Hauptbild
Favorit der diesjährigen nmz-Buchumfrage: Gedanken zu „Musik und Abschied“ von Peter Gülke (Bärenreiter)
Favorit der diesjährigen nmz-Buchumfrage: Gedanken zu „Musik und Abschied“ von Peter Gülke (Bärenreiter)
Banner Full-Size

Grundsätzliches jenseits der Programmheft-Prosa

Untertitel
Die traditionelle Buchumfrage der nmz unter Prominenten des deutschen Musiklebens
Publikationsdatum
Body

Die Buch-Tipps von Hans Bäßler, Nikolaus Brass, Eleonore Büning, Albrecht Dümling, Moritz Eggert, Meret Forster, Clytus Gottwald, Michael Haefliger, Peter Michael Hamel, Hans Joachim Hespos, Jörn Peter Hiekel, Nicolaus A. Huber, Frank Kämpfer, Wolfram Knauer, Gerald Mertens, Eva Rieger und Olaf Wilhelmer

Peter Gülke: Musik und Abschied. Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 362 S., € 29,95
Die vom „Nobelpreisträger Musik“ geschriebenen Reflexionen über den Topos Abschied in der Musik gehören sicher zum Interessantesten, was überhaupt im letzten Jahr erschienen ist. Der Musikwissenschaftler und Dirigent Peter Gülke verzahnt die persönlichen Erfahrungen des endgültigen Abschieds eines Jahrzehnte geliebten Menschen mit der Musik seit den Niederländern. Dieses Verfahren ist  atemberaubend, weil das stupende Wissen des Autors auf musikalische Querverbindungen verweist, die dem Leser erst eine wirkliche Perspektive auch auf den eigenen Abschied von dieser Welt vermitteln.
Hans Bäßler, Musikhochschule Lübeck

Peter Gülke: Musik und Abschied. Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 362 S., € 29,95
Ein reiches Buch, und Peter Gülke gelingt es auf berührende Weise, bei aller Fülle des aufgerufenen Materials, des Lesers Blick und – ja, auch sein Herz – immer auch auf die Tiefenaspekte zu lenken, die das Thema Musik und Abschied einfordert. Nicht zuletzt durch die den musikwissenschaftlichen Teil inter- und kontrapunktierende Kette von Gedanken und Meditationen, die mit „Selbstgespäch““ überschrieben sind und in denen der Autor das überaus schmerzhafte Ausgeliefertsein an das, was Abschied heißt, in eine persönliche, wunderbar klare und nie larmoyante Sprache zu binden weiß. Aus diesem persönlichen „Getroffensein“ heraus wächst den musikwissenschaftlichen Skizzen, Betrachtungen und Assoziationen eine Glaubwürdigkeit zu, die deren Genauigkeit umso heller leuchten lässt. So finden sich Einsichten in Zusammenhänge, die nur einem „liebenden“ Blick zugänglich sind, beispielsweise in der Charakterisierung der Arietta aus op. 111 von Beethoven („eine sich in der Präsenz ihrer selbst genügende Enklave“), mit ihrem Thema, dem angesichts des eine Oktave zu tief mitlaufenden Basses, „untergründig mitgegeben“ sei, „dass wir um seine Makellosigkeit fürchten müssen“. Musik und Abschied – reiche Blicke aus einem reichen Leben auf den überwältigenden Reichtum einer abschiedlichen Musik.
Nikolaus Brass, Komponist

Boris Kehrmann: Vom Expressionismus zum verordneten „Realistischen Musiktheater“. Walter Felsenstein – Eine dokumentarische Biographie 1901 bis 1951. (Dresdner Schriften zur Musik Bd. 3), Tectum Verlag, Marburg 2015, 1.372 S. (in zwei Bänden), € 79,75               
Erstmals wird hier der Briefwechsel Walter Felsensteins ausgewertet und (teil-)veröffentlicht. So kann Kehrmann eine höchst wirkungsmächtige Propagandalegende der DDR enttarnen: Der feuerköpfige Musiktheatermacher Felsenstein hatte nämlich mit einem parteiverordneten Realismus“ auf der Bühne künstlerisch gar nichts am Hut; schloss jedoch, wie schon zuvor mit den Nationalsozialisten, taktische Kompromisse mit den Machthabern, um sich und seinem Theater ästhetische Freiräume zu erhalten.
Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Peter Lange: Ein amerikanischer Europäer: Die zwei Leben des Dirigenten Hans Schwieger, Metropol-Verlag Berlin 2015, 467 S., € 24,00.
Wie Adolf Busch oder Lotte Lehmann gehörte auch der Dirigent Hans Schwieger zu den Musikern, die Hitler-Deutschland in eigener Entscheidung verließen. Trotz eines verheißungsvollen Karrierestarts in Mainz und Danzig emigrierte er über Tokio in die USA, wo er zum wichtigen Mittler zwischen europäischer und amerikanischer Kultur wurde. Der Autor stellt seine lebendig geschriebene Künstlerbiographie immer wieder in den Kontext von Musikpolitik und Zeitgeschichte. Eine lohnende Lektüre.
Albrecht Dümling, Publizist, Musikwissenschaftler

