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Eleonora Bellocci (Ottavia) & Roberta Invernizzi (Fulvia) © Birgit Gufler
Eleonora Bellocci (Ottavia) & Roberta Invernizzi (Fulvia) © Birgit Gufler
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Bildung statt Missbrauch: „Silla“ von Graun bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

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Von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik geht die Produktion von Carl Heinrich Grauns „Silla“ unter einem Berlin-affinem Produktionsteam – Alessandro De Marchi (Dirigent) und Georg Quander (Regie) – zu den Osterfestspielen Schloss Rheinsberg. Zu bestaunen gab es in der ersten Neuproduktion dieses Dramma per musica (Berlin 1753) nach 240 Jahren viel. Roland Steinfeld hatte eine praktische Urtext-Ausgabe nach zwei Abschriften der Partitur aus der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz erstellt. Ein Triumph der Counterstimmen von Bejun Mehta, Valer Sabadus, Hagen Matzeit und Samuel Mariño.

„Der König hält im Opernhause ebensowohl auf Disziplin wie in der Armee.“ beobachtete Charles Burney auf seiner berühmten „Musikalischen Reise“ durch Europa um 1770. Er meinte damit Friedrich II. von Preußen, der mit scharfer Aufmerksamkeit das Königliche Opernhaus Berlin, aber auch Schaustellungen in der Orangerie von Schloss Charlottenburg und im Schlosstheater Sanssouci scharf beobachtete und steuerte. Friedrich II. wollte nicht nur der erste Diener seines Staates sein, sondern auch der erste Dramaturg seines Opernhauses. Ein Ergebnis dieser Anstrengungen ist das auf Friedrichs II. Libretto-Erfindung gestaltete und am 27. März 1753 im Königlichen Opernhaus zu Berlin uraufgeführtem Dramma per musica Oper „Silla“. Sie zeigt das außergewöhnliche Ideal von einem Herrscher, der niedrige Antriebsmomente überwindet und freiwillig zurücktritt. Eine Utopie, zu schön um wahr zu sein. Der preußische Kapellmeister Carl Heinrich Graun komponierte dazu eine packende und zukunftsweisende Musik. Die italienischen Verse von Giovanni Pietro Tagliazucchi folgen einem von drei Libretto-Entwürfen von König Friedrich II. von Preußen, die der musik- und kunstsinnige Herrscher in französischer Sprache verfasst hatte. Komponiert wurden die bereits bekannte Oper „Montezuma“ und „Silla“ vom preußischen Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun.

Die Partitur ist ein großer Wurf, der zweite Akt mit seiner stringenten Steigerung ohne weiteres einer der aufregendsten Opernakte des mittleren 18. Jahrhunderts. Nicht nur wegen der vier bei den Innsbrucker Festwochen aufgebotenen Counterstimmen aus der aktuellen Bestenliste wurde die Aufführung zum Fest, sondern auch durch den seinen Abschied vom Intendanz-Posten der Innsbrucker Festwochen zum Glück des Publikums noch einmal bis 2023 verschiebenden Alessandro De Marchi. Die Personenregie von Georg Quander, der in den 1990-Jahren als Lindenoper-Intendant die Kooperationsachse Berlin-Innsbruck eingeleitet hatte, störte nicht. Das Ensemble warf sich in schöne, dekorative und wirksame Posen. Zum Beispiel Roberta Invernizzi in Arien, mit denen die Patrizierin Fulvia ihrer Tochter Olimpia die Liaison mit dem Diktator andient, obwohl dieser ein Feind ihrer Familie ist. Graun komponierte dazu delikaten Edelstoff in perfekter Konzilianz von Galanterie und Opportunität. Eleonora Bellocci (übrigens mit viel mehr Ausdrucksfarben als vor zwei Jahren in Paërs „Leonora“) nähert sich der Ottavia frei, intensiv und schön.

Julia Dietrich hätte vor den absolutistischen Bau-IIlusionen getrost etwas mehr Schattierungen des im ersten vorchristlichen Jahrhundert gefährlichen Rom zeigen können. Die Musik tut es ja auch. Graun geht in seinen besten Momenten weiter als Mozarts maßvollerer „Titus“, der mehrere ähnliche Handlungssituationen beinhaltet wie „Silla“. Diese Oper ist auch ein Drama über die Anstrengungen, ein guter Politiker zu sein. Moralinhaltig ja, aber nicht säuselnd oder sentimental. Grauns Musik stößt mit bekannten Formen in 1750 neuartige Ausdrucksdimensionen vor. Es gibt mehr Ensembles als bei Händel, noch nicht so viele wie bei Gluck. Aber zwischen Silla und Ottavia eines der ersten Duette der Operngeschichte, welches nicht Eintracht, sondern schroffe Befindlichkeiten und Kontraste aufreißt. Und zu seinen vielen Arien hat Silla drei Accompagnato-Rezitative, von denen das letzte einem hinreißenden Dialog der Flöten mit Bejun Mehtas Stimme enthält. Es ist bewundernswert, wir Mehta die vielen Ambivalenzen der Figur in Töne und Ausdruck verwandelt.

Samuel Mariño ist als Postumio der Märchenprinz des Abends. Es zeigt den qualitativen Quantenspruch im Fach der Counter generell, wenn Hagen Matzeit von vier Positionen die am wenigsten auffällige Partie des Ratsherren Lentulo erhielt. Auch er souverän, dazu minimal trocken. An diesem Abend erstaunt die Vielfalt der stimmlichen Timbrierungen. Bei den Männern gibt es weitaus mehr Kontraste als zwischen den sich auf höchstem Niveau ähnelnden Stimmen von Eleonora Bellocci und Roberta Invernizzi.

In vielen anderen Opern wären die Aktionen von Sillas engsten Ratgebern Metello und Crisogono edlen, eitlen oder eifersüchtigen Beweggründen gefolgt. Hier stürmen sie mit humanen bzw. machiavellistischen Argumenten auf den Diktator zu. Valer Sabadus bezwingt mit Arien und Ausstrahlung. Graun gibt ihm relativ kurze und trotzdem seraphische Kantilenen, allerdings auch ausgedehnte Rezitativpassagen. In diesen klingt Sabadus etwas neutral für die ihm übertragene Stimme der Loyalität und Vernunft. Er bewährt sich gegen die schurkische Opposition eindrucksvoll, was schwer ist. Der Freigelassene Crisogono gerät ambivalent bis in die Finger- und Notenspitzen. Mert Süngü lauert mit phänomenaler Präsenz. In einer irrwitzigen Bravourarie setzt er Koloraturen, die in der unteren Mittellage sogar noch faszinierender leuchten als in der Höhe. Die Musik kommt bei allen direkt aus dem Empfinden der Figuren, allenfalls Silla hat ein feingliedriges Kettenhemd politisch-höfischer Rhetorik über seinen Gefühlen. Mit dabei der etwa zwanzigköpfige Coro Maghini, für seine wenigen Auftritte in glänzende Form gebracht von Claudio Chiavazza. Der lange Jubel galt vor allem den Sängern, der musikalischen Leistung des Innsbrucker Festwochenorchesters unter Alessandro De Marchi und dem freudigen Erstaunen über eine spätbarocke Oper, die aus dem Gros des Schaffens um 1750 faszinierend heraussticht.

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