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Drei Opernhäuser und fast fünfzig Orchester

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Berlin, Berlin: ein Essay mit CD-Tipp ·
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Vom Arbeiterkampflied zum königlichen Flötenton, vom multikulturellen Schmelztiegel zum Magneten für die Musikindustrie, wild als schön, visionär via vulkanisch, nostalgisch und klassizistisch, exotisch oder ätherisch, raumgreifend und (in lokaltypisch-üblicher Selbsteinschätzung) der eigenen Zeit vorauseilend, lässt sich lesen: „Berlin ist zum ersten Mal erfolgreichstes Bundesland bei ,Jugend musiziert‘.“ Oder:„In Berlin agier(t)en Künstler, die so schnell nicht vergessen werden können.“ „Wir sind überzeugt, Berlin ist von der Weltkarte der Musik nicht wegzudenken.“ „Berlin ist mal wieder richtungsweisend, in dem, was hier passiert“, formuliert vollmundig „musicberlin“.

In den Rang einer überörtlich ausstrahlenden Metropole gelangte Berlin erst als Hauptstadt des Königreichs Preußen; dem vorherigen Sitz der brandenburgischen Kurfürsten war als Konglomerat aus zahllosen Dörfern noch keine außerordentliche Rolle zugekommen. Die preußischen Könige freilich wollten das anders und forcierten die Entwicklung zum „aufblühenden Spree-Athen“. Friedrich der Zweite, selbst der Musik in all ihren Facetten von und mit Herzen zugetan, erreichte (die aufklärerische Qualität des aktuell-philosophischen Denkens integrierend) für die Kultur einen ersten Aufschwung.

Der Herrscher umgab sich mit Musikern wie Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Quantz oder Carl Heinrich Graun. Die Regentschaft Friedrich Wilhelms des Dritten ist verbunden mit Namen wie Karl Friedrich Zelter, E.T.A. Hoffmann, Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Maria von Weber. In den so genannten „Goldenen Zwanzigern“ wirkten neben den Stars der Popularkultur Arnold Schönberg und Paul Hindemith, Alban Berg, Kurt Weill und Bert Brecht in Berlin. Der „Bedeutung“ einer zu entstehen-habenden „Welthauptstadt Germania“ gemäß, war das Musikleben von den Nazi-Gigantomanen „angedacht“ worden. Für „Berlin – Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ komponierten dann Musiker wie Hanns Eisler – partiell vom utopischen Glauben ans „sozialistische Paradies“ erfüllt. Als gesamtdeutsche Hauptstadt versucht das geographisch eher abseits liegende Zentrum eines föderalen Strukturalismus an glanzvolle Zeiten anzuknüpfen. Nicht nur im Zeitalter ausgedünnter finanzieller Möglichkeiten ein durchaus ehrgeiziges Unterfangen.

Die Berliner Orchester

„Ich glaube, dass wir unser Konzerthausorchester Berlin als Institution für unsere Zeit mehr öffnen müssen. Allerdings nicht mit CrossOver oder so genannter Event-Kultur. Ich hasse dieses ganze Chichi. Das ist der absolut falsche Weg“, formuliert Lothar Zagrosek im Vorfeld seiner Berufung zum Chefdirigenten des Berliner Sinfonie-Orchesters. Das allerdings aktuell Konzerthausorchester Berlin heißt. „Als mich meine Freunde fragten, wo gehst du denn hin, da sagte ich ihnen, zum BSO. Aha, zum Orchester von Nagano. Nein, sagte ich, das ist das DSO, das Deutsche Sinfonie-Orchester. Ich gehe zum Berliner Sinfonie-Orchester. Ach, zu dem Orchester, das gerade aufgelöst wird? Nein, das sind die Berliner Symphoniker.“ Von der Auflösung weit entfernt sind die Berliner Philharmoniker inmitten der Feierlichkeiten zu ihrem 125. Geburtstag anno 2007. Als „bestes Orchester der Welt“ agieren sie selbstbewusst und unangekränkelt von Selbstkritik rund um eben diese Welt. Wer von einem Benjamin Bilse ausgehend, der seine Musiker noch auf einer Konzert-reise nach Warschau in der vierten (Holz-) Klasse reisen ließ, die Namen der Berliner Klassedirigenten vor dem virtuellen Ohr und dem geistigen Auge vorbeiziehen lässt, dem wird schon leicht schwindelig angesichts der Dimensionen: Hans von Bülow ist fünf Jahre Chef, Arthur Nikisch inspiriert von 1895 an für 27 Jahre das „solistische Selbstverständnis“ des „KlangKörpers“, Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, wieder Wilhelm Furtwängler, der 1954 stirbt. Auf dessen „musikalischem Erbe“ fundamentiert die „Ära Karajan“, gefolgt von den „Neuen Tönen“ eines Claudio Abbado. Aktuell sucht auch Simon Rattle – wie alle seine Kollegen am Pult der rund fünfzig Laien- bis Weltklasse-Orchester der großen Stadt an Havel und Spree –, einer jungen Generation von i-Podianern und mp3-Ideologen den Zugang in ein bei denen nicht gerade heiß geliebtes Klassikgelände zu ebnen. Mit durchaus intelligenten Konzepten. Die Fülle des Wohllauts nicht nur bei den Waldbühnenkonzerten mit ihrer bunten Generationenvielfalt und lückenlosen Platzauslastung könnte als womöglich gutes Modell gewertet werden. Gegenwärtig werben alle Orchester Berlins um neue Publikumsschichten.

