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Ein Schloss der Musen und ihr Meisterhaus

Untertitel
Villa Musica und die Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz in Engers
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Schloss Engers ist ein Idyll des Rokoko, am rechten Rheinufer zwischen Koblenz und Neuwied gelegen. Die weißblau leuchtende Fassade und die imposanten Risalite mit ihren Mansardendächern ziehen die Blicke auf sich, gleichgültig, ob man auf dem Schiff, mit dem Fahrrad oder Auto hier vorbeikommt. Doch was so idyllisch scheint, ist in Wahrheit von quirliger Betriebsamkeit: ein Musenschloss, das sich ganz der Förderung junger Musikerinnen und Musiker verschrieben hat.

Wo einst ein sinnenfroher Kurfürst seiner Jagdlust frönte, wird heute Musik gemacht: von den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Landesstiftung Villa Musica Rheinland-Pfalz und von all jenen Ensembles, die in die rheinland-pfälzische Landesmusikakademie gekommen sind. Es ist eine Symbiose zweier Landesinstitutionen, die den ganzen Weg von der Förderung musikalisch hoch begabter Schüler bis hin zur Kammermusikelite der deutschen Hochschulen in sich vereinen. Die beiden Häuser bieten Ensembles und Solisten, Chören und Orchestern, Blaskapellen und Vokalgruppen, prominenten Dozenten und Dirigenten ein Heim auf Zeit im Dienst des Nachwuchses.

Nah am Wasser gebaut, ist diese doppelte Musikbildungsstätte dennoch kein Kind von Traurigkeit. Rheinischer Frohsinn paart sich im Neuwieder Stadtteil Engers mit idealen Voraussetzungen für konzentriertes Proben und Konzertieren.
Operation Kammermusik

Als die Landesregierung Rheinland-Pfalz das Schloss 1990 erwarb, empfahl sich bald die Landesstiftung Villa Musica mit einem idealen Nutzungskonzept. Die Stiftung setzte auf das Miteinander von prominenten Dozenten aus der ganzen Welt und handverlesenen Musikstudenten in Kammermusik der unterschiedlichsten Besetzungen. Das Schloss bot dafür die idealen Voraussetzungen, nachdem es jahrzehntelang als Klinik genutzt und nun auf die Zwecke der Musik umgerüstet worden war. Aus jedem Krankenzimmer wurde ein gemütliches Gästezimmer zur Unterbringung der Musiker, aus jedem OP ein Probenraum. Der Saal der Diana, die reich dekorierte Mitte des Barockbaus, entpuppte sich als Kammermusiksaal von idealer Akustik und bezauberndem Flair.

Seit 1995 kann all dies für die Zwecke der Villa Musica und zur Freude des Publikums bespielt werden. In den vergangenen elf Jahren füllten sich in Schloss Engers weit über 400 Konzerte mit Publikum, mehr als 1.000 junge Musikerinnen und Musiker haben sich im Schloss fortgebildet. Freunde und Kenner der klassischen Kammermusik bewundern regelmäßig den Schlagabtausch zwischen den durch Probespiele ausgewählten Stipendiaten und den Dozenten der Stiftung, unter denen sich prominente Namen finden. Denn am Schnittpunkt dreier Autobahnen gelegen (A 3, 48, 61), ist Schloss Engers auch für die Jetsetter der Musik unschwer zu erreichen. Sie sind und waren hier zu Gast, Namen wie Ulf Rodenhäuser und Sabine Meyer, Myriam Fried und Pinchas Zukerman, Menahem Pressler und Robert Levin, Ingo Goritzki und Klaus Thunemann, Reinhard Goebel und Andrew Manze, Thomas Brandis und Ulf Hoelscher.

