Hauptbild
Gluck in Rheinsberg. Foto: Musikakademie Rheinsberg
Gluck in Rheinsberg. Foto: Musikakademie Rheinsberg
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ansteckendes Gähnen – Glucks „Merlins Insel oder Die verkehrte Welt“ im Schlosstheater Rheinsberg

Publikationsdatum
Body

Dass eine selten gespielte Oper Christoph Willibald Glucks zum 300. Geburtstag des bayerischen Komponisten in Rheinsberg zur Aufführung kommt, nimmt Bezug auf die dortige Theatergeschichte: im Gegensatz zur Berliner Hofoper, wo König Friedrich II. Glucks Opern als zu neuartig ablehnte, wurden diese im Schlosstheater Rheinsberg von Prinz Heinrichs Hofkapellmeister Johann Abraham Peter Schulz bevorzugt gespielt.

Christoph Willibald Gluck hat für den Hof in Wien ab 1758 eine Reihe französischer Vaudevilles ins Deutsche übertragen und dabei zusehends mehr eigene Nummern integriert. Die einaktige Opéra-comique „Merlins Insel oder Die verkehrte Welt“ enthält ausschließlich eigene Kompositionen von Gluck. Die Satire zielt auf soziale Missstände des 18. Jahrhunderts, die mithilfe mythologischer und realistischer Figuren, sowie mit Handlungsträgern der Commedia dell’arte vorgebracht und ad Absurdum geführt werden.

Einige der 24 Musiknummern kennt der Opernfreund aus dem Pasticcio „Die Maienkönigin“ von Johann Nepomuk Fuchs und die Ouvertüre, allerdings in anderer Reihenfolge, aus der „Iphigenia auf Tauris“: in deren Ouvertüre hat Gluck sein Material erneut verwendet. Die meisten Nummern sind extrem kurz, verzichten auf den Dacapo-Teil und zeigen Gluck bereits auf dem Wege zum Reform-Komponisten.

Zwei Schiffbrüchige, Pierrot (Bariton Tilman Birschel) und Scapin (Christian Backhaus, ebenfalls Bariton) werden an den Strand einer Insel geworfen, wo eine verkehrte Welt herrscht. Diese Insel hat Bühnenbildner und Regisseur Maximilian Ponader ausschließlich mit Wäscheständern dekoriert, die zum Teil extrem hoch in den Bühnenhimmel ragen und mit einer Unzahl weißer Kostümteile behängt sind. Dieses Bild löst sich jedoch im Verlauf der Handlung nicht ein, nicht einmal sind die im Spiel auftretenden Personen weiß gekleidet. Auf einem Tischlein-deck-dich stärken sich die beiden Protagonisten mit einem unsinnlich silbergrauen Truthahn und einer ebensolchen Weinflasche.

Die hinzu kommenden Inselbewohner berichten wahrheitsgemäß, dass hier alles anders sei als in Paris, der Heimat der Angeschwemmten: die Ehemänner sind treu, die Händler gewissenhaft, die Ärztin Hippokratine schwört auf die Heilkräfte der Natur und hat nicht ihr Honorar im Sinn, die Advokaten sind aufrichtig und setzen ihren gesunden Menschenverstand anstelle des Gesetzbuches ein.

Die Schiffbrüchigen verlieben sich sofort in die unkompliziert liebeswilligen Damen Argentine (Cindy Raquel Lutz, Sopran) und Diamantine (Johanna Krödel, Mezzosopran). In der Rivalität mit den Liebesrivalen Hanif und Zerbin soll ein Würfelspiel entscheiden, (wobei die übergroßen Styroporwürfel jeweils auf allen Seiten die gleiche Anzahl an Augen haben). Dann outet sich der Herrscher der Insel (Tenor Christoph Rosenbaum) in der Kuppel einer aufgerichteten Rakete optisch als Anführer der Berliner Love Parade, der die beiden Schiffbrüchigen mit seinen Nichten vermählt.

Zuvor hatte dieser Darsteller einen Philosophen gemimt, der in der verkehrten Welt ein eleganter Kavalier ist, von Gluck daher mit überholt altertümlichen Koloraturen kritisiert. Jenes Gähnen, das sein Vortrag in der Handlung auslöst, steckte allerdings auch die Zuschauer an – und es dauerte leider fort. Noch nach der Aufführung, nach dem doch keineswegs langen Theaterabend, sah ich extrem viele Besucher, die vordem offenbar mit Schlaf gerungen hatten, im Foyer gähnen.

Zu den Positiva der rund 90-minütigen Aufführung zählt in erster Linie das aus Jugendlichen gebildete „Orchester 1770“, mit zwei Flöten, zwei Oboen, Englischhorn, Fagott und zwei Naturhörnern, sowie Streichern und Cembalo. Der französische Dirigent Aurélien Bello sorgt mit frischen Tempi für Esprit und hat Bühne und Graben fest im Griff.

Hingegen ließen die gesanglichen Leistungen sehr zu wünschen. Das begann bereits mit der Textverständlichkeit, die bei einer komischen Oper vornehmlich gegeben sein müsste, von Differenzierung, Volumen oder gar Stimmkultur ganz zu schweigen.

So bereitete die mit der „Oper an der Leine, Hannover“ produzierte Produktion bestenfalls ein zwiespältiges Vergnügen. Auch auf der Bühne herrschte zwar Spielfreude, aber sinnlose Übertreibungen und selbstverliebt tuntiges Gehabe vermochten Ideenlosigkeit nicht aufzuwiegen.

Zu den Fragwürdigkeiten zählte auch ein vom Orchester gespieltes Wagner-Zitat, „Treulich geführt“. Der abschließende Rundgesang, von den 14 Personen des Originals auf sechs reduziert, erfolgte dann nochmals als Zugabe.

Fazit: Eine reizvolle Opernausgrabung, die es bislang nicht auf Tonträgern gibt. Aber Schloss Rheinsberg hat schon sehr viel inspirierteres und originelleres Musiktheater geboten, und dies zumeist mit sehr viel besseren Sängerleistungen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!