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Eine europäische Metropole - zwei Musikhochschulen

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Historischer Luxus oder Standardausstattung einer fast insolventen
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Der heimliche Kultur-, Wissenschafts-, Bildungs- und-und-und –senator Sarrazin, hauptberuflich Berliner Finanzsenator, träumt von einer Hochschule, die vor allem möglichst wenig Steuergelder in Anspruch nimmt. Wer ohne nennenswerte gesellschaftliche Gegenreaktion die Position vertreten kann, dass eine Oper für die Hauptstadt reichen müsse, dem liegt die „Vision“ einer Musikhochschule, frei nach dem Motto „Aus zwei mach eins“, auf der Zungenspitze. Der Einstieg für dieses Szenario könnten die Verhandlungen für die Erneuerung der Hochschulverträge, die Ende 2005 auslaufen, sein. Sarrazin fordert eine 20% Absenkung bei den finanziellen Zuweisungen, was die Hochschulen in ihrem Profil bis zur Unkenntlichkeit deformieren würde und somit einer Konzentrationsdebatte Vorschub leisten könnte.

In der Tat kann der Finanzsenator mit seinen berüchtigten Zahlenfolien eindrucksvoll die desaströse Haushaltssituation belegen, um in der Folge mit meist aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlenvergleichen (Stadtstaaten, andere Kulturmetropolen) in den anderen Fachressorts seiner Senatskollegen mit Zirkusreifen Kürzungsvorschlägen zu wildern. Die Landespolitik ist auch deshalb mehr als bisher gefordert, die immer wieder verkündete Prioritätensetzung zu Bildung, Wissenschaft, Kultur und Forschung kassenwirksam werden zu lassen. Es gibt gute Beispiele in Deutschland, aber auch in einigen europäischen Ländern, wo die Kämmerer es verstanden haben, dass sie am besten sparen können, wenn sie in diese Bereiche investieren. Dazu bedarf es aber auch einer offensiveren Diskussions- und Streitkultur, die sich nicht nur um das Geld, sondern um Inhalte und Umsetzungskonzepte dreht. Die zunehmende Ökonomisierung unseres Denkens und Handelns in fast allen Lebensbereichen verstellt den Blick auf notwendige Investitionen für eine lebensfähige und lebenswerte Gesellschaft von morgen und übermorgen.

Dazu gehören die beiden Berliner Musikhochschulen, die es aus unterschiedlichen Ansätzen heraus verstehen, sich mit den Bildungs- und Kultureinrichtungen zu vernetzen und die gewaltigen Potenziale dieser Stadt zu schöpfen. Dieses Potential einer immer noch beispielhaften Dichte und Vielschichtigkeit in der kulturellen Infrastruktur ist eine Aufforderung an alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen, Bildung und Kultur als Querschnittsaufgabe zu betrachten und das Beziehungsgeflecht weiter auszubauen – von der Kindertagesstätte bis zum Spitzenorchester. So sind beispielsweise die unterschiedlichen Vorbereitungsprogramme für Kinder und Jugendliche der Berliner Orchester und die Kooperationen zwischen den Musikschulen und den allgemein bildenden Schulen hoffnungsvolle Ansätze auf dem Wege zu einer ganzheitlich verstandenen musischen Bildung. In diesem Prozess des Verbindungen und Bindungen Herstellens, des Bewußtseinsmachens dieses Potentials, könnten und sollten die beiden Musikhochschulen im Verbund mit den Bildungs- und Kultureinrichtungen und den Verbänden eine zentrale Rolle spielen.

Die mit Promotionsrecht ausgestattete Universität der Künste beherbergt mit der Fakultät Musik die zweitgrößte und zweitälteste Musikhochschule Deutschlands. Bei der Hochschule für Musik Hanns Eisler, die für das kommende Jahr ebenfalls den Abschluss eines Hochschulvertrages anstrebt, zeigt sich neben der Besonderheit des Studienganges Kulturmanagement wie bei der UdK die enge Verbindung zu den Orchestern.

Die Liste der Probleme ist lang und belegt nachdrücklich, dass im Interesse der Arbeitsfähigkeit beider Einrichtungen, kein Kürzungspotential mehr vorhanden ist, zumal mit den vorhandenen Kapazitäten nicht nur der Berliner Raum abgedeckt wird. Vielmehr ist die Politik jetzt gefordert, zügig die Rahmenbedingungen, die Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen, zu schaffen oder auf den Weg zu bringen.

Auf der Basis von Planungssicherheit, Budgetierung und Ressourcenverantwortung hätten die Hochschulen eine bessere Ausgangsbasis für die eigenverantwortliche Binnensteuerung und die Fremdmitteleinwerbung. Hier sollte das besondere Augenmerk auf der Zusammenarbeit mit Stiftungen liegen, denn die Bereitschaft zum Stiften hat sich mit der Reform des Stiftungsrechts erfreulich erhöht (2001: 830 und 2002: 750 Stiftungsgründungen).

Die unterschiedlich gewachsenen Profile beider Hochschulen sind eine Chance bei dem permanenten Abgleich von Schnittmenge und institutsbezogener Profilierung. Auf dieser Basis einer konkurrierenden Kooperation wächst die Bereitschaft zu einem partnerschaftlichen Wettbewerb. Das von beiden Hochschulen gegründete Kurt-Singer-Institut für Musikergesundheit ist ein gutes Beispiel dafür.

Das im internationalen Vergleich beeindruckende Kreativpotenzial beider Hochschulen ist auch im Interesse einer möglichst breiten Verankerung im öffentlichen Bewusstsein eine Verpflichtung für eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Hier gibt es insbesondere bei der Universität der Künste noch Nachholbedarf.

Die Attraktivität der Angebote für die Studierenden aus dem In- und Ausland ist ein Standbein der Hochschularbeit – die gesellschaftlichen Anforderungen das andere Standbein. Musiklehrermangel, Pianistenschwemme und das Kontingent frustrierter Nichtsolisten sind Kennzahlen für einen dringenden Nachsteuerungsbedarf. In der Balance von „Nachfrage wecken und Nachfrage decken“ müssen Themenfelder wie beispielsweise das sich verändernde Rezeptionsverhalten und die Auswirkungen auf die Orchester, Verstärkung des interkulturellen Dialoges und die demographische Entwicklung mehr und frühzeitiger als bisher in den Steuerungsprozess konzeptioneller Planung und der Gewichtung der Ausbildungskapazitäten einfließen als bisher.

Die Hochschule für Musik Hanns Eisler und die Universität der Künste sind ein historisch bedingtes Geschenk und bilden zwei Juwelen in dem Gesamtkunstwerk Berlin – einer aufregenden Stadt voller Ab-, Um- und Aufbrüche.

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