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Verloren im Chat - Uraufführung der Berk-Oper «Entfrorene Zukunft»

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Frankfurt/Bad Homburg - Ein Mann erschafft sich am Rechner eine Frau und eine Welt mit ihr. Der Bad Homburger Komponist Wulf Berk stellt mit seiner «Notebookoper» die Frage: Was passiert, wenn das Internet uns einsam macht? Am 18. Oktober wird das Werk erstmals auf einer Bühne gezeigt.

 
 
Oper ist für ihn ein Spielfilm auf der Bühne. Spannend, packend, mit einer Geschichte, die den Zuschauer mitfiebern lässt. Der Komponist Wulf Berk aus Bad Homburg hat sich für sein neuestes Werk ein populäres Thema gesucht und sich in die Untiefen virtueller Welten und Computer-Chats vorgewagt. «Entfrorene Zukunft» heißt die fast 90 Minuten lange Oper, die an diesem Samstag (18. Oktober) in der Frankfurter Naxoshalle szenisch uraufgeführt werden soll. Als Konzert wurde sie bereits 2012 im kleinen Rahmen am Wohnort des Komponisten im Taunus vorgestellt.
 
«Ich habe eine Oper geschrieben, wie ich sie selbst einmal gerne sehen würde», sagt Berk zu dem Stück, für das er auch das Libretto, also den Text der Oper, verfasst hat. Er schildert darin die Situation eines Mannes, der sich in einer emotional völlig erstarrten Gesellschaft an seinem Rechner eine Frau entwirft und zu dieser eine Beziehung aufbaut. Die beiden chatten, konstruieren sich eine gemeinsame Wirklichkeit. «Es ist ein langsamer Prozess, bei dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion allmählich verschwimmen - ein Ausbruch aus der räumlichen Isolation und der emotionalen Vereinsamung kündigt sich an», erklärt Berk.
 
Die Inszenierung der Uraufführung haben die Frankfurter Regisseurin Corinna Tetzel und Bühnenbildnerin Maria Pfeiffer übernommen, für die das Thema nach eigenen Angaben von Anfang an inspirierend war. «Es geht darum, dass es immer mehr Menschen gibt, die durch die Virtualisierung der Gesellschaft eine Vereinsamung erfahren», beschreibt Tetzel. Die Oper zeige, wie sich zwei Menschen in einer Scheinwelt begegneten, doch nur der Mann sei real. Die Frau sei eine Fantasie, die aus einem Computer heraus erwachse.
 
Entsprechend verlegt das Produktions-Team die Handlung in zwei nebeneinanderstehende Boxen, die ein wenig an ein Callcenter erinnern. In der rechten sitzt der Mann, in der linken die Frau. Physischer Kontakt ausgeschlossen. Was die beiden singen und denken, erscheint als Live-Chat auf einem großen Bildschirm. Selbst die Musik wird in «Entfrorene Zukunft» vom Computer erzeugt. Ein Orchester und einen Dirigenten gibt es nicht.
 
Das stellt die Sänger vor große Herausforderungen. «Es gibt keine Interaktion mit den Musikern», erklärt die Sopranistin Katja Beer, die die Rolle der Frau verkörpert. «Die Musik kommt aus den Boxen und wir müssen exakt dazu singen.» Um punktgenau einsetzen zu können, wollen die drei Sänger in der Premiere Kopfhörer verwenden, die den Takt vorgeben.
 
Die Klänge pendeln irgendwo zwischen zeitgenössischer Avantgarde und opulenten Melodien. «Die dekonstruktive Phase der Musik ist einfach vorbei», meint Berk. Für ihn muss sich aus dem Wortfluss eine Melodie entwickeln, lange Melismen - also viele Töne für eine Textsilbe - hasst der 70-Jährige. Oper müsse wieder fassbar werden: «Wenn ich aus einer Aufführung herauskomme und habe keine Melodie im Ohr, dann fühle ich mich betrogen», lautet sein Credo.
 
Den sich dabei aufdrängenden Vergleich zu dem berühmten Komponisten Richard Wagner (1813-1883) lässt Berk nicht zu - auch aus Bescheidenheit. «Die dramatische Tonsprache Wagners prägt, und möglicherweise habe ich sie unbewusst auch übernommen», gesteht er immerhin. Aber mindestens noch eine Parallele gibt es: Auch Wagner schrieb seine Libretti bekanntermaßen selbst.
 
Christian Rupp
 
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