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Footfalls / Neither INFEKTION! 2014 Premiere: 22. Juni 2014 Fotos: Stephen Cummiskey
Footfalls / Neither INFEKTION! 2014 Premiere: 22. Juni 2014 Fotos: Stephen Cummiskey
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Becketts Rückkehr ins Schillertheater – Die Staatsoper kombiniert Feldmans „Neither“ mit Becketts „Footfalls“

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Das Berliner Schillertheater war in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Stätte der deutschen Erstaufführungen der Stücke von Samuel Beckett.Hier traf bei den Proben zur Erstaufführung von „Footfalls – Tritte“ im Jahre 1976 der amerikanische Komponist Morton Feldmann den irischen Dramatiker, in der Absicht, gemeinsam eine Oper zu schreiben. Sechs Zeilen skizzierte der Dichter dem Musiker auf eine Papierserviette, der Rest der 16 Zeilen des Librettos zu „Neither“ folgte auf einer Postkarte.

Inzwischen hatte der Komponist bereits mit der Partitur begonnen und bezeichnete scherzhaft die Form der Ouvertüre als das „Warten auf Text“.

Im Rahmen ihres Festivals „Infektion!“ stellt die Staatsoper dem in Berlin im Oktober 1978 in der Neuen Nationalgalerie erstaufgeführten Musiktheaterstück nun Becketts „Footfalls“ voran, jene seltsam düstere Geschichte von einer Frau, die ihre sieche Mutter pflegt, im erinnernden Umkreisen eines im Dunkel bleibenden „Es“, welches in der Vergangenheit passiert ist. In der Inszenierung von Katie Mitchell wird die Nähe von Becketts Spielvorlage zur seriellen Musik deutlich. Geht es doch in „Tritte“ um jeweils neun Schritte, die May hin zu jener geöffneten Tür, hinter der das Bett ihrer Mutter angenommen wird, tut, um auf der Stelle, ohne den Nebenraum zu betreten, wieder zurück zu gehen und diesen Bewegungsablauf aufs Neue zu starten.

Die Stimme der Mutter ertönt nur über Band. Es ist faszinierend, wie die Schauspielerin Julia Wieninger, die sich bereits wiederholt im Musiktheater bewährt hat, der Stimme der Mutter einen völlig anderen Duktus und auch eine gänzlich anderen Klang verleiht als der agil von ihr live dargebotenen Tochter. Die vier Szenen werden jeweils durch helle Gongschläge eingeleitet.

Nahtlos ans Drama schließt sich nun die Oper an: das Aufleuchten des Orchestergrabens wird zu einem strukturellen Element, als ein Pendant zu dem von Beckett für „Footfalls“ vorgeschriebenen, jeweiligen Abdimmen des Licht in den Szenen des Schauspiels.

Nun hebt sich die Rückwand des Ganges und gibt dahinter ein zweites Mal und ohne perspektivische Verjüngung, dieselbe Raumanordnung preis. In ebensolchen Schritten wie bereits im Schauspiel, bewegt sich nun May und parallel zu ihr die gleichartig gleich gekleidete Sopranistin Laura Aikin. So entstehen rampenparallel sukzessive auch ein dritter, vierter, fünfter, und sechster identischer Gang mit Türen auf beiden Seiten, sobald sich die jeweilige Rückwand hebt. In ihnen bewegen sich sieben weitere identisch gewandete Darstellerinnen in der Schrittfolge der May, nur selten räumlich versetzt.

Im geschlossenen Zustand lösen diese Türen bei den Frauen klaustrophobische Situationen aus: panisch rennen sie zwischen den Türen links und rechts hin und her, bis diese sich wieder öffnen, ohne dass sie deren Schwellen überschreiten würden. 94 mal erklingt eine neuntönige Abfolge. In der Choreographie, für die Signe Fabricius verantwortlich zeichnet, ist es umgesetzt ins jeweils vier Schritte vor und vier Schritte zurück.

Großartiges vollbringt die Sopranistin in der gesanglichen Umsetzung des von Feldmann an der Grenze des Singbaren Komponierten: die Wörter sind auf jeweils mehrere Minuten gedehnt, jede Silbe erklingt auf einem Ton im Bereich des g, im Pianissimo bis hin zur Unhörbarkeit. Die 80 Instrumentalisten unter der musikalischen Leitung von François Xavier Roth exerzieren die vom Komponisten intendierte rhythmische Unschärfe, die Schwankungen als ein lebendiges Pulsieren inmitten eines psychischen Heulen des Windes. Jene drei lauten Schläge in dieser Partitur, die im Ohr des Hörers ein Purgatorio des Nichtklanges auslösen sollen, hätten im Gesamtablauf vielleicht noch gewaltiger dreinschlagen dürfen.

Im nicht ganz ausverkauften Schiller-Theater gab es am Premierenabend nach fünf dichten Viertelstunden dankbaren bis begeisterten Applaus, insbesondere für die Primadonna des Schauspiels, Julia Wieninger.

  • Weitere Aufführungen: 24., 27., 29. 6. 2014.

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