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To be or not to be

Untertitel
22. Tonkünstlerfest in Sachsen-Anhalt und 20. Jugend-Kompositions-Wettbewerb
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To be or not to be – Frage und Antwort ein Zitat von emotionaler und existenzieller Tragweite aus Shakespeares Hamlet (3. Aufzug, 1. Szene) stand in diesem Jahr mottoartig über dem Tonkünstlerfest in Sachsen-Anhalt, das vom 22. bis 29. November mit sieben Veranstaltungen in Magdeburg, Dessau-Roßlau und Bernburg aufwarten konnte. Es gab 21 Uraufführungen von 10 in Sachsen-Anhalt lebenden Komponisten und fünf Preisträgern des 20. Jugend-Kompositions-Wettbewerbes.

Jubiläum 20 Jahre Jugend-Kompositions-Wettbewerb

Zwanzig Jahre Jugend-Kompositions-Wettbewerb waren in diesem Jahr ein besonderer Grund zum Feiern, was man im Jubiläumskonzert „20 Jahre Jugend-Kompositions-Wettbewerb in Sachsen-Anhalt“ im Schinkelsaal des Gesellschaftshauses am Sonntag, dem 24. November, ausgiebig erleben konnte. Die in diesen 20 Jahren mit dem ers-
ten Preis gekrönten Kompositionen der jungen Komponisten erlebten ihre Wiederaufführung durch Kammermusikensembles aus der Region, die sich zum größten Teil aus Mitgliedern des DTKV-Landesverbandes zusammen setzten. Hier erklangen Werke von Michael Schultz (1994), Paul Kaufmann (1996), Janet Jasper/Pfob (1999), Gabi Maria Volkmann (2001), Laura Bernadette Kassner (2003), Julian Lembke (2004), Daniela Gerstmann (2007), David Osten (2011) und Susanne Hardt (2012).
Interessant war u.a. das preisgekrönte Werk von 2001 – Inspiratio von Gabi Maria Volkmann für Klavier und Cembalo. Ungewöhnlich schon die Kombination dieser Instrumente vorgetragen von Sandra Schilling und Jerzy Bojanowski, die zu neuen Klangkombinationen führten und zwischen barocken Anklängen und klangräumlichen Affekten pendelten. Diese beiden Tonkünstler – im wahrsten Sinne des Wortes – erweckten ebenfalls Janet Jaspers „Acht Zentimeter“ zu neuem Leben – ein Klavierstück für vier Hände, wobei dieses Werk nach dem Vorbild von Stockhausen in der Reihenfolge variabel spielbar ist, aber der secondo-Part viel im Innern des Flügels zu „spielen“ hat und die Interpretation eine echte Herausforderung darstellt, die die beiden souverän und überzeugend gemeistert haben. Die Besetzungen variierten entsprechend den unterschiedlichen Ausschreibungen in den jeweiligen Wettbewerbsjahren von Violine solo über oben Genanntes bis hin zu kammermusikalischen Besetzungen mit Harfe und Gesang. Die Studie über vier Töne für Violine solo von Michael Schulz aus dem Jahr 1994 wurde herausragend vorgetragen von Susanne Hoffmann, die überzeugend die verschiedensten geforderten Spieltechniken ausdrucksstark zur Geltung brachte.
Der Sonntagvormittag war ebenfalls dem Nachwuchs gewidmet. Lehrer und Schüler musizierten gemeinsam in Bernburg und die Preisträger des 3. Wettbewerbes Neue Musik für die Altmark bekamen dort Gelegenheit, ihr Können erneut unter Beweis zu stellen.

