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Greta Klingsberg und Ikra Latif. Foto: Filmpresse Meuser
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Eine Spurensuche mit Musik

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„Wiedersehen mit Brundibár“: Berliner Jugendliche setzen sich mit dem Holocaust auseinander
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Die Kinderoper „Brundibár“ des tschechisch-jüdischen Komponisten Hans Krása wurde vor allem durch ihre zahlreichen Aufführungen im KZ Theresienstadt berühmt. Dabei wechselte ständig die Besetzung, denn immer wieder wurden Mitwirkende abtransportiert. Nachdem 1944 nach der 55. Aufführung fast die gesamte Besetzung auf einmal sowie der Komponist selbst deportiert worden war, gab es keine weiteren Aufführungen mehr. Krása starb in Auschwitz, ebenso wie seine jugendlichen Sängerinnen und Sänger.

Als die Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ der Berliner Schaubühne im Jahr 2012 beschließt, sich mit dem Stück auseinanderzusetzen, werden die Probenmonate auch zu einer Zeit der intensiven Beschäftigung mit der Nazizeit und dem Holocaust. Der Filmemacher Douglas Wolfsperger hat diesen Prozess mit der Kamera begleitet und einen Dokumentarfilm daraus gemacht, der insbesondere dadurch berührt, dass er, über Generationen und Länder hinweg, die Berliner Jugendlichen mit der Auschwitz-Überlebenden Greta Klingsberg zusammenbringt, die als 13-Jährige in Theresienstadt die Hauptrolle in „Brundibár“ gesungen hatte und heute in Israel wohnt. Unter anderem verwendet Wolfsperger Ausschnitte des Propagandafilms „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Auch Greta Klingsberg ist darin, zusammen mit vielen anderen Kindern, bei einer „Brundibár“-Aufführung zu sehen.

Dass die meisten dieser Kinder bald danach in Auschwitz ermordet wurden, wie auch Klingsbergs jüngere Schwester, kommt erst gegen Ende des Films zur Sprache, bei einer gemeinsamen Reise nach Theresienstadt, die die Berliner Jugendlichen gemeinsam mit der alten Dame unternehmen. Sie besichtigen den Schlafsaal, in dem Greta mit dreißig anderen Kindern wohnte, und versuchen, der Vergangenheit nachzuspüren. Die verschiedenen Zeitebenen kommen in Wolfspergers Film auf ganz natürliche Weise zusammen, weil er der Gegenwart, in der die Jugendlichen leben, ebenso Raum gibt, wie der ungleich schwereren Kindheit der damals jungen Greta. Doch auch die „Zwiefachen“ haben alle ihr Päckchen zu tragen, denn in der Truppe spielen junge Menschen, die, wie die Projektleiterin es ausdrückt, „schon gerettet sind“. Drei von ihnen stellt Wolfsperger exemplarisch in den Mittelpunkt: die 18-jährige Annika, die sich mit ihrer psychischen Störung von den Eltern alleingelassen fühlte und die Schule abgebrochen hat, die gleichaltrige Ikra, die häuslicher Gewalt entkommen ist, und den 23-jährigen David, der eine heftige Drogenkarriere und eine halbstarke Jugend in rechtsradikalen Zusammenhängen erfolgreich hinter sich gelassen hat. Es beeindruckt, wie ernsthaft die drei sich auch mit den eigenen Vorurteilen auseinandersetzen – ganz im Gegensatz zu jener Generation, die die Nazizeit noch selbst miterlebte.

Zu den erschütterndsten Szenen im Film gehören die Gespräche, die Ikra mit alten Menschen in einem Pflegeheim führt, in dem sie ihr Schulpraktikum absolviert. Über ihre Erinnerungen an damals befragt, lobt eine alte Dame ihren ehemaligen jüdischen Hausarzt dafür, dass er, als er schon den Stern trug, stets auf die andere Straßenseite wechselte, um die Familie nicht der Verlegenheit auszusetzen, ihn grüßen zu müssen. Der alte Herr, der neben ihr sitzt, enthält sich ganz einer Antwort und belehrt stattdessen die neugierige Praktikantin, sie könne in der Bibliothek Bücher entleihen, aus denen sie alles erfahre. Auf der anderen Seite erzählt aber auch Greta Klingsberg, sie habe in Israel nie wirklich mit jemandem darüber sprechen können, was damals passiert sei.

Dass oft, und insbesondere in diesem Fall, erst Kunst beziehungsweise Musik eine Plattform und einen Anlass zur Kommunikation bieten, ist ein Aspekt, der eher untergeht in Wolfspergers Film. Man kann es wohl noch als nachvollziehbare inhaltliche Entscheidung verbuchen, dass man als unbedarfter Kinogänger nur sehr wenig über die Oper „Brundibár“ und rein gar nichts über ihren Komponisten erfährt.

Warum aber niemand auf die Idee kommt, Greta Klingsberg genauer über die konkreten Umstände der damaligen Probenarbeit oder ihr Verhältnis zum Stück zu befragen, das ist schon schwerer zu verstehen – vor allem, da doch alle die ganze Zeit betonen, wie wichtig es sei, mit den noch Lebenden zu sprechen. Oder hat der Filmemacher diese Gesprächsteile beim Schnitt weggelassen, da er sie für das breite Kinopublikum zu theaterspezifisch fand? So bleibt es, was die Kommunikation über „Brundibár“ selbst betrifft, dabei, dass die junge Annika und die alte Greta zweisprachig ein paar Lieder aus Krásas Oper trällern.

Doch auch wenn der Film sich von seinem konkreten Anlass recht weit ins Allgemeinmenschliche entfernt, so reißt er einen doch mit. Das liegt vor allem an der ungestellten persönlichen Wahrhaftigkeit seiner Protagonisten.

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