Prinzip Villa Musica

Sie alle haben ein Ziel: den besten Studentinnen und Studenten der deutschen Musikhochschulen den letzten Schliff in der Kammermusik zu verleihen. Das tun sie seit nunmehr 20 Jahren, denn im November 2006 feiert Villa Musica ihren 20. Geburtstag. Die Stiftung wurde 1986 von der Landesregierung Rheinland-Pfalz und dem damaligen Südwestfunk gegründet, um den musikalischen Nachwuchs zu fördern und Konzerte im ganzen Bundesland zu veranstalten. Beide Ziele vereinen sich zum „Prinzip Villa Musica“.
Schloss Engers dient als „Akademie für Kammermusik“ und zugleich als Mitte eines Netzwerks aus Veranstaltern, bei denen die Ergebnisse der Kurs-Projekte gleich klingend vorgestellt werden. Aus einem Stamm von rund 120 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die nach erfolgreichem Probespiel für drei Jahre kostenlos die Angebote der Stiftung wahrnehmen können, rekrutiert sich die Besetzung jedes Projekts, das in der Regel von zwei Dozenten betreut wird. So lenken etwa im Mendelssohn-Oktett Nicolas Chumachenco an der ersten Geige und Martin Ostertag am zweiten Cello die Geschicke des Ensembles, nehmen die sechs Stipendiaten in ihre Mitte und erarbeiten mit ihnen das Werk zwischen Montag und Freitag bis zur Konzertreife. Am Wochenende erklingt es dann in drei verschiedenen Konzertsälen in Rheinland-Pfalz, etwa in der Villa Ludwigshöhe im pfälzischen Edenkoben, im Hüttenhaus in Herdorf ganz im Norden oder im Kurfürstlichen Palais in Trier, in Mainz, Worms oder Bingen.

Schloss Engers steht im Zentrum eines Netzwerks, das mehr als 40 Mitveranstalter in ganz Rheinland-Pfalz umfasst. Rund 130 Konzerte jährlich sind das Ergebnis der Proben im Schloss. Ihre Programme sind oft ausgefeilt, tragen die Handschrift von Ulf Rodenhäuser, dem Spiritus Rector des Kursbetriebs bei Villa Musica. Gemeinsam mit dem Künstlerischen Leiter Klaus Arp und einem Künstlerischen Beirat legt er die Marschroute für die kammermusikalischen Erkundungen jeder Saison fest. Mehr als 2.000 Raritäten wurden in dieser konsequenten Kammermusik-Archäologie bislang zu Tage gefördert, stets gepaart mit den großen Werken, die jeder Kammermusiker kennen und beherrschen sollte – von Mozarts Streichquintetten über das Beethoven-Septett und die Brahms-Sextette bis hin zu den Kammersinfonien von Schönberg.

Eingebettet ist dieses hoch konzentrierte Musizieren in eine fest gefügte Struktur. Ein Vorstand mit dem amtierenden Staatssekretär für Kultur an der Spitze trifft bei der Stiftung die wesentlichen Entscheidungen, ein prominent besetztes Kuratorium wacht über die Belange der Institution. Die Rendite des Stiftungskapitals deckt einen Großteil der Kosten jeder Saison ab. Dies sind die wesentlichen Pfeiler des Systems, das Villa Musica Rheinland-Pfalz in Deutschland zu einer ganz besonderen Institution macht. Denn wo leistet sich eine Landesregierung sonst eine Stiftung, die einzig und allein der Kammermusik und ihrer Zukunft gewidmet ist? Ihr Aushängeschild ist Schloss Engers, das schmucke Palais des Kurfürsten von Walderdorff, dem Künstler wie Johannes Seitz oder Januarius Zick ein Paradies auf Erden schufen. Heute kommen die paradiesischen Klänge der Kammermusik hinzu.

