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Erzählten Geschichten von Arbeitslosigkeit, Widerstand und Liebe: die senegalesischen HipHopper Keyti und Matador, die im Rahmen des Austauschprogramms „Dox Dajé“ nach München kamen. Foto: Konrad Fersterer/Siemens Stiftung
Erzählten Geschichten von Arbeitslosigkeit, Widerstand und Liebe: die senegalesischen HipHopper Keyti und Matador, die im Rahmen des Austauschprogramms „Dox Dajé“ nach München kamen. Foto: Konrad Fersterer/Siemens Stiftung
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Ein Kontinent vernetzt sich musikalisch

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Bei der Unterstützung der „Music In Africa Foundation“ ist Umsicht gefragt
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Vielleicht kann HipHop ja helfen. Denn im Senegal, meint Rapper Keyti im Gespräch, wäre es für jemanden, der Texte schreibt, kaum möglich, nicht politisch zu sein. Auch eine Plattform, wie das frisch gestartete musicinafrica.net wird sich daher auf lange Sicht nicht nur um Musik kümmern können.

Es ist eine verkehrte Welt. Einerseits ist die afrikanische Musikkultur eine der ältesten der Menschheit. Zeichnungen in Pharaonengräbern zeigen Instrumente, deren Nachfahren noch heute in Gebrauch sind und deren Vorläufer wohl auch schon vor den Ägyptern verwendet wurden. Man kann daher davon ausgehen, dass in der Subsahara-Region bereits ausgiebig musiziert wurde, als in Mitteleuropa noch niemand ahnte, wie eine Leier aussehen könnte. Andererseits gilt Afrika heute in der Außenperspektive als Entwicklungs- und Krisenregion. Als Entwicklungsregion, weil die bislang typischen Vertriebswege am Eingangstor zu jedem Basar oder Wochenmarkt enden, lokale musikalische Geschmäcker über den westlich geprägten Musikmarkt nicht bedient werden können und genau genommen kaum jemand einen Ahnung davon hat, was südlich von Gibraltar künstlerisch passiert. Als Krisenregion, weil auch die Geschäftsstrukturen so wenig mit der kapitalistischen Wertschöpfungskette übereinstimmen und von regionalen politischen Unsicherheiten beeinflusst werden, dass man, wenn überhaupt, afrikanische Künstler nach Multiplikationsmetropolen wie Paris exportiert, um von dort aus die bewährten Businessmodelle zu bedienen. 

Wachstumsmarkt

Dieses Defizit ist bekannt und wird auch aus der Innensicht als solches empfunden. „Wir wissen viel über Amerika“, meint Eddie Hatitye, Direktor der Music In Africa Foundation, „aber wir wissen wenig über Afrika und seine Künstler, über das Business, das Drumherum. Wenn man zum Beispiel erfahren will, wie man einen Vertrag abschließt, was man Organisatorisches für Konzerte braucht oder auch wie man sich an die Presse wendet, muss man sich bislang alles irgendwo zusammensammeln.“ Das ist bereits die zweite Ebene, die das frisch mit der Website musicinafrica.net aktiv gewordene gleichnamige Netzwerk bedienen will. In erste Linie geht es um die Musiker selbst, denen die Möglichkeit gegeben werden soll, sich auf einem zentralen Portal der Netzöffentlichkeit vorzustellen und untereinander über regionale und nationale Grenzen hinaus in Kontakt zu treten. Das Bedürfnis ist vorhanden, denn die Musikwelt der Länder südlich der Sahara brodelt vor Kreativität. Das Publikum ist jung, im Senegal beispielsweise sind 80 Prozent der Menschen jünger als 30 Jahre. Das internationale Interesse an den einzelnen Szenen und deren Konsumenten nimmt zu, vor allem der digitale Markt wittert Morgenluft. Schließlich haben viele afrikanische Regionen und Nationen das Festnetz-Stadium schlicht übersprungen, um gleich die mobilen Angebote auszubauen. Internationale Portale wie Deezer oder iTunes eröffnen afrikanische Dependancen, Mobile Music Anbieter wie Spinlet, iROKING oder Simfy expandieren. Hier eröffnet sich ein gigantischer und – im Unterschied zum staatlich gelenkten China – diffus agierender Wachstumsmarkt, der schnellstmöglich professionelle Ansprechpartner und Alternativen vor Ort braucht, um nicht von internationalen Konzernen vereinnahmt zu werden.