Erst die Hemmschwelle senken

Nicht nur die Philharmoniker planen durch die Integration islamischer Musik die türkischstämmige Bevölkerung anzusprechen. Ingo Metzmacher, neuer Chef des DSO, des Deutschen Sinfonie-Orchesters also und folglich Nachfolger von Kent Nagano, der bekanntlich Bayerischer Generalmusikdirektor ist, denkt da eher von der Musik her: „Für mich selbst steckt in der klassischen bis zeitgenössischen E-Musik mehr Bedeutung drin, als oft unterstellt wird. Für mich ist es wichtiger, die Hemmschwelle zu senken, die einem Konzertbesuch entgegen steht als mit Multi-Kulti-Projekten Aufmerksamkeit zu erregen.“ Immerhin positioniert sich Metzmacher in seiner ersten, der Saison 2007/2008, mit einem deutlich deutschen Akzent. Akzentuiert geben sich die Opernhäuser von der Deutschen Oper über die Komische Oper und die Deutsche Staatsoper Unter den Linden bis hin zur Neuköllner Oper mit ihrem aktuellen „Mooshammer-Projekt“. Die Berliner Luft ihrerseits akzentuiert die Egomanie der Stadt ebenso wie ihre unbestreitbare geistige Wachheit, ihre Schnelligkeit, ihre Offenheit – und auch Überheblichkeit. Im Rivalitätsranking um die Pole-Position deutscher Kultur-Städte markiert die Liebesbeziehung zwischen München und Berlin schon einen besonderen Rang. Einer, der es wissen muss, meinte, dass „Isar-Athen“ und „Spree-Athen“ wohl irgendwie auf gleicher Augen- und Ohren-Höhe seien. Die musikalische Bandbreite Berlins jedenfalls sucht ihresgleichen, von Pop bis Klassik, von Untergrund bis Hochkultur, von PopKomm bis Universal Music und MTV (ein Sender, der von Hamburg über München nach Berlin „verzogen“ wurde), von Berlin Classics bis Sony BMG, einem Unternehmen, das sich mit seiner Music Entertainment GmbH sehr zur Trauer vieler Berliner wieder in München ansiedelte. Immerhin dirigiert der in Potsdam lebende Berliner Christian Thielemann die Münchner Philharmoniker als Generalmusikdirektor der Landeshauptstadt München und begeistert auch in Bayreuth das keinesfalls nur aus München stammende Publikum zu Jubelstürmen und minutenlangen Ovationen. Da rede noch einer von berlinisch-bayerischen Animositäten...

Der CD-Tipp zum Thema

Ute Lemper: Berlin Cabaret Songs. Aus der Serie „Entartete Musik“. DECCA 452 601

Die zwölf CDs spannen einen Bogen von den ersten Aufnahmen des Orchesters mit Alfred Hertz und Arthur Nikisch über Furtwängler, Celibidache, Karajan bis zur Gegenwart mit Simon Rattle. Es handelt sich dabei um bisher weitgehend unveröffentlichte Aufnahmen, Rundfunkmitschnitte des ehemaligen Senders Freies Berlin, aber auch um Neuveröffentlichungen von Aufnahmen, die nicht mehr erhältlich waren oder bisher nur in nicht zufrieden stellender technischer Bearbeitung vorlagen. Darin erschließt sich ein wichtiges Kapitel der Berliner Musikgeschichte. Es gibt eine „normale“ Edition zum Preis von 129,- Euro oder eine „Limitierte Sonderausgabe“ im Luxusgewand für 199,- Euro, jeweils neben zwölf CDs mit opulentem Info-Paket, zu beziehen über den Buch- und Tonträgerhandel sowie über den online-shop der Berliner Philharmoniker oder über die Tageszeitung „Die Welt“.

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