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Ein Spuk, eine Revue: Bernd Redmanns „Die Gehetzten“ in Bremen. Foto: Theater Bremen
Ein Spuk, eine Revue: Bernd Redmanns „Die Gehetzten“ in Bremen. Foto: Theater Bremen
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Abstrus, irreal und skurril: Bernd Redmanns „Die Gehetzten“ in Bremen

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Kann man nach einem solchen Abend die Frage nach der Gattung Oper überhaupt noch stellen? Der 1965 geborene Musikwissenschaftler, Musiktheoretiker und Komponist Bernd Redmann machte für seine erste Bühnenarbeit den (nicht vorhandenen) Sinn des Lebens und den (nicht vorhandenen ) Sinn der Kunst zum Thema, sein Text ist eine Farce. Klischees und Binsenweisheiten werden ironisch aneinandergereiht, es gibt keinen Inhalt, es gibt keine Geschichte.

Logisch ist dann die Musik dazu sozusagen keine wirklich eigene, sondern eine, die sich aus vielen Quellen speist. So die „Wellnessmusik“, so die barocke Spielmusik, so die Mozartanklänge, so die vielen dramatischen Wagneranklänge des Schwulstes vom Ende des vorletzten Jahrhunderts oder Jazz und Avantgardeanklänge sind da zu hören. Auch die Gesangsstile der Personen 1 bis 5 (! Frau und vier Männer) schöpfen aus der Geschichte. Doch ein Feindbild der einstigen so genannten Postmoderne greift ja schon lange nicht mehr und angesichts dieses Stiles, muss man die Kriterien neu sortieren. Redmanns Werk heißt im Untertitel „Musiktheaterfarce“ – es ist ein Kompositionsauftrag der Bremer Intendanz.

Denn Redmann funktionalisiert diese Stile, die durchaus in der Art der Montage mit vielen Klangfarben ihre Individualität und auch Originalität haben, zugunsten seiner Aussage. So erklingt freche Revuemusik im Bild der marschierenden Börsenmakler, die sich im Vorwärtsmarschieren gegenseitig webschubsen, Friseurmusik zu Videos von esoterischen Wellnessangeboten über Videos, expressionistische Dramatik zur Karikatur des Streites und Versöhnung des Paares. Es hat etwas Prickelndes und auch Irritierendes, wenn man dauernd Musik hört, die man zu kennen glaubt. Es wagnert und strausst auch kräftig, aber es gibt keine direkten Zitate.

Bei allem muss man immer ein bisschen schmunzeln, auch lachen, alles hat einen guten Unterhaltungswert. Alle ist möglich in dieser Welt, alles erlaubt, aber es bleibt weitgehend bei der mehr oder weniger ironischen Information. In eine weitere die Reflexion gerät nichts. Hoffnung, dass mal etwas anders wird, hat Redmann nicht, weder als Librettist noch als Komponist. Denn das Libretto hat er sich selbst geschrieben, nachdem er jahrelang nach einem in der Richtung Farce – Dario Fo ist da sein Vorbild - gesucht hat. Er reiht Klischee an Klischee und präsentiert damit den Identitätsverlust der Menschen, die in der Falsch- und Überinformation keinen Ort mehr finden.

Die Qualität dieses kurzweiligen Abends kam auch maßgeblich vom hohen Niveau der Inszenierung. Was dem Leiter der Berliner Kammeroper – die freie Produktionen an unterschiedlichen Orten präsentiert – Kay Kuntze zusammen mit der Bühnenbildnerin Bente Matthiesen da alles eingefallen ist, setzt nicht nur für dieses Stück Maßstäbe. Die Bilder explodieren geradezu vor vollkommen unzusammenhängender Bilderlust. Zum Beispiel der 50er Jahre Kitsch der Beziehung von Billy und Sheila mit ihren Jahrmarktsherzen, das Internet als allegorische weibliche (Göttin)Figur, an deren Fäden alle hängen, der tiefgefrorene Kunstphilosoph, der die Ironie über den Avantgardebegriff der 50er und 60er Jahre stottert, während er mit einem Fön wieder aufgetaut wird.

Den Text versteht man gar nicht und da hätte man sich schon was einfallen lassen müssen. Nur ein Beispiel: da gibts einen Text über das Erdbeben in einer Millionenstadt in China, die keiner kennt und einen Spendenaufruf. Die Stadt gibt aber gar nicht. Das ist intelligent und witzig ausgedacht, man versteht aber kein Wort.

Die Musik hat Power und Witz, sie wird mit Einspielbändern von 13 Musikern sehr bläserlastig unter der Leitung von Tarmo Vaask zunächst im Hintergrund und im letzten Bild offen gespielt. Dann gehen alle wie in Haydns Abschiedssinfonie hinaus: der Spuk, am Ende eine Revue, ist vorbei.

Unter den Sängern zentral Nadine Lehner, dann Andreas Engelhardt, Loren Lang, Christian Hübner und Johannes Scheffler, der sich aus dem Publikum meldet und „so'n Quatsch“ zur Pseudodiskussion über Kunst brüllt. Die Mitglieder des Chores spielten ihre bizarren Rollen exzellent. Wie gesagt, der Unterhaltungswert des abstrusen, irrealen und skurrilen Stückes ist hoch, es geht aber nicht tiefer und will es wohl auch gar nicht.

Die nächsten Aufführungen: 23.3., 25.3., 28.3., 1.4., 21.4.,24.4., 5.5. und 9.5. 2010 im Schauspielhaus Bremen

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