Die Landesmusikakademie zieht ein Wechselhaft war die Geschichte von Schloss Engers nach dem Ende des alten Reiches und des Kurstaats Trier. Erst regierten hier die Nassauer, dann ließen sich die Preußen nieder und errichteten eine Kadettenanstalt – mit allem, was dazu gehört. Bald waren Nebengebäude nötig, so auch das 1901 bis 1903 errichtete „Meisterhaus“. Von der preußischen Domänenverwaltung im neobarocken Stil erbaut, diente es zunächst der Kriegsschule als Lazarett, bevor es samt dem Schloss von der katholischen St.-Josefs-Gesellschaft erworben wurde. Die karitative Einrichtung, die Schloss Engers zur Klinik umbaute, richtete im Nachbarhaus Wohnungen für Handwerksmeister ein, daher der Name „Meisterhaus“.

Im Jahr 2000 erwarb die Stiftung Villa Musica das Haus, um hier mit Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz eine zentrale Landesmusikakademie einzurichten. Es war die erste in Rheinland-Pfalz, ein Bundesland, das bis dato über kein festes Gebäude für seine Landesmusikakademie verfügt hatte, obwohl Letztere schon 1982 vom Landesmusikrat gegründet worden war. Ihre Aktivitäten, bisher sozusagen ambulant betrieben, wurden damit stationär. 2003 konnte Ministerpräsident Kurt Beck die Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz im Meisterhaus zu Engers einweihen.

Seitdem steht sie, getragen von einem gemeinnützigen Verein, als klassische Belegakademie allen Musikausübenden offen, die in Eigenregie an ihren selbst gesetzten musikalischen Zielen arbeiten möchten. Die Gastbelegungen weisen, typisch für eine Landesmusikakademie, ein breites Spektrum auf: Chöre, Orchester, Bands, Schulensembles, die Landesjugendensembles – seit kurzem gemeinsam auftretend unter der Dachmarke „Junge Musik Rheinland-Pfalz“ – und Verbände proben oder tagen gerne in Engers. Kurz: Allen Gruppierungen der Laienmusik steht die junge Einrichtung offen, und oft genug geben sie sich buchstäblich die Klinke in die Hand.

Auch nach seinem Umbau hat das Akademiegebäude die klare Raumgliederung beibehalten und seinen überschaubaren Charakter bewahrt. In aller Regel sind die musizierenden Gäs-te unter sich, Parallelbelegungen gibt es nur selten. Die hohe Funktionalität des Meisterhauses in Verbindung mit einer Atmosphäre, die dem Charakter eines geräumigen Wohnhauses gleicht, regt an, konzentriert zu arbeiten, belebt aber auch die Kommunikation und animiert zu persönlichen Begegnungen. Liegt es daran, dass sich die Fortbildungsveranstaltungen für musikpädagogische Berufe aller Art so rasch etabliert haben? In der Kooperation mit dem Staatlichen Institut für Lehrerfortbildung und in Absprache mit den Berufsverbänden werden jährlich rund 20 Lehrerfortbildungskurse für das Fach Musik angeboten, gemeinsam finanziert – und gut besucht. Die Auswahl der Inhalte und Dozenten zielt auf die musikpädagogische Praxis. Begrenzte Kursgrößen lassen bewusst genügend Spielraum zum eigenen Singen, Spielen, Tanzen, Ausprobieren und Üben.

Themenorientierte Kurse entwickeln sich oft zum Treffpunkt für Lehrkräfte unterschiedlicher Herkunft. Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer kommen mit Lehrkräften allgemeinbildender Schularten zusammen, Erzieherinnen und Erzieher bilden sich im gleichen Kurs mit Grundschullehrkräften fort oder tauschen ihre Erfahrungen mit Fachkräften aus dem sozialpädagogischen Bereich aus. Die Mischung macht’s.

