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Analoge Technik, elektrische Verstärkung: Blick ins Innenleben eines  Fender Rhodes Pianos. Foto: Florian Heigenhauser
Analoge Technik, elektrische Verstärkung: Blick ins Innenleben eines Fender Rhodes Pianos. Foto: Florian Heigenhauser
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„Du gabst mir einen Sound, du gabst mir ein Leben“

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Mythos Fender Rhodes – ein elektrisches Klavier wird zum Klassiker
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Von einem Klavierlehrer erfunden, vom Krieg inspiriert, von Miles Davis gefördert, wurde das Fender Rhodes in den 1970er-Jahren zur Seele von Funk und Fusion. Seit seiner Renaissance in den 1990er-Jahren ist der Nimbus des Fender Rhodes unerschütterlich. „Außer dem Konzertflügel besitzt kein Tasteninstrument einen so vornehmen und geschätzten Klang wie das Rhodes“, sagt der Musiker Jared Pauley. „Das Fender Rhodes ist das reinste, kraftvollste Instrument, das je geschaffen wurde.“

Aus welchen Gründen besorgte sich ein Pianist in den 1970erJahren ein elektromechanisches Klavier? Erstens weil es preisgünstig war, handlich und relativ leicht zu transportieren. Es eignete sich als Übungsklavier für unterwegs und bot ein Stück Unabhängigkeit bei Auftritten. Zweitens aber wegen des Sounds und der Lautstärke. Die Tonauslösung beim Fender Rhodes erfolgt zwar mittels einer analogen Mechanik, die Tonbildung aber durch elektrische Verstärkung. Seit Beginn der neueren Popularmusik ist der Sound aus der Steckdose ein Wert an sich, eine mode- und identitätsstiftende Kraft. E-Gitarre und E-Bass definierten einst Rock’n’Roll, Beat und Rock. Der elektrisch erzeugte, ganz eigene Klang des Fender Rhodes wurde stilprägend für Fusion, Funk, modernen Soul und elektrischen Jazz.

Konzertpianisten haben über das Fender Rhodes häufig die Nase gerümpft. Aber für die Fusion-Pioniere um 1970 war dieses Instrument das Wahrzeichen von Trend und Fortschritt. Der Trompeter Miles Davis bestand damals darauf, dass seine Pianisten nur noch elektrisch spielten: „Das akustische Klavier ist hinüber“, sagte er, „es ist ein altmodisches Instrument. Ich will es nicht mehr hören, es gehört zu Beethoven, es ist kein zeitgemäßes Instrument.“ Der Pianist George Duke nannte das Fender Rhodes das vermutlich „wichtigste Instrument“, das im 20. Jahrhundert aufkam. Chick Corea sprach vom „einzigen wahren Fortschritt“ beim Klavier des 20. Jahrhunderts. Ray Charles glaubte, das Fender Rhodes habe „das Gesicht der Musiklandschaft für immer“ verändert.

Als sich in den 1980er-Jahren die digitalen Keyboards mit ihren unbegrenzten Sound-Möglichkeiten durchsetzten, schien das Fender Rhodes aber plötzlich überflüssig zu werden. Es verschwand einfach von der Bildfläche – ganz ähnlich wie die Hammondorgel. Doch genauso wie die Hammondorgel kam das Fender Rhodes schon in den 1990er-Jahren wieder zurück. Warum, erklärt der Fender Rhodes-Experte James Garfield: „Wenn du weißt, wie es ist, das echte Ding zu spielen, dieses Gefühl der Tasten, wie die Hämmer die Stäbe unter der Haube anschlagen, die Vibration in deinen Fingern, dann kannst du eine digitale Simulation nicht akzeptieren. Dasselbe gilt für die Hammond B3, das Wurlitzer, das Clavinet und andere elektromechanische Keyboards. Was du hörst und was du fühlst, das sind zwei total verschiedene Erfahrungen.“

Die Renaissance des Fender Rhodes begann im Acid Jazz und NuJazz der 1990er-Jahre. Vom amerikanischen Keyboard Magazine wurde das Instrument 1995 in die „Hall of Fame“ gewählt. Damit verwandelte es sich zur Legende – und heißt seitdem auf keinem Album mehr einfach nur „electric piano“, sondern immer „Fender Rhodes“. Bei unzähligen Rock-, Pop- und Jazz-Produktionen wird es wieder eingesetzt. Eine neue Generation von Musikern spricht vom Fender Rhodes mit einem beinahe heiligen Respekt. Das Instrument ist zum Mythos geworden.