Neuvertonung von Rilke-Texten

Das Eröffnungskonzert am Freitag, dem 22. November wurde durch den Neuen Magdeburger Kammerchor unter der Leitung von Christian Hoffmann gemeinsam mit dem Percussionisten, Arrangeur und Komponisten Hermann Naehring gestaltet. Eröffnet wurde das Konzertprogramm durch Benjamin Brittens „Flower Songs“. Britten wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Ebenso wurde im Rahmen des Konzertes des einfluss- und facettenreichen Komponisten Paul Hindemith mit den ersten beiden Liedern aus seinen „Six Chansons“ für Gemischten Chor a cappella, gedacht. Es sind allesamt Vertonungen von Rilkes französischen Gedichten.
Die Texte dieser Chormusik wurden den teilnehmenden zeitgenössischen Komponisten und Tonkünstlern Sachsen-Anhalts vorgelegt, mit der Idee, jeweils eine Neuvertonung anzuregen. Im ersten Teil des Konzertes stellte der Kammerchor diese Neuvertonungen den Werken Benjamin Brittens und Paul Hindemiths gegenüber. Auf die Neuvertonung der Texte haben sich Axel Gebhardt, Curt Dachwitz, Johannes Grosz, Thomas König und Klaus-Dieter Kopf eingelassen. Der Neue Magdeburger Kammerchor zeigte in diesem Konzert eine sehr reife und eindrucksvolle Leistung unter dem einfühlsamen Dirigat von Christian Hoffmann. Die durchweg jungen Stimmen der Sängerinnen und Sänger strahlten in beeindruckender Klarheit und Intonationssicherheit – auch in durchaus anspruchsvoll gesetzten Liedern.
Im zweiten Teil des Konzertes erklangen neben einer Auswahl frühester Chormusik des Magdeburger Komponisten Peter Petkow Ausschnitte des diesjährigen Repertoires des Neuen Magdeburger Kammerchores. Aus der Vielzahl der Shakespeare-Vertonungen des 20. Jahrhunderts wählte der Chorleiter einige ganz besonders kostbare und filigrane Tongemälde für gemischten Chor, a cappella.
Hermann Naehring griff in beiden Konzertteilen zwischen den Vokalwerken gekonnt Stimmungen und Inhalte der Chormusik auf und ließ sie in Improvisationen für Schlagwerk nachklingen. Das Konzert wurde im Laufe der Festwoche noch in Dessau in der Kirche St. Peter und Paul wiederholt.

Neue Preise beim Jugend-Kompositions-Wettbewerb

Fester Bestandteil des Tonkünstlerfestes ist seit 20 Jahren der Jugend-Kompositions-Wettbewerb mit seinem Preisträgerkonzert. Dieses fand aus programmtechnischen Überlegungen erstmals losgelöst vom Konzert der Komponistenklasse Sachsen-Anhalt am Samstag, dem 23. November, nachmittags im Konservatorium Georg Philipp Telemann Magdeburg statt. Neu war, dass fünf Preise durch die Jury vergeben werden konnten. Neben den Preisen eins bis drei gab es den Förderpreis „Klaus Obermayer“, gestiftet von seiner Witwe Irmela Obermayer, und erstmals einen Verlagspreis des k.o.m. musikverlages, der vormals mit dem 1. Preis gekoppelt war. Ergänzt wurden die Uraufführungen der preisgekrönten Werke durch Kompositionen des Mitbegründers des Wettbewerbs Klaus Obermayer.
Den 1. Preis erhielt Theodor Striese mit seinem klangvoll-bildmalerischen Stück „Landscape“, inspiriert von einem  vergangenen Sommerurlaub. Platz 2 erhielt Lars Engeln für seine Komposition „Mat(h)erie – Uni Versus“. Es ist eine interessante Studie, in der sich musikalisches Material formiert, verdichtet und schließlich Strukturen ausbildet. Philipp Alexander Krebs  stellte mit „Rules for an appropriate visit of a classical concert“ fünf Regeln für einen angemessenen Konzertbesuch auf, die das Publikum ausgesprochen zum Mitwirken aufforderten, wie lautes Erzählen, Handy-Klingeln, Zwischenrufe und -klatschen, lautes Gähnen oder Lachen, was man sich sonst nicht für ein Konzert wünscht. Für diese witzige Idee, die dem Publikum offensichtlichen Spaß bereitete, erhielt er den 3. Preis. Den Verlagspreis erhielt Susanne Hardt, die bereits im vergangenen Jahr einen 1. Preis erhalten hatte. Ihr „Scherzo in D“ ist ein kurzes frisch-fröhlich beschwingtes Trio für Klarinette, Fagott und Horn. Der jüngste Preisträger war der 14-jährige Finn Wiersig, dessen chaotische und dichte Klangfläche der Komposition Nebel die Jury für den Förderpreis „Klaus Obermayer“ auswählte.
Musiziert wurden all diese Werke vom Ensemble Sinfonietta Dresden unter der Leitung von Uwe Zimmermann, das – wie bereits in den vergangenen Jahren – durch souveränes, klares und engagiert-dynamisches Spiel überzeugte.

