dem Moment, als er Premierminister geworden war, vorsätzlich abgesägt hatte: darunter Enzo Biagi, Vertreter eines „angelsächsisch“ geprägten italienischen Journalismus, Michele Santoro, Journalist aus dem kommunistischen Lager, Daniele Luttazzi, satirischer und unerbittlicher Komiker, Sabina Guzzanti, unwiderstehliche linksradikale Komikerin und Satirikerin, Beppe Grillo, Kabarettist und kämpferischer Umweltschützer: Diese Einladung, für zehn Minuten durch die Hintertür wieder in die RAI zurückzukehren, wurde aber nur von Michele Santoro und Sabina Guzzanti angenommen.

In „politischen Tiraden“ hob Celentano hervor, dass Italien in einer internationalen Studie im Hinblick auf Meinungsfreiheit weltweit auf den 77. Platz eingestuft wird. Wie schon in seinen früheren Sendungen „Francamente me ne infischio (Offen gesagt, ich pfeife darauf)“ (1999) und „125 milioni di cazzate (125 Millionen Dummheiten)“ (2001), verurteilte er die Kriege in der Welt, indem er Bilder von Gewalt und Leid zeigte; er sprach von dem Massaker, das von den Chinesen unbestraft von 1950 an bis heute am tibetanischen Volk verübt wird, von den Gemetzeln in Afrika, von der neuen Macht der Banken (mit inbegriffen dabei die Nationale Bank der Arbeit, die unter der Leitung der kommunistischen Versicherungsgesellschaft Unipol steht), von den Immobilienhaien, „Bestien, die nicht stinken, aber da, wo sie langgehen, wächst kein Gras mehr“ – von den Bürgermeistern, (wie zum Beispiel der Mailänder Bürgermeister, Gabriele Albertini, ein Berluscianer), die „die Städte mit Hochhäusern füllen wollen und die die Kunst und das Schöne hassen“.

Und das alles vor 15 Millionen Italienern, so Auditel, die statistische Gesellschaft, die die Anteile in Italien für den Werbemarkt und für das nationale Fernsehen ermittelt: Die Quoten von Rockpolitik oszillieren zwischen 47,19 und 68,00 Prozent (damit wir uns verstehen, das Festival von San Remo 2005 hatte nicht mehr als 58,92 Prozent).

Der Prophet der Pressefreiheit sprach zu seinem Fernsehvolk: „Ihr, die ihr zuschaut, seid keine Dummköpfe, und wenn die Freiheit Angst macht, dann deswegen, weil jjemand denkt, ihr seid Dummköpfe. Und das ist eine Gefahr, weil man Dummköpfen die Wahrheit nicht sagen braucht, sondern man muss ihnen sagen, dass es keine Gefahr gibt, weil sonst weniger verkauft wird und die Aktien fallen. Und was zählt, das sind die Aktien. Der, der am meisten Aktien hat, der gewinnt, gewinnt das Spiel der Aktien.“

So hat Celentano, in Mantel und mit Sonnenbrille, in Cowboystiefeln und im Hawaiihemd, den König schachmatt gesetzt: Berlusconi, der König der Aktien, der sich seinen politischen Erfolg mit dem Geld aus seinem Presse- und Fernsehimperium erkauft hat, hat so von einem 67-jährigen Sänger sechs Monate vor den Wahlen eine Ohrfeige vor 15 Millionen Zuschauern erhalten. (Im Grunde genommen lässt sich Celentano politisch weder rechts noch links verorten. In jedem Falle aber ist er Katholik. So ist es ihm in einer Sendung sogar gelungen, dem reaktionären Papst Ratzinger zu bescheinigen, dass er „Rock“ ist, weil er die Möglichkeit eingeräumt hat, dass geschiedene Katholiken wieder das Abendmahl empfangen dürfen!)

Für Berlusconi handelte es sich bei Celentanos Polemiken natürlich um die soundsovielte „Verschwörung der Kommunisten, die die italienischen Medien kontrollieren“ (so sein immer wiederkehrender und äußerst humorvoller Witz), aber für die 51 Prozent der Italiener, die ihn vor fünf Jahren gewählt haben, hat vielleicht Celentano etwas ausgesprochen, das sie bisher noch nie gehört haben, weil es eben aus „kommunistischem Mund“ kommt. Neben all diesem war Rockpolitik natürlich auch eine Musikfernsehshow mit viel Musik. Celso Valli dirigierte eine Liveband, die sehr gute Coversongs berühmter Stücke aus der Geschichte der Populärmusik spielte (unter den Gästen waren solche Legenden wie Carlos Santana und Ex-Eurythmic Anni Lennox). Der „kommunistische Komiker“ Maurizio Crozza, in allen vier Sendungen der einzige feste Partner Celentanos, führte unterhaltsame, sehr intelligente Remakes von Musikstandards auf, in denen er die Texte in unsagbar witzige politische Satire transformiert hatte. (Hier wurde das ganze Spektrum von der Mitte-links-Partei bis links, und von der Mitte-rechts-Partei bis rechts durch den Kakao gezogen).

Crozza imitierte etwa die Gipsy Kings („bandoleo“), die er nach einem starken energischen Zapatero für Italien um Hilfe rufen ließ, anstelle des schlaffen Oppositionsführers Prodi. (Prodi wird wegen seiner Schwäche im Volksmund auch „Mortadella“ genannt). Er spielte den „Buena Vista Social Club“, der den „Kumpel Celentano“ einlädt in einem diktatorischen kommunistischen Cuba zu singen, und er imitierte den berstende Tom Jones, der eine „Sex Bomb“ macht, die zu einer „Lex Bomb“ wird. Alles in allem wirklich sehr unterhaltsam.

Und damit auch dich, deutsches Volk, die weisen Worte des schlauen Volkspropheten des italienischen Fernsehens erreichen, seien hier einige seiner Sätze zitiert: „Den Schrei der Peripherie verstehen heißt Rock. Die Hoffnung heißt Rock. Dass, was von ganz tief unten hochkommt, heißt Rock!“ Das ist wohl der Satz, der am meisten Rock war, den Adriano Celentano in Rockpolitik gesagt hat.

Wenn Sie mehr über Rockpolitik wissen wollen, beuschen Sie die
Homepage www.rockpolitik.it

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!