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Volker Tarnow: Sibelius. Biografie, Henschel Verlag, Leipzig / Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 288 S., € 24,95, ISBN 978-3-89487-941-9
Volker Tarnow: Sibelius. Biografie, Henschel Verlag, Leipzig / Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 288 S., € 24,95, ISBN 978-3-89487-941-9
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Waldpartie im Maßanzug

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Sibelius zum 150. – Volker Tarnow zeichnet ein neues Bild des Künstlers und Menschen
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Eine Rechtfertigung? Nein, wozu auch! Längst ist der Biographierte zum Klassiker geworden, da muss sich kein Biograph rechtfertigen. Auch wenn die Rezeption von Jean Sibelius ihre eigenen Wege gegangen ist. Auch wenn es kaum fundiertes deutschsprachiges Material zum großen Finnen gibt und lange Zeit nicht gab.

Volker Tarnow schert sich in seiner neuen Biographie nicht groß darum, wie man mit Sibelius umgegangen ist und umgehen könnte – er beginnt, so schlicht wie der Titel seines Buches, mit der Geburt, mit den Eltern, mit der Jugend. Schon auf den ersten Seiten wird klar: Finnland ist zwar wichtig, um diesen Musiker zu verstehen, aber eine Reduktion nur auf das Nationale hilft dem Verständnis auch nicht wirklich weiter. So gräbt sich Tarnow hinein in dieses Leben, das nicht frei von Rätseln ist. Und da, wo man munter spekulieren könnte, hält sich der Autor wohltuend zurück. Warum etwa hat Sibelius in den letzten Lebensjahren so wenig geschrieben, was ist mit der achten Sinfonie, an der er lange geprickelt hat, um sie dann doch zu beseitigen? Tarnow lenkt den Blick lieber auf die Frage, an der sich Apologeten wie Beckmesser gern gerieben haben: Wie hielt es Sibelius mit Nazi-Deutschland? „Dies ist spätestens der Augenblick, wo Sibelius-Biografen ins Schweigen verfallen oder mit dem Schönfärben anfangen, während Sibelius-Hasser wieder einmal, leider nur nachträglich, den Faschismus besiegen.“

Mit elegant formulierten Sätzen wie diesen, die das Dilemma auf den Punkt bringen, unterstreicht Tarnow, dass man gleichermaßen fundiert und ansprechend über Sibelius schreiben kann. Das ist weitgehend neu, denn zuvor ist Sibelius entweder pauschal ideologisiert oder aus dem Wissenschaftsturm bis in Details zergliedert worden. Tarnow hält sich an Fakten, die er verständlich und anschaulich dem Leser vermittelt.

Sein Zugang zum Werk bleibt nicht frei von Werturteilen. Während der Autor „Voces intimae“ als „eindringlich für die Sonderrolle“ bezeichnet, die Sibelius unter den Komponisten seiner Zeit eingenommen hat – „Es ist der einzige Fall, dass einem großen Sinfoniker auch ein großes Streichquartett gelang“ –, lehnt er sich bei der fünften Sinfonie weit aus dem Fenster und spricht von ihr, neben Mahlers Neunter, als der „größten Sinfonie des Jahrhunderts“. Solche Zeugnis-Noten sind nicht selten, braucht es aber im Grunde nicht, denn Tarnow erklärt anschließend selbst, wo die Besonderheiten der jeweiligen Werke liegen. Dass diese Ausführungen wiederum erfrischend sachlich, aber nie trocken-gelehrig erfolgen – von kleineren Seitenhieben auf andere zeitgenössische Komponisten abgesehen –, spricht für sich. Mit klug ausgewähltem Bildmaterial angereichert, wandert der Autor, meist der Chronologie folgend, durch Sibelius’ Leben.

Er wirft gern auch einen Blick auf entlegene Stücke, verweilt aber lieber bei den Meilensteinen, vor allem den Sinfonien. Wer sich hier, auf der Suche nach fachlichen Details, auf halber Strecke allein gelassen fühlt, braucht nur Joachim Brügges kleines Bändchen „Jean Sibelius. Symphonien und symphonische Dichtungen“ (Beck 2009) zur Hand zu nehmen. Denn eingehende Werk-Analysen sind nicht Tarnows primäres Anliegen. Er versucht vor allem, das Bild eines Künstlers und eines Menschen zu zeichnen, der sich von teils rüden Verbal-Attacken eines René Leibowitz oder eines Adorno längst emanzipiert hat. Tarnow führt entschlossen weiter, was sich seit dem Jahr von Sibelius’ 50. Todestag anno 2007 angedeutet hat: Der Finne ist kein verquerer Folklorist, der sich nur den Menschen in finnischen Wäldern erschließt, kein Welt-Außenseiter, sondern ein Mann, der Maßanzüge und Zigarren gleichermaßen schätzte. Ein Mann, der nun, im Jahr seines 150. Geburtstages, auch endlich die deutschsprachige Biographie bekommen hat, die er verdient.

  • Volker Tarnow: Sibelius. Biografie, Henschel Verlag, Leipzig / Bärenreiter Verlag, Kassel 2015, 288 S., € 24,95, ISBN 978-3-89487-941-9

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