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Foto: A. T. Schaefer
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Absicht oder Unvermögen

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Das Regieduo Jossi Wieler / Sergio Morabito und Sylvain Cambreling nehmen sich in Stuttgart Beethovens Fidelio mit allen Dialogtexten vor. Joachim Lange berichtet.

„Meine Pflicht hab ich getan“ – steht auf dem Vorhang, der am Ende nach der Fidelio-Premiere in Stuttgart herunter geht. Nachdem der Schlussjubel trotzig und bis an den Rand des gerade noch Zusammenklingenden abgefeiert wurde und alle auf einer Seite ängstlich zusammenrückt waren. Darauf, dass das Bühnenbild die letzte Arbeit des im Sommer so plötzlich mit 54 Jahren verstorbenen Bert Neumann war, kann sich das Zitat kaum beziehen. Die touchiert mit ihrem Minimalismus die Grenze zur optischen Verweigerung. Ein mit Planen verhängter, unbestimmt abstrakter Bühnenraum, erst in Hell und dann in Dunkel. 

Von der Decke hängen Mikrophone in Reih und Glied, die Übertitel erscheinen wie eine Mitschrift des Gesagten oder Gesungenen. Manchmal wird da ein Wort korrigiert. Der so assoziierte Überwachungsstaat sieht freilich zunächst nach Freizeitlookgefängnis aus. Mit Hollywood Schaukel für Rocco und einer Zigarette zwischendurch. Jaquino und Marzelline betreiben hier eine Art Paketkontrolle. Kartons vom Band nehmen, aufschneiden, im Styropor wühlen, wieder mit Klebeband verkleben und dann auf das Förderband im Hintergrund setzten. Das sieht man, versteht auch, was gemeint sein könnte. Und doch funktioniert es nicht wirklich.

Die aufgehängte Wäsche auf der Leine, flattert manchen der im Laufschritt albern auf- und abtrabenden Choristen immer mal ins Gesicht. Wie die Wäschestücke so dahängen könnten sie ein Bild sein für die nun wirklich in aller Ausführlichkeit aufgefädelten und in aller Ruhe abtropfenden Textpassagen, mit denen die beiden Librettisten Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke nun mal Beethovens geniale Musiknummern von der Singspieltändelei bis hin zum Freiheits- und Gattenliebepathos zusammenhalten. Oder eben auch nicht, so wie im vorliegenden Fall. 

So wie Sergio Morabito und Jossi Wieler die gesprochen Passage gemächlich ausstellen, sind sie am Ende doch eher der misslungene dramaturgische Opernschmierstoff für den sie gemeinhin gehalten werden. Zwar sprechen sie alle mit abgesenkter Stimme und mikrophonverstärkt, doch vermeiden sie das Aufkommen von Langeweile nicht.

Im Grunde liefern Wieler und Morabito mit diesem „Fidelio“ die Gegenposition zu Claus Guths vielgescholtener Salzburger Variante, bei der die Dialoge durch einen grummelnden Elektrosound und Gebärdensprache ersetzt worden sind. Da mag sich jeder entscheiden, welche Variante als Rehabilitierung und welche als Grundsatzkritik des Stückes gelten kann.

Dass die Protagonisten, aber auch die Leute Pizarros und die Gefangenen in einem lächerlich bunten Einheitslook daherkommen, mag auf Austauschbarkeit der Leute und Verhältnisse aus sein. Wenn sie hier aber jeder in seinem eigenen Laufstil angetrabt kommen, dann fragt man sich schon, ob das Absicht oder (beim Stuttgarter Opernchor eigentlich nicht zu erwarten) Unvermögen ist. Der Gefangenenchor büßt dabei seine überzeitlich für Freiheit plädierende Wirkung gänzlich ein. Aber warum? 

Schlüssig ist der Auftritt des Ministers im grauen Straßenanzug überm T-Shirt, und seine große Mühe, die Botschaft von Brüderlichkeit den in ihren Ritualen (Hände hinterm Kopf) Gefangenen beizubringen. Und an deren Verweigerung schier zu verzweifeln. Nach dem Gegluckse, mit dem Florestan die Plasteflasche leer trinkt und Leonores Bluse-Auf und Pistole-Raus Pathos, erfahren wir dann doch noch, was dieser freistehende Container mit Sehschlitz eigentlich war, der von Anbeginn unverrückbar im Zentrum der Bühne stand. Mit der Fernbedienung des Ministers öffnet sich nämlich ein Garagentor und wir erblicken jede Menge Akten und einen Aktenvernichter im Dauerbetrieb. Hier scheinen die Regime öfter zu wechseln. Denn Rocco findet seine aktuelle Akte auf Anhieb und schreddert die noch schnell. Also der ewige Opportunist, der die Gräber aushebt, aber nicht selbst abdrückt und für jedes System taugt? Aber dafür einen ganzen Fidelio?

Auch musikalisch bleiben diesmal Wünsche offen. Leider auch im Zentrum. Rebecca von Lipinski hat zwar eine schöne Stimme und durchaus jungenhafte Ausstrahlung - aber für eine Leonore fehlt noch einiges. Michael Königs Florestan hingegen ist ein vokaler Volltreffer, dem am Ende auch in der Darstellung das Traumatisierte gelingt. Erstaunlich, dass Wieler und Morabito über Pizarros Nebensatz vom Mörder, den er morden will hinweg inszenieren, als würden sie den Widerhaken gar nicht bemerken. Doch Michael Ebbecke gewinnt den Kampf mit seiner komischen Perücke und ist ein Bösewicht mit großformatigem stimmlichen Charisma. Nichts auszusetzen gibt es an: Josefin Feilers beweglicher Marzelline und Daniel Kluges lebendig trotzigem Jaquino, während Roland Bracht für seinen Rocco schon einige Kräfte mobilisieren muss.

Auch im Falle von Sylvain Cambreling steigt ein wenig Wehmut neben der Begeisterung auf. Vor allem bei der Erinnerung an seinen Pariser „Fidelio“, mit dem er 2008 punktgenau und mit einem Volltreffer den 65. Geburtstag von Gerard Mortier krönte. Damals übrigens in einer Inszenierung von Johan Simons und mit einer der raren, wirklich gelungenen Neudichtung der Dialoge von Martin Mosebach. Die Stuttgarter Oper verlässt man diesmal eher etwas ratlos. Und das in so einem Fall so gerne bemühte Brechtwort vom Vorhang zu und alle Fragen offen, wird diesmal auch nicht durch eine restlose musikalische Beglückung ausgeglichen. 

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