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Senator für Coolness - Berlins Kultur vermisst Wowereit jetzt schon

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Dort gibt es weder Flughafenskandal noch Politik-Kleinklein - in der Oper, im Musical oder auf der Berlinale fühlt sich Klaus Wowereit (SPD) sichtlich wohl. Wenn der Regierende Bürgermeister am 11. Dezember abtritt, verliert Berlin einen wichtigen Mann für die Kultur. Wowereit amtiert seit 2006 zusätzlich zum Bürgermeisteramt auch als Kultursenator, die etablierte Szene weint ihm schon jetzt nach. Kein Wunder: Der Sozialdemokrat erklärte Kultur zur Chefsache, sicherte die finanzielle Ausstattung der großen Häuser und verhalf der Stadt zum Ruf einer internationalen Kunstmetropole.

«In diese großen Schuhe muss jemand erst mal reinpassen», sagte Jürgen Flimm, Intendant der Berliner Staatsoper. Er stehe noch immer unter Schock, gab Flimm im RBB-Fernsehen nach der Rücktrittsankündigung zu Protokoll. Er habe die «Subkultur zur beherrschenden Industrie» ausgebaut, beschrieb Matthias Lilienthal, früherer Intendant des Berliner Avantgarde-Theaters «Hebbel am Ufer» und designierter Chef der Münchner Kammerspiele, den Wowereit-Faktor im «Tagesspiegel».
 
Tatsächlich stieg in Wowereits Amtszeit Berlin zur «europäischen Hauptstadt der Coolness» («USA Today») auf und zieht seitdem vor allem junge Menschen aus aller Welt an. Ob als Partylöwe oder Premierengast: Wowereit hat wie wohl kein anderer Politiker das Berlin-Gefühl verkörpert. Und ihm gelangen auch einige Coups. So lockte er den Plattenkonzern Universal nach Berlin, sicherte - mit Hilfe des Bundes - das Überleben der drei Berliner Opernhäuser und etablierte die Berliner Modewoche.
 
Dabei stützte er sich auf seinen langjährigen Staatssekretär André Schmitz. Der Verwaltungsfachmann, der im Februar wegen einer Steueraffäre seinen Hut nehmen musste, fädelte vielgelobte Personalien ein, etwa die Ernennung der Intendanten Barrie Kosky (Komische Oper), Dietmar Schwarz (Deutsche Oper), Shermin Langhoff (Gorki Theater) und Annemie Vanackere (HAU).
 
Selbst die Opposition spricht Wowereit die Verdienste nicht ab. «Er hat der Berliner Kulturpolitik Strahlkraft verliehen», sagte Sabine Bangert, kulturpolitische Sprecherin der Grünen.
 
Schon als er noch ein eher unbekannter Abgeordneter aus dem Bezirk Tempelhof war, erkannte Wowereit, dass Berlin existenziell auf Kunst und Wissenschaft angewiesen ist. Die Stadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich ausblutete, hat weder ein DAX-Unternehmen noch sonst Großindustrie. Ob Berliner Philharmoniker, die Galerien oder der Techno-Club «Berghain» - Hochkultur und Jugendszene gehören zu den wichtigsten Produktivkräften der klammen Metropole.
 
Wowereit musste aber auch Niederlagen einstecken. Sein Kunsthallen-Projekt scheiterte ebenso wie der Plan, auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof einen Neubau für die Landesbibliothek zu errichten. Auch die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden war zunächst ein Flop. Die jahrelange Verzögerung ist aber nicht Wowereit, sondern eher der Bauverwaltung anzulasten.
 
Auch manche in der Kunstszene fühlen sich von Wowereit verprellt - etwa die Choreografin Sasha Waltz. Sie warf dem Kultursenator vor, sich nicht genügend für ihre mittlerweile weltberühmte Compagnie «Sasha Waltz & Guests» einzusetzen, und drohte gar mit einem Weggang aus Berlin. Für die Grüne Sabine Bangert ist Wowereits Verhältnis zu den Kunstschaffenden gestört. «Er hat nie den Dialog um die Sorgen und Nöte der Künstler gesucht», sagt sie.
 
Pessimistisch blickt Bangert auf die Zeit nach Wowereit. Dem Musikmanager Tim Renner, den Wowereit als Schmitz-Nachfolger ernannte, fehle die politische Erfahrung, um sich etwa in Haushaltsberatungen durchzusetzen. Bisher könne sich Renner noch auf Wowereit stützen. Bei einem Nachfolger sei sie sich nicht so sicher. «Bei den Kandidaten, die jetzt im Gespräch sind, sehe ich für die Berliner Kulturpolitik schwarz», sagte Bangert. 
 
Esteban Engel
 
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