Harold Rhodes, der Gutmensch

Eine erste Facette dieses Mythos ist der Mann, der das Fender Rhodes erschuf. Harold Rhodes (1910-2000) gilt den Insidern weniger als Ingenieur und Geschäftsmann, sondern in ers-ter Linie als Wohltäter und Philanthrop. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte er sich schon als Klavierdemokrat etabliert – mit einer ganzen Kette von eigenen Musikschulen („Harold Rhodes School of Popular Piano“) und einer eigenen Lernmethode („Rhodes Method“). Während seines Kriegsdiensts beim U.S. Army Air Corps beauftragte man den erfolgreichen Klavierpädagogen, verwundete Soldaten in der Rekonvaleszenz zu unterrichten. Da viele dieser Klavierschüler kaum das Bett verlassen konnten, benötigten sie ein handliches Kleinklavier, das sie im Liegen spielen konnten. Flugs wurde Rhodes zum Erfinder und entwickelte ein Kofferinstrument mit zweieinhalb Oktaven Tonumfang. Statt Klaviersaiten wurden in diesem „Army Air Corps Piano“ charmanterweise Teilstücke von Aluminiumrohren aus ausgemusterten B-17-Bombern verbaut. In den Kriegsjahren hat man rund 125.000 solcher Miniklaviere hergestellt.

Rhodes’ aufopferungsvolles Engagement für Klavierschüler und Künstler wird von der Fender Rhodes-Gemeinde immer wieder gefeiert. So soll Rhodes gelegentlich Musiker auf Tourneen begleitet und ihre Kritik und Anregungen direkt aufgegriffen haben. Es war ihm auch ein Anliegen, für Schulen und Universitäten immer wieder spezielle Fender-Rhodes-Modelle zu entwickeln. Später nahm er sich angeblich viel Zeit für die technischen Probleme der Restaurateure und leitete im hohen Alter noch handwerkliche Kurse für Kinder unter dem Motto „Wir bauen ein Klavier“. Auch wurde es Rhodes als Großherzigkeit angerechnet, dass sich Leo Fender, dieser andere große Instrumente-Pionier, im Namen von Rhodes’ Instrument mit verewigen durfte, während Rhodes’ angeblicher Anteil an der Entwicklung der Fender-Gitarren weitgehend ignoriert wird. Typisch für das ergebene Verhältnis der Fender Rhodes-Nutzer gegenüber ihrem Meister ist diese Danksagung des Keyboarders Joe Zawinul: „Harold, bevor du kamst, war mein Leben hart. Du gabst mir einen Sound, und du gabst mir ein Leben.“

Genealogie der Modelle

Im Zentrum des Mythos steht natürlich die Hardware. Über die Geschichte der diversen Bauarten und ihrer technischen Veränderungen kann die Fender Rhodes-Gemeinde endlos diskutieren. Denn Fender Rhodes ist ja nicht gleich Fender Rhodes. Da gab es zunächst den Vorläufer, das „Pre-Piano“, das Harold Rhodes 1946 direkt aus seinem Armee-Bettklavier entwickelte, um es dann elektrisch zu verstärken, was damals die Konkurrenten bei Wurlitzer inspirierte. Dann gab es Rhodes’ Versuche der frühen 1960er-Jahre, vor allem das „Piano Bass“ von 1960, das auf den Bassbereich beschränkt war und nur 32 Tas-ten hatte, später das Piano 61, Piano 73 und das Piano Celeste. Es folgten die eigentlichen Fender Rhodes-Klassiker: das Silver Top (1965), das Mark I (1970), Mark II (1979), das kleinere Rhodes 54 (1980) und das ausgereifte Mark V (1983). Die 1980er-Jahre waren die Zeit der Häresien unter dem Druck der fortschreitenden Digitalisierung: Es gab das Mark III, einen Zwitter mit Synthesizer-Komponente, das MK-60 und MK-80, die reine Digitalpianos waren, dann auch einen ARP-Synthesizer und eine Roland-Orgel, die den Namen „Rhodes“ nur zu Vermarktungszwecken trugen. Und schließlich: die Rückkehr zum elektromechanischen Prinzip mit dem obskuren „Major Key 54“ (2000) und dem aktuellen MK 7 (Mark VII).