Kulturdialog und Eigenständigkeit

Daran knüpft die Music In Africa Foundation an. Gegründet im Sommer 2013 in Kenia stehen ihr die Siemens Stiftung und die Goethe-Institute zur Seite. Der Hauptsitz ist in Johannesburg, ergänzt um nationale Büros in Kenia, Nigeria, dem Senegal und der Demokratischen Republik Kongo. Entscheidungen werden von einem afrikanischem Gremium getroffen, die europäischen Partner haben vor allem unterstützende und organisatorische Funktion. Und sie sind sich der Ambivalenz postkolonialistischer Hilfeleistung durchaus bewusst. „Eine unserer zentralen Aufgaben ist es, den Kulturdialog zu fördern“, erklärt der Leiter des Goethe-Instituts in Subsahara-Afrika, Norbert Spitz. „Sieht man sich die afrikanische Szene an, findet man viel Potenzial, aber wenig Unterstützung. Das Goethe-Institut kann sein über den Kontinent verteiltes Netzwerk beisteuern, wobei jedes einzelne Institut wiederum ein eigenen Netzwerk in den örtlichen Kulturszenen hat. Konkrete Hilfe besteht beispielsweise darin, dass wir der Music In Africa Foundation im Gebäude der Goethe-Instituts Johannesburg Büroräume zur Verfügung stellen, so dass sich die Stiftung treffen und von dort aus arbeiten kann. Inhaltlich wiederum mischen wir uns nicht ein. Die Vision ist ja, dass Music In Africa eines Tages völlig unabhängig agiert. Da muss die Product Ownership von Anfang an in deren Händen liegen.“ Tatsächlich ist bei einem Projekt, dass sich derart umfassend mit einer der Grundlagen der afrikanischen Kultur beschäftigt, viel Umsicht gefragt, um dem Gefühl der Bevormundung entgegenzusteuern. Denn das Bedürfnis, das Boot selbst zu lenken, ist vorhanden. Gebraucht werden eine Anschubfinanzierung, ein guter Start, sinnvolle Projekte, reelle Partner. „An sich wäre der Staat verpflichtet, etwas zu tun, nicht die Europäer, Deutschen oder Franzosen“, meint der Rapper Keyti, ein Szenestar in seiner Heimat Senegal und darüber hinaus. „Wer es aber nach einem Jahrzehnt nicht geschafft hat, auf eigenen Beinen zu stehen, sollte den Job lieber hinschmeißen. Wir jedenfalls müssen lernen, unabhängig zu sein. Das ist unserer Herausforderung. Wir wissen, was wir brauchen, lasst uns kreativ sein!“

Wissenstransfer, nicht Verkauf

Viele Energien werden von Künstlern wie ihm und den Mitarbeitern der Music In Africa Foundation in den folgenden Monaten in den Ausbau des Internetportals musicinafrica.net fließen. Es ist eine nicht-kommerzielle Website, die sich an Musiker und Professionals wie Journalisten, Veranstalter, Lehrer, Wissenschaftler oder auch andere Internetseiten ebenso wendet wie an Musikfans und Publikum. Ziel ist, bis zum Sommer 10.000 Mitglieder unter ihrem Dach zu versammeln, die Beiträge von Magazinartikeln über Künstlervorstellungen bis hin zu organisatorischen Tipps, Fotos oder Musikfiles beisteuern. Bislang stehen 17 Länder von Kamerun bis Zimbabwe im inhaltlichen Fokus, Tendenz steigend. Es geht um Vernetzung, Vermittlung, nicht um Verkauf von Musik, um Entdeckungen, Wissenstransfer sowohl von Hintergründen wie von praktischen Tipps für den Künstleralltag und Veranstaltungshinweise. Damit trifft das Projekt auch Interessenslagen deutscher Partner wie der Münchner Muffathalle, die seit zwei Jahrzehnten Musik aus Afrika zu ihren Konzertschwerpunkten zählt und in Kooperation mit der Stiftung Events wie Dox Dajé präsentieren kann, einen Abend mit senegalesischem Hip-Hop.

Der Sound von Dakar

Und da zeigt sich, dass Dakar musikalisch nicht weit vom Rest der Welt entfernt ist. Beats und Gesten ähneln dem, was international en vogue ist, stilistisches Lokalkolorit findet sich nur selten etwa in Gestalt eines gesampelten N‘Goni-Motivs oder eines Kora-Patterns. Aber darum geht es den Rappern nicht. Die etablierten Hiphopper Keyti, Matador und deren Nachwuchskollege MC P.P.S The Writah erzählen Geschichten von Arbeitslosigkeit und Widerstand, von Selbstbewusstsein und gelegentlich auch von der Liebe, von DJ Gee Bayss wuchtig in wummernde Rhythmen verpackt. Es sind ernste Songs, weit entfernt vom Goldkettchengeprotze der Kommerzvorlagen, so weit, dass auch der Münchner Gast Cajus von Blumentopf nicht wirklicht seinen Weg in den senegalesischen Klangkosmos findet. Aber das muss auch nicht sein. „Lasst uns unsere Sachen in unserer Form machen“, sagt Keyti mantraartig, aber ernst. „Wir müssen unseren Weg finden. Und eine Aufgabe von Hiphop ist es, den Leuten zu erklären, wie sie alles selbst auf die Reihe kriegen. From zero to hero, das geht. Am Anfang habe ich meine Texte im geheimen geschrieben, nicht eimal meine Familie durfte davon wissen. Ich habe weitergemacht und inzwischen hören die Leute zu“. Andere sollen es auch so machen, meint er weiter. Vielleicht hilft ihnen ja musicinafrica.net, dass ihre Pläne auch gelingen.

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