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Neuburger Kammeroper innen. Foto: Kammeroper Neuburg
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Authentisch: Die Neuburger Kammeroper 2020 im Live-Stream mit Goethe

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Die Neuburger Kammeroper brachte die dritte Vorstellung ihrer Produktion des Singspiel-Pasticcios „Theatralische Abenteuer“ von Goethe und Vulpius für das Weimarer Hoftheater im Livestream. Das Experiment gelang, weil das kulturelle Sommerunternehmen über profunde regionale Ressourcen und gewinnende Alleinstellungsmerkmale verfügt: Aufführungen in deutscher Sprache, eigene Bearbeitungen und nie versiegende Entdeckerfreude an einem pittoresken Ort.

Corona macht erfinderisch. Bei der Neuburger Kammeroper ging trotz sehr spät erteilter Spielgenehmigung der Vorhang zum vorgesehenen Premierentermin hoch. Es gab auch ein komplettes Stück – und überdies den ersten Livestream des Ensembles. Dieser klappte ausgezeichnet und bestätigt die Lebenskraft dieses echten Traditionstheaters im 52. Spieljahr. Sicher wirkten die wegen des Hygienekonzepts nur dünn besetzten Plätze im äußerst tiefen Orchestergraben und im kleinen Hufeisen-Rangtheater des Neuburger Stadttheaters auf den Endgeräten befremdlich. Aber es gab das angestammte Spiel - und Prinzipal Horst Vladar spielte sich selbst: Als Theaterfaktotum Orestes erinnert er sich mit einem „Don Giovanni“-Zitat an jene Zeiten, als Opernaufführungen noch in Landessprache stattfanden. Wie er legte das gesamte Ensemble die Noten der angekündigten Belcanto-Rarität „Che dura vince“ von Luigi Ricci gezwungenermaßen beiseite und machte sich mit bemerkenswerter Doppelbelastung also an Goethe. In der Not des Lockdowns kamen Annette und Horst Vladar an eine Partitur aus den Beständen der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek in der Universitätsbibliothek Augsburg.

Anno 1791 sollte es auch in Weimar ein Theater-auf-dem-Theater-Stück geben. Fast alle Musiktheater-Werke ließ Goethe für die dortigen Aufführungen von seinem Schwager Christian August Vulpius optimieren. Erst waren die „Theatralischen Abenteuer“ ‚nur‘ die Eindeutschung von Domenico Cimarosas in ganz Europa gespielter Opera buffa „L'impresario in angustie“ (Der Impresario in Schwierigkeiten, 1786). Später fügte Vulpius vier Nummern aus Mozarts „Schauspieldirektor“ ein. Dessen Sopranarie „Da schlägt die Abschiedsstunde“ wirkte auch in Neuburg wie der Durchbruch in eine andere musikalische Welt. Der Klang der von Alois Rottenaicher mit prägnanter Gelenkigkeit koordinierten kleinen Besetzung aus dem Akademischen Orchesterverband München: Transparent, angeraut und geerdet. Man hört den durch den Thespiskarren bei der Komödianten-Anreise aufgewirbelten Staub und vor allem Cimarosas musikalische Stärke: Gewicht statt Getändel.

Während Edda Moser beim Festspiel der deutschen Sprache 2019 in Bad Lauchstädt Vulpius‘ „Zauberflöte“-Einrichtung noten- und buchstabengetreu inszenierte, folgte die Neuburger Kammeroper bei diesem chorlosen ‚Singspiel‘ der Theaterpraxis des späten 18. Jahrhunderts, indem sie das Gelegenheitsstückwerk als Steinbruch für passgenaue praktikable Lösungen verwendete. Allein schon die Weimarer Fassungsgeschichte der dort bis Anfang des 19. Jahrhunderts gespielten „Theatralischen Abenteuer“ ist ein Wirrwarr. Die beim Livestream mögliche Lektüre einer digitalisierten Libretto-Ausgabe (Hamburg 1796) bestätigt, dass Annette und Horst Vladar in ihrer Einrichtung behutsam mit den Texten umgingen und deren nostalgischen Charme auch visualisierten. Irritation entsteht durch verschiedene Partiennamen in Druck und Inszenierung, aber die Situationen sind klar: Man kämpft gegen existenzielle Nöte, zerreibt sich für das überschaubare Glück der Publikumszustimmung und hangelt sich von einem Gastspielort zum nächsten.

Die Typen sind vertraut, die Konstellationen auch. Hier spielen die „Theatralischen Abenteuer“ in der guten alten Gründerzeit mit Gehrock und biedermeierlichen Galanteriewaren. Michele Lorenzinis Bühne zeigt den dekorativen Urzustand vor der ersten Probe. Die vorstelligen Diven Ines Vinkelau, Denise Felsecker und Laura Faig wetteifern mit geschärften Krallen, heftigen Wortwechseln und treffsicher abgezielten Tönen. Als Theaterdirektor zeigt Joachim Herrmann sanguinische Besonnenheit. Patrick Ruyters und Goran Cah sind ein diplomatisches und in Hinblick auf ihre wild entschlossenen Protagonistinnen weniger triebgesteuertes als schwerenöterisches Gespann von Dichter und Komponist.

Keine übereifrige Video-Dramaturgie und keine akustischen Filter versuchten das Theaterereignis mediengerecht aufzufeaturen. Das Stream-Experiment gelang auch deshalb erfreulich gut, weil es nichts anderes als eine wünschenswerte Nebensache sein wollte. Ein Vorstellungsbesuch ist durch nichts zu ersetzen.

  • Neuburger Kammeroper am 18., 19., 24. (Livestream), 25., 26. Juli 2020, 20.00 Uhr im Stadttheater Neuburg an der Donau: „Theatralische Abenteuer“ von Johann Wolfgang von Goethe und Christina August Vulpius. Musik von Domenico Cimarosa und Wolfgang Amadeus Mozart (Weimarer Hoftheater 1791 ff)

 

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