Helmut Krausser: „Alles ist gut“, Berlin Verlag, Berlin 2015, 238 S., € 20,00
Ein wunderbarer Musikroman. Oder ein Musikkrimi? Mit der Fortsetzung eines seiner bekanntesten Romane („Melodien“) setzt sich Helmut Krausser wieder einmal erfolgreich zwischen alle Stile und Stühle und webt seine oft kontroversen, aber immer höchst unterhaltsamen Thesen über heutige Musik virtuos in eine spannende Handlung ein.
Moritz Eggert, Komponist

Matthias Schmidt und Julia Beier (Hrsg.): Wirklichkeitsgefühl. Ernst Krenek und die Schweiz, Edition Alea, Badenweiler 2015, 145 S., Leineneinband, € 24,80
Die Schweiz war für den vielseitigen Komponisten Ernst Krenek immer Utopie und Wirklichkeit zugleich. Das wunderschöne Buch der Edition Alea spürt diesem produktiven Spannungsgefüge mit Blick auf biographische Schweiz-Etappen und Musik von Krenek nach. Vor allem wird mit ausgewählten Texten auch der Autor Krenek als wachsamer Zeitgenosse der 1930er-­Jahre erlebbar. Und die Gegenüberstellung von neuen und alten Fotos ist allein schon ein Schmökern wert, analog, haptisch und garantiert zeitlos!
Meret Forster, Bayerischer Rundfunk

Daniel Martin Feige: Philosophie des Jazz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 142 S., € 14 (Keine Musikbeispiele)
An Literatur über Jazz besteht wahrlich kein Mangel. Deshalb hat Daniel Martin Feige, selbst Jazz-Musiker, sein Buch nicht als Einführung in die unterschiedlichen Stilarten dieser Musik geplant, sondern er möchte, dass Jazz endlich auch in der musikwissenschaftlichen Fachliteratur ernstgenommen wird. Ob das Buch diesem Mangel aufhelfen wird, bleibt selbst nach wohlmeinender Lektüre fraglich. Das dürfte wahrscheinlich schon daran scheitern, dass im Jazz jegliche „Verschriftlichung“, sieht man ab von den „leadsheets“, verpönt ist. Und eine Philosophie ohne Text gibt es ebensowenig wie eine Musikwissenschaft ohne Noten. Deshalb findet bei Feige die Philosophie vor allem im Literaturverzeichnis statt. CDs können diesen Mangel nicht beheben. Zu den Desiderata dieses Buches gehören ein Kapitel über die Improvisationspraxis der Neuen Musik (Stockhausen), an der auch Jazzer beteiligt waren, und ein Kapitel über Virtuosität. Bezeichnenderweise spricht der Autor im letzten Kapitel nur noch vom Kunstwerk, als sei damit die Rettung von Kunst ohne Werk schon gelungen.
Clytus Gottwald, Komponist, Chorleiter

Riccardo Chailly: Das Geheimnis liegt in der Stille. Gespräche über Musik, Henschel Verlag, Leipzig 2015, 192 S., € 22,95€
Die Gespräche vermitteln spannende Hintergründe und Einsichten einer großen Musikerpersönlichkeit unserer Zeit mit viel Informationen über Chaillys Werdegang und Stationen an wichtigen Musikinstitutionen, über prägende Erfahrungen mit Claudio Abbado, Hans Werner Henze und vielen anderen, und über die durch Akribie und Leidenschaft geprägte Obsession des Musikmachens.
Michael Haefliger, Intendant Lucerne Festival