Ein unerschöpfliches Thema sind die technischen Details im Fender Rhodes – die stählernen Stimmstäbe, die Pickups, die legendäre „asymmetrische Stimmgabel“. Der wahre Fender Rhodes-Fan weiß Bescheid über all die Verbesserungen und Veränderungen, denen die Stimmstäbe, Hämmerchen und Resonatoren im Lauf der Jahre unterzogen wurden. Irgendwann bekamen die Holzhämmerchen Gummiköpfe, dann wurden die Gummiköpfe diversifiziert, dann kamen die Plastikhämmerchen. Von Modell zu Modell wuchsen die technischen Möglichkeiten und änderten sich die eingebauten Effekte (Tremolo, Stereo usw.), die Ausgänge und die Kontrollkonsolen. Auch die Legenden um Plastiktasten und Stahltasten gehören zum Mythos. Viele Modelle waren wahlweise mit 73 oder 88 Tasten zu haben. Auch gab es das Fender Rhodes grundsätzlich in zwei Varianten: als „Suitcase“ mit eingebautem Verstärker und Lautsprecher, die ebenfalls ständig modifiziert wurden, und als „Stage“-Modell für externe Verstärkung. Daneben existierten noch diverse Studenten-, Heim- und Clubmodelle.

Ebenso wichtig ist die Markengeschichte „hinter“ der Modell-Genealogie. Nach dem Krieg hatte sich der ehemalige Klavierlehrer Rhodes zunächst als selbstständiger Ingenieur mit eigener Firma versucht. 1959 tat er sich mit Leo Fender zusammen, dem erfolgreichen Hersteller von E-Gitarren und E-Bässen. Die große Zeit kam aber erst unter den Fittichen des Konzerns Columbia Broadcasting System (CBS), der Rhodes für 13 Millionen Dollar bei Fender loseiste. Rund 250.000 Fender Rhodes-Pianos wurden zwischen 1965 und 1983 durch CBS verkauft. Als das Geschäft wegen der Digitalisierung versiegte, ging die Rhodes-Marke an William Schultz (1983) und dann weiter an den japanischen Elektronik-Hersteller Roland (1987). Drei Jahre vor seinem Tod kaufte Harold Rhodes den Markennamen zurück.

Engelhaft oder schmutzig

Für die Popularität des Fender Rhodes waren weder Gutmenschentum noch Plastiktasten entscheidend, sondern der einzigartige Sound des Instruments, der sich allerdings von Modell zu Modell ganz leicht wandelte. Viele haben versucht, den typischen Fender Rhodes-Sound zu beschreiben – als glockenartig, einer Celesta ähnlich, mit warmem Sustain, aber perkussivem Biss, mit einem kitzelnden, körperlichen Vibrato. Dieser elektrische, facettenreiche Klang brachte die Funkiness in den Jazz, aber auch die Jazziness in den Soul. „Das Fender Rhodes setzte die Welt von Soul, Jazz und Funk in Brand“, schreibt der Musikkritiker Adrian Wolfen.

Das Frequenzspektrum des Tons ist in der Tat eigenwillig, denn der erste klingende Oberton ist der siebente Teilton, die Naturseptime. Der Musiker Tom O’Grady sagt: „Das Rhodes ist so ein fantastisches Instrument und fähig zu so vielen verschiedenen Sounds, etwa einem engelhaften, glockenartigen Sopran und einem schmutzigen, knurrenden Bass. Sein Timbre reagiert auch so stark auf deine Spielweise. Wenn du ruhig spielst, wird es weich schnurren, und wenn du reinhaust, wird es zurückbellen!“ (Der wichtigste Konkurrent, das Wurlitzer-Piano, klingt, wenn es sanft gespielt wird, ätherischer, ähnlich dem Vibrafon, aber metallischer, ähnlich einer Rock’n’Roll-Gitarre, wenn es kräftig gespielt wird.)

