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Stolze Gewinner: Jörg Hilbert (li.) und Felix Janosa mit Mitgliedern der Jury. Fotos: WDR/Oliver Heisch
Stolze Gewinner: Jörg Hilbert (li.) und Felix Janosa mit Mitgliedern der Jury. Fotos: WDR/Oliver Heisch
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Null Punkte ist grottenschlecht

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Medienpreis Leopold 2005/2006: über die Arbeit einer Kinderjury
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12. September 2005, der kleine Sendesaal im Funkhaus des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Im Foyer stehen gut gekleidete Menschen, nippen an ihren Gläsern und machen Small Talk. Es handelt sich um Vertreter der Tonträgerindustrie: Produzenten, Verleger, Komponisten und Musiker. Sie sind nach Köln gereist und hoffen darauf, eine Trophäe zu bekommen: den Leopold. Dieser Medienpreis wird alle zwei Jahre durch den Verband deutscher Musikschulen vergeben und prämiert Musik für Kinder. Rund hundertfünfzig Verlage reichten für die diesjährige Verleihung eine CD ein, fünfzehn Produktionen sind in die engere Wahl gekommen und dürfen sich mit dem Qualitätssiegel Leopold schmücken. Ein Signet prangt nun auf allen fünfzehn CDs: ein kleines Männchen, das triumphierend eine Note in die Höhe streckt und per Schriftzug verrät „Gute Musik für Kinder“. Der Sieger erhält freilich den besonderen Aufdruck „Leopold-Preisträger 2005“.

Die Besucher warten auf den Beginn der Veranstaltung. Doch plötzlich geht ein leises Raunen durch die Menge, man reckt die Köpfe und einige der Gäste spenden spontan Beifall: Die umworbene Zielgruppe betritt, leibhaftig und in Farbe, den Raum. Echte Kinder, die bei derartigen Preisverleihungen ansonsten nie gesichtet werden. Die Klasse 6c des Kölner Humboldt Gymnasiums hat die Führung durch das WDR Funkhaus beendet und ist bereit zur Tat zu schreiten. Denn diese Klasse vergibt heute den Poldi, den kleinen Bruder des Leopolds. Hier wird ganz allein aus Kindersicht entschieden, welche CD das Zeug zum Poldi hat.

Bereits zum dritten Mal machte sich eine Kinderjury an die Arbeit. Eingeführt im Jahre 1999 durch die Kinder-Musiksendung Papageno des WDR (1995 bis 2001), fand diese Idee bei den Veranstaltern, Organisatoren und Preisträgern so großen Anklang, dass bei jedem Leopold neben der Erwachsenenjury auch eine Kinderkommission ihr knallhartes Urteil fällen darf. Schließlich sind die Kinder nicht das oft herbei zitierte Publikum von morgen sondern die Käufer und Zuhörer von heute.

Dieser Verantwortung sind sich die zehn- und elfjährigen Mädchen und Jungen auch bewusst. Aufmerksam verfolgen sie die Ansprachen, in denen sie jedes Mal als Ehrengäste begrüßt werden, beobachten die Vorstellung der zur Wahl stehenden Produktionen und warten geduldig auf ihren großen Auftritt. Nach einer guten Stunde ist es so weit. Viktor, Louisa und Janos kommen auf die Bühne, um stellvertretend für ihre Klasse den Poldi zu überreichen. Mehrere Wochen intensiver Vorbereitung liegen hinter ihnen. Zusammen mit der Musiklehrerin Brigitte Jünemann-Stark hat sich die Klasse 6c durch die unterschiedlichsten musikalischen Stilrichtungen gehört und Kriterien zur Bewertung der Tonträger entwickelt. Wie passt die Musik zur Geschichte, wie einfallsreich und phantasievoll ist die Idee, wie ist die Klangqualität bis hin zur Gestaltung der Cover und der beiliegenden CD-Hefte – all das galt es zu bewerten, erläutert Viktor dem Saalpublikum:

„Wir hatten einen Expertenbogen bekommen, das sind so Blätter, da stehen Überschriften drauf, wie man die Musik fand. Gab es Text oder Geschichte, war es eine gute Idee, war es originell, und dann mussten zwei Schüler oder Schülerinnen eine Produktion mit nach Hause nehmen. Und zwei Personen mussten das ausfüllen und bewerten, die höchste Punktzahl war halt zehn, das war spitzenmäßig, null Punkte war so grottenschlecht und fünf Punkte war ganz normal.“

Die Expertenteams mussten die abgehörte CD in zehnminütigen Präsentationen mit Musikbeispielen der Klasse vorstellen. Anschließend wurde diese Einschätzung von zwei weiteren Klassenmitgliedern geprüft, es wurde in der Klasse diskutiert und dann mussten alle Schülerinnen und Schüler wieder einen Bogen ausfüllen. Richtig heftige Auseinandersetzungen gab es allerdings nicht, erzählt Janos: „Wir haben uns nicht wirklich gestritten, wer gewinnt. Wir haben in den Pausen schon diskutiert und wollten rausfinden, wer relativ weit oben ist.“
Am Ende der komplizierten Auswertungsreihe wanderten über 500 Bögen zum Verband deutscher Musikschulen. Hier begann die Auszählung mit Hilfe eines Computerprogramms. Und nach den Sommerferien – aus der Klasse 5c war mittlerweile die 6c geworden – stand das Ergebnis fest. In einer besonders aufregenden Musikstunde am Humboldt Gymnasium verkündete Henrike Rossel vom VdM die Hitparade der Kinderjury.

