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Herzog Blaubarts Burg an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Herzog Blaubarts Burg an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Blaubart im Bett von Buoso Donati – Calixto Bieto verzahnt „Gianni Schicchi“ und „Herzog Blaubarts Burg“ an der Komischen Oper Berlin

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Wenn das aus Giacomo Puccinis „Trittico“ herausgelöste Schlussstück „Gianni Schicchi“ mit anderen Werken des Musiktheaters gekoppelt wird, so steht der skurril-heitere „Rausschmeißer“ in der Regel ebenfalls am Ende. Anders jedoch an der Komischen Oper Berlin, wo der in Florenz angesiedelten Komödie nahtlos der Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bártók folgt. Die im selben Jahr 1918 uraufgeführten Opern erfahren sogar eine räumliche Verzahnung.

Gianni Schicchi

Markenzeichen des Skandalregisseurs Calixto Bieito, Sex und Blut, bestimmen auch die Sicht auf diesen Doppelabend. Die Handlung von „Gianni Schicchi“ beginnt stumm, mit Herzfrequenzen des sterbenden Buoso Donati auf einem Monitor. Die im Jahre 1299 spielende, böse Geschichte einer Testamentsfälschung, wurde trotz der im Text besungenen, exakten Datierung des Testaments in Aufführungen des späten 20. Und 21. Jahrhunderts bereits wiederholt in die Gegenwart verlegt. Auch Calixto Bieito erzählt eine heutige Gaunerkomödie, gewandet in Ingo Krüglers grell farbige Kostüme. Die Verwandten des reichen Buoso, der all seine Habe der Kirche vermacht hat, bedienen sich des schlauen Bauern Gianni Schicchi, der den Erbschleichern scheinbar hilft, aber sie dann hereinlegt, da er in der Maske Buosos die Pfründe sich selbst vermacht.

Buosos Großcousin Rinuccio (Tansel Azeybek mit prägnantem Tenor) streichelt den nackten Popo des sportwütigen Buoso-Neffen Gherardo (Christoph Späth), dessen Frau Nella (Mirka Wagner) eine Sex-Schlampe ist, die sich in aller Öffentlichkeit am Pfosten des Totenbettes befriedigt; deren gemeinsames Kind Gherardino (Kosmas Faik erwischt nicht die Töne für seinen einzigen Einsatz) wird vom Vater übers Knie gelegt und verprügelt. Gianni Schicchi quetscht seinem künftigen Schwiegersohn so lange und heftig die Hoden, bis dieser in der höheren Oktave quietscht. Buosos Schwager Betto di Signa (Stefan Sevenich) ist ein kindlich zurückgebliebenes, schwer verhaltensgestörtes Riesenbaby, das lauthals allerlei verbale und nonverbale Kommentare beisteuert.

Vergeblich bemühen sich Buosos Cousine Zita (Christiane Oertel), der alte Cousin Simone (Jens Larsen), dessen Sohn Marco (Nikola Ivanov) und dessen Frau Ciesca (Annelie Sophie Müller), die Verbindung zwischen Rinuccio und Schicchis Tochter Lauretta (Kim-Lillian Strebel bezopft, aber mit herunter gelassenem Slip, angenehm singend) an deren Beinen auseinanderzureißen. Die ungewöhnlichste Rollendeutung schafft Philipp Meierhöfer in der kleinen Partie des