Wilfried Krüger: Musik im Atom – Umbruch im Weltbild der Chemie und der Harmonik. Atom-Harmonikverlag, Trier­ ­2014, 174 S. (mit Abb. geb.), € 19,00
Wilfried Krüger ist ein visionärer Grenzwissenschaftler. Diese Studie des 90-jährigen Harmonik-Forschers aus Trier dürfte sein opus magnum sein. Seit 40 Jahren faszinieren seine Schriften, obwohl oder weil in seinen Spekulationen nicht alles „wissenschaftlich abgesegnet“ ist. Seit 1960 war Krüger durch einen Briefwechsel mit Werner Heisenberg zu seinen Forschungen inspiriert, hatte 1970 „das DurMollAtom im Aufbau eines mit 10 Elektronen besetzten Sauerstoff­atoms Ordnungszahl 8“ entdeckt. Krügers Atomharmonik will der Harmonik „die eigentliche Grundlage schenken“. „Das Höchste aber ist das Atom“, zitiert Krüger den Nikolaus Cusanus. – Lesenswert auch für den Skeptiker!
Peter Michael Hamel, Komponist

Karl Polanyi: The Great Transformation, politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2013, € 18,00€
Ein Handbuch für die Menschheit über das Tier „Mensch“. – „Die unter dem Druck der Marktwirtschaft erfolgte Reduzierung des Menschen zur Arbeitskraft und der Natur zu Grund und Boden macht die Geschichte der Neuzeit zu einem Drama, in dem der gefesselte Held, die Gesellschaft, schließlich die Ketten sprengt.“ (R.M.MacIver, 1943)

Robert B. Laughlin: Abschied von der Weltformel. Piper, München 2007, € 9,00
A basic book! Wie seinerzeit „Zufall und Notwendigkeit“ von Jacques Monod. – „Das Universum ist nicht nur seltsamer, als wir es uns vorstellen, es ist seltsamer, als wir es uns vorstellen können.“ (Sir Arthur Eddington)

Christian Gerhaher: „Halb Worte sind‘s, halb Melodie“. Henschel Verlag, Leipzig 2015, € 22,95
Mit hilfreichen Anregungen besonders für junge Sänger.

Julia Voss: Hinter weißen Wänden. Merve Verlag, Berlin 2015, € 18,00€
Man entdecke die Entsprechungen zur aktuellen Musikszene.

Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume-Ludwig, München 2015, € 19,99
Zur Sensibilisierung des Denkens.
Hans Joachim Hespos, Komponist

Peter Gülke: Musik und Abschied. Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 363 S., geb., e 29,95
Peter Gülke, Autor großartiger Bücher unter anderem zu Schubert und Schumann, bringt in dieses neue Werk seine umfassende Erfahrung als Dirigent wie als Musikwissenschaftler ein. Grundiert ist das Buch zugleich durch persönliche Betroffenheit, die aber stets in Dialoge mit trefflichen musik­analytischen Erkenntnissen gerät. Dank der hieraus sich ergebenden Verknüpfung von Pathos und Nüchternheit und mit ihrer Vertiefung durch treffliche philosophische und grundsätzliche Erwägungen ragt die Darstellung über die übliche Programmheft-Prosa, die sich dieses Themas sonst annimmt, meilenweit hinaus.  

Cordula Pätzold und Caspar Johannes Walter (Hrsg.): Mikrotonalität – Praxis und Utopie. Schott Verlag, Mainz 2015, 304 S., Broschur, € 32,00
Komponisten mikrotonaler Werke wurden bis vor wenigen Jahrzehnten oft als Vertreter einer exotischen Community belächelt, die sich in obsessiver Weise in eine andere Klangwelt zu manövrieren suchte und die eigenen Hörantennen schon entsprechend umgebogen hatte. Dieses Buch zeigt anhand von ausgewählten Beispielen, dass dies inzwischen anders ist – und dass es heute im erheblich breiter gewordenen Felde mikrotonalen Komponierens bemerkenswert unterschiedliche Ansätze und ästhetische Ausrichtungen gibt. Aber diese Publikation enthält überdies auch einige wichtige historische sowie grundsätzliche Betrachtungen.
Jörn Peter Hiekel, Hochschule für Musik Dresden

Marie Louise Herzfeld-Schild: Antike Wurzeln bei Iannis Xenakis. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014, 221 S., € 46,00
Ein in die Tiefe gehendes Buch über antikes musiktheoretisches Denken und die entsprechenden grundlegenden Reaktionen von Xenakis. Äusserst genau gearbeitet! Aristoxenos, Parmeniles, Pythagoras, Platon, immer noch aufregende Denker, die Grundsätzliches – auch heute noch divers diskutiert – exponierten, zum Beispiel Tonschritt als „Abstand“, Distanz.
Nicolaus A. Huber, Komponist