Die zuweilen mystifizierten Sounds einzelner Fender Rhodes-Aufnahmen hatten aber oft banale Ursachen: Effektgeräte nämlich. Die beliebtesten Soundvarianten entstanden durch den serienmäßigen Vibrato-Effekt (vor allem beim Suitcase-Modell) und durch den Fender Twin Reverb, den empfohlenen externen Verstärker (beim Stage-Modell). Zusätzliche Effekte kamen von Wah-Wah-Pedal, Phase Shifter, Flanger, Echoplex, Ringmodulator, Fuzz-Pedal – oder einfach von einer defekten oder ungenügenden Verstärkertechnik. Die wichtigste Modifikation jedoch hieß „Dyna-My-Piano“ und wurde von einem gewissen Chuck Monte 1974 vorgestellt. Sie umfasste ein ganzes Paket von Effekten sowie einen Vorverstärker. Der dadurch breitere Klang wurde für das Fender Rhodes so typisch wie der Leslie-Effekt für die Hammondorgel. Zu „Dyna-My-Piano“ gehörte auch ein flacher Gerätedeckel, so dass auf dem Fender Rhodes weiteres Spielzeug wie Synthesizer oder Clavinet Platz fand.

Heldentaten der Pioniere

Der Mythos des Fender Rhodes speist sich nicht zuletzt aus den großen Musikernamen und historisch bedeutenden Alben der Pionierzeit des Instruments. Die Aufnahmen des Trompeters Miles Davis in den Jahren 1968 und 1969 (noch vor dem Mark-I-Modell!) sind Kultplatten der Fender Rhodes-Gemeinde. Herbie Hancock machte damals im Stück „Stuff“ (1968) seine allererste Aufnahme am Fender Rhodes überhaupt. Auf Miles’ Album „Bitches Brew“ (1969) kann man sogar bis zu drei Fender Rhodes gleichzeitig hören, gespielt von Chick Corea, Joe Zawinul und Larry Young. In ihren eigenen Bands (Return To Forever, Weather Report, Headhunters) stellten Corea, Zawinul und Hancock das Fender Rhodes in den Folgejahren ganz in den Mittelpunkt – Corea mit perlender Perkussivität, Zawinul eher experimentell, Hancock mit einem funky Vibrato. „Ich träumte von einem elektrischen Fender Rhodes-Piano, seit ich Herbie Hancocks Headhunters gehört hatte“, verrät der britische Jazzstar Jamie Cullum. Hancock brachte die Fender Rhodes-Farbe auch früh in die Musik von Joe Farrell, Joe Henderson, Freddie Hubbard oder Miroslav Vitouš ein.

Weitere Fender Rhodes-Solisten im Fusion-Jazz um 1970 waren Eumir Deo-dato, George Duke (u.a. bei Frank Zappa), Jan Hammer (u.a. im Mahavishnu Orchestra), Keith Jarrett und Les McCann. Die Rock- und Soulmusik hatte ihre Fender Rhodes-Pioniere in Donny Hathaway, John Paul Jones, Ray Manzarek, Billy Preston und Stevie Wonder. Songs wie „Get Back“ (The Beatles, 1969), „Riders On The Storm“ (The Doors, 1971) oder „You Are The Sunshine Of My Life“ (Stevie Wonder, 1973) gehören zu den Fender Rhodes-Klassikern.

Selbst etablierte Pianisten des Mainstream-Jazz experimentierten in den 1970er-Jahren mit dem Fender Rhodes, darunter Tommy Flanagan, Ahmad Jamal und Hank Jones. Zum Mythos besonders beigetragen haben die Aufnahmen von Bill Evans zwischen 1970 und 1974. Evans galt als der Feingeist unter den Jazzpianisten und war bekannt für seine differenzierte, klassisch geschulte Spiel- und Anschlagskultur. Dass gerade dieser Bill Evans das Fender Rhodes einsetzte (meist neben dem akustischen Flügel), und zwar mit viel Sensibilität und Geschmack, gilt den Jüngern heute als Nachweis der besonderen Qualität dieses Instruments. Harold Rhodes formulierte das schon 1971: „Die endgültige Rechtfertigung für die lebenslange Bemühung, ein neues Musikinstrument zu entwickeln, ist die Freude, wenn man hört, wie es auf die flinke und sensible Berührung durch einen Künstler wie Bill Evans reagiert.“

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