Während der Preisverleihung in Köln werden die ersten drei Plätze bekannt gegeben. Den dritten Platz erobern sich zwei berüchtigte Lausbuben: Max und Moritz – diese beiden wurden durch den Komponisten Gisbert Näther (geb. 1948) musikalisch zum Leben erweckt. Das Deutsche Filmorchester Babelsberg, in dem auch Gisbert Näther als Hornist beteiligt ist, lässt in anschaulichen Themen und Motiven die Käfer los, die Brücke vor dem Haus des Meister Böck ansägen und unter schaurigen Klängen Max und Moritz in den Sack befördern. Die Schauspielerin Katja Riemann spricht dazu den bekannten Text von Wilhelm Busch (erschienen bei NCA – New Classical Adventure). Warum diese Geschichte auf den dritten Platz kommt, erklärt Viktor:

„Max und Moritz ist sehr abwechslungsreich. Es gibt manchmal Text, manchmal aber auch Musik. Das ist spannend, lustig und obwohl man die Handlung kennt, hört man es gerne noch mal.“ Das war also der erste Streich und der zweite Poldi folgt sogleich. Es ist das Buch und die CD „Zahlen bitte – eine musikalische Reise in die Welt der Zahlen“ (erschienen bei Terzio, Möller, Bellinghausen). Zwölf rockige, jazzige oder folkloristische Lieder zu den Zahlen von eins bis zwölf, die von Robert Metcalf im jeweils entsprechenden Metrum bis zum Zwölf-Achtel-Takt präsentiert werden. Louisa liefert die Begründung der Jury.

„Die Lieder und der Refrain sind immer ganz unterschiedlich. Und es ist sehr gut, dass es da ein Buch zu gibt, dann kann man sich die lustigen Bilder anschauen und mitsingen. Die Altersangabe ab vier Jahren passt auch gut, denn die Zahlen gehen nur bis zwölf und Vierjährige können eben noch nicht bis fünfzig zählen.“

Die Altersangaben – so Musiklehrerin Brigitte Jüneman-Stark – stießen allerdings manchmal auf Kritik bei den Testhörern, die zum Beispiel eine Spanne zwischen fünf und neun Jahren für zu groß hielten. Kein Neunjähriger würde sich noch den „Babykram eines Fünfjährigen anhören“ hieß es aus den Reihen der Jury.

Dann wird es spannend, denn die Plätze drei und zwei sind nunmehr belegt, es fehlt noch der Preisträger des Poldi. Hier tritt ein guter Kumpel in Erscheinung, der noch längst keine Patina angesetzt hat, obwohl sein Name alles andere als Hochglanz verspricht. Applaus für Ritter Rost. Von der Kinderjury bekommt der bereits wiederholt prämierte Blechmann die meisten Punkte für sein aktuelles Abenteuer aus der Feder von Jörg Hilbert und Felix Janosa (erschienen bei Terzio, Möllers und Belinghausen).

Diesmal feiern der Ritter, das Burgfräulein Bö und Koks der Drache auf der Eisernen Burg Weihnachten. Dass es da alles andere als besinnlich zugeht, versteht sich von selbst. Der Baum fällt um, ein Alleinunterhalter bringt schmalzige Schlager zu Gehör und das Essen wird bei Paolo‘s Pizza-Blitz („rutscht die Pizza in den Ritz vom Sitze, macht ja nixe“) bestellt. „Unterhaltsam, witzige Texte und Lieder zum Mitsingen“ – so die Meinung der Jury über den Preisträger.

Bleibt nur noch anzumerken, welcher Tonträger den Leopold bekommt. In diesem Jahr erhalten gleich sieben CDs eine so hohe Wertung, dass die Erwachsenenjury sich entschließt, die begehrte Auszeichnung auch sieben Mal zu verleihen. Und die „Großen“ stimmen da in ihrem Urteil vollkommen mit den „Kleinen“ überein. Die drei Favoriten der Kinderjury ergattern auch einen Leopold. Für die Produzenten, die sich nicht in die Herzen der Kinder gespielt und gesungen haben, bleibt nur ein Trost: Richtig grottenschlecht ist keine CD. Alle Produkte erzielen mehr als null Punkte.

Der Medienpreis LEOPOLD wird unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Kulturpartner WDR3.

Rezensionen der übrigen Gewinner des Medienpreises LEOPOLD 2005/2006 finden Sie auf Seite 5!

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