Albrecht von Massow, Thomas Grysko, Josephine Prkno (Hrsg.): Ein Prisma ostdeutscher Musik. Der Komponist Lothar Voigtländer. Mit 2 Audio-CDs, Böhlau, Köln/Wien 2015, 125 S., € 40,00
Auf den ersten Blick widmen sich die zehn Autoren des Bandes Werk und Vita des 1943 in Sachsen geborenen Komponisten Lothar Voigtländer, was nach 25 Jahren Wiedervereinigung auf dem Musikbüchermarkt angemessen ist. In zweiter Hinsicht beleuchtet die in der Reihe „KlangZeiten – Musik, Politik und Gesellschaft“ angesiedelte Publikation eine wichtige Leerstelle:  Denn sie erzählt nicht mehr und nicht weniger von den Anfängen der Elektroakustischen Musik und der Radiokunst in der ehemaligen DDR und von deren Erfolgen im Rahmen der Confédération Internationale de Musique Electroacoustique (CIME) in Bourges.   
Frank Kämpfer, Deutschlandfunk

Renate Da Rin & William Parker (Hrsg.): Giving Birth to Sound. Women in Creative Music, buddy’s knife jazzedition, Köln 2015, 294 S., € 24 €
48 Musikerinnen erhalten je 20 Fragen über den Prozess des Kreativen und die Rolle des eigenen Geschlechts bei musikalischen, ästhetischen oder beruflichen Entscheidungen. Die Antworten fallen mal analytisch aus, mal diskursiv, mal ausweichend, mal ablehnend, mal nüchtern gefasst, mal poetisch überhöht, mal kämpferisch, mal verteidigend. Am Ende erfahren wir, dass es vielleicht keine so großen musikalischen Unterschiede zwischen Musikerinnen und Musikern gibt, jedoch sehr wohl ein anderes Diskursverhalten, eine klare Selbstwahrnehmung der Rolle, in die man gesellschaftlich gedrängt wird. Gerade in der Unterschiedlichkeit der Antworten ist „Giving Birth to Sound” dabei unbedingt lesenswert.
Wolfram Knauer, Jazzinstitut Darmstadt

Stefan Rosu: Zukunftsstrategien für Orchester. Kompetenzen und Kräfte mobilisieren, Springer VS Wiesbaden 2014, 162 S., € 29,99
Angesichts der gravierenden Strukturveränderungen der vergangenen Jahre und der sich daraus ergebenden Problemstellungen war die Zeit für ein derartiges Buch reif. Rosu gelingt es sehr gut, die Entwicklung überlebenswichtiger Zukunftsstrategien für Orchester zu beschreiben. Die SWOT-Analyse (Stärken – Schwächen – Potenziale – Bedrohungen) steht dabei im Mittelpunkt. Pflichtlektüre für Orchestermanager, Kulturpolitiker und Musiker!
Gerald Mertens, Geschäftsführer Deutsche Orchestervereinigung e.V.

Peter Gülke: Musik und Abschied. Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 362 S., € 29,95
Peter Gülke leistet nach dem Tod seiner Frau Trauerarbeit. Die Musikanalysen sind mit Selbstbetrachtungen verbunden, die nahegehen. Er zeigt, wie Musik häufig von Vergänglichkeit und Tod spricht und verbindet das mit musikalisch und menschlich berührenden Reflexionen. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, aber das Buch öffnet den Weg zu einer neuen Nachdenklichkeit über das, was man hört und wie man es wahrnimmt.   
Eva Rieger, Musikwissenschaftlerin

Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring: Giacomo Meyerbeer. Der Meister der Grand Opéra. Eine Biographie. C.H. Beck, München 2014, 272 S., € 22,95
Von Goethe bewundert, von Heine bespottet, von Wagner bekämpft: Giacomo Meyerbeer prägte die Oper des 19. Jahrhunderts zutiefst. Kaum ein Komponist war zu Lebzeiten so erfolgreich wie er, kaum einer wurde ebenso erfolgreich aus der Musikgeschichte verdrängt. Die konzentrierte Biografie von Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring ist eine wichtige Ergänzung der überschaubaren Literatur zu Meyerbeer und erschließt den großen Europäer auch einem allgemein interessierten Publikum.
Olaf Wilhelmer, Deutschlandradio Kultur

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!