Das gilt auch für Kurse, die der Jugendförderung zugedacht sind. In Meisterkursen oder Kursen zur Wettbewerbsvorbereitung mischen sich Jüngere und Ältere. Schülerinnen und Schüler können sich mit bereits Studierenden vergleichen und schauen manchmal neidvoll bewundernd auf das, was ihnen ihre Dozenten vermitteln. Erfahrene Künstler und Pädagogen wie Hans Christoph Begemann, Maria Egelhof, Gerhard Gnann, Hans-Jürgen Kaiser, Gorjan Kosuta, Werner Schrietter, das Rennquintett oder das Klavier-Duo Stenzl – sie und viele andere Meister ihres Fachs kümmern sich um den musikalischen Nachwuchs. Junge Dozenten wie Oliver Triendl, Ursula Maria Berg, Sheila Arnold, Kerstin Grötsch tun es ihnen gleich. Sehr viele von ihnen waren bis vor kurzem noch Stipendiaten der Villa Musica, ebenso wie Martin Stadtfeld, Thomas Hammes und Charlotte Balzereit, die ihr Debüt als Unterrichtende unlängst gaben.

Auch älteren Menschen wendet sich die vielseitige Einrichtung zu. Erstmals in diesem Jahr fanden Senioren den Weg in das barrierefreie Meisterhaus, sei es, um einen Samba selbst zu spielen, alte und neue Lieder zu singen oder an Chorwerken zu feilen. Mit der Landeszentrale für Gesundheitsförderung Mainz als Partner wurden Fortbildungsangebote eingerichtet, die Fachkräften in der Pflege und Betreuung demenzkranker Menschen zeigen sollen: Musik kann als Möglichkeit zur Verständigung dort weiterhelfen, wo die Sprache versagt.

Zwei Büros genügen, um den rastlosen Betrieb in der Akademie zu steuern und manchmal auch die Jugendlichen in den Gängen zur Raison zu rufen. Die 14 Zimmer sind flexibel belegbar, die beiden Probesäle können auch als Tagungsräume genutzt werden. Fünf Übungsräume stehen im Untergeschoss zur Verfügung, dazu ein Studio im Dachgeschoss. Der Blick auf den Rhein inspiriert auch hier, wie im Schloss, die Musiker. Das Einzige, was man vom Strom zu fürchten hat, ist das Hochwasser. Es hat zum letzten Mal 1995 zugeschlagen, wenige Wochen vor dem Einzug der Villa Musica, als im Schloss die Keller überflutet wurden. Seitdem hat sich Vater Rhein jeweils am Scheitelpunkt des Hochwassers in gebührendem Abstand von Instrumenten und Proberäumen wieder in sein Flussbett zurückgezogen.

Jeder für sich und beide zusammen

Aus allen Nähten platzt Schloss Engers immer dann, wenn hier das Lan-desjugendorchester Rheinland-Pfalz oder ähnlich große Ensembles einziehen. Denn im Nutzungskonzept bilden Schloss und Meisterhaus bewusst eine Einheit, die für größere Projekte mit bis zu 90 Betten und 10 Proberäumen aufwarten kann. Das scheint sich auch jenseits der Landesgrenzen herumgesprochen zu haben. Kein Wunder, dass der Name von Engers auch über die Landesgrenzen hinausklingt: Ob Hilliard Ensemble, German Brass, Europa Cantat oder Europäisches Barockorchester – man ist aufmerksam geworden.

Kein Wunder, dass sich neben den Musikern auch immer wieder andere Gruppen zur Belegung der Häuser einfinden. Industrie und Verwaltung nutzen Schloss und Meisterhaus hin und wieder als attraktive Tagungsstätte. Aber das ist noch längst nicht alles, was die Mauern von Schloss Engers erzählen könnten. Das aber können Sie nicht in einer Fachzeitschrift für Musik finden.

Anschriften und Infos:

Villa Musica
Auf der Bastei 3, 55131 Mainz
Tel. 0 61 31 - 925 18 00
Fax 0 61 31 - 16 92 03
E-Mail: info [at] villamusica.de (info[at]villamusica[dot]de)
www.villamusica.de

Landesmusikakademie
Rheinland-Pfalz
Am Heinrichhaus 2
56566 Neuwied-Engers
Tel. 0 26 22 - 90 52 0
Fax 0 26 22 - 90 52 52
info [at] landesmusikakademie.de (info[at]landesmusikakademie[dot]de)
www.landesmusikakademie.de

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