Improvisationen im gesamten Kirchenraum

Am Abend des Samstags lud der Tonkünstlerverband gemeinsam mit der Kirchenmusik der Kathedralkirche St. Sebastian zu einem Improvisationskonzert unter dem Titel „Reichtum des Erlebens“ ein.
Matthias Mück, Kathedralorganist in St. Sebastian, Warnfried Altmann, Saxophon und Wilfried Staufenbiel, Vio-loncello und Gesang, boten ein spannendes, abwechslungsreiches Konzert – inspiriert von Chorälen und jiddischer Folklore unter Ausnutzung der Klangmöglichkeiten des gesamten Kirchenschiffes. Alle drei Musiker bildeten ein wunderbar aufeinander abgestimmtes Team und jeder gab auf seine Art dem Konzert eigene Höhepunkte. Besonders beeindruckend in dem Kirchenraum waren u.a. die Gesangseinlagen von Staufenbiel, der sich als wahres Multitalent erwies und ein eigenes Arrangement eines Abendliedes vortrug, bei dem er sich auch noch als Percussionist betätigte. Aber auch Orgel und Saxophon erfüllten dank der virtuosen und emotionalen Interpretationen der Musiker die Kathedrale mit faszinierenden Klängen. Das Konzert schlug einen Bogen zum Ende des Kirchenjahres und endete mit der Choralbearbeitung und freien Improvisation zu „Wachet auf ruft uns die Stimme“, dem Choral, der für die evangelischen Christen den Ewigkeitssonntag begleitet, an dessen Vorabend das Konzert stattfand und bei den katholischen Glaubensbrüder und –schwestern in der danach beginnenden Advents- und Weihnachtszeit gesungen wird.

Marathon neuer Musik

Das Abschlusskonzert am 29. November gestaltete die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie. Es war ein lange vorher angedachter Marathon der neuen Musik mit neun Uraufführungen sachsen-anhaltischer Komponisten, die alle Mitglieder im Tonkünstlerverband sind. Die kurzen, thematisch und musikalisch sehr unterschiedlichen Kompositionen waren abwechslungsreich und auch für den ungeübten Hörer gut zu rezipieren. Die inhaltliche Bandbreite reichte von mystischen Themen wie Eiris von Bernhard Schneyer, Mirage von Axel Gebhardt und Halbgöttin von Alexander Trinko über Pragmatisches wie Marathon von Peter Petkow, Shortcut von Thomas König und unverbesserlicher Optimist von Klaus-Dieter Kopf, eine witzige Kampfansage unter dem Titel Gegen-Impuls für Orchester von Thomas Buchholz, der persiflierte eine große Orchester-Ouverture bis hin zu rationalen Titeln wie „ASz-7y“ von Johannes Grosz und „60°01’25“N,010°14’53“E, memorandum“ von Jens Klimek. Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie musizierte verlässlich und klangschön unter der Leitung ihres neuen künstlerischen Leiters und Chefdirigenten Gerard Oskamp. Die gesamte Festwoche mit ihrem Facettenreichtum gab eine deutliche Antwort auf die Frage, die als Motto stand und man kann nur sagen: The answer ist „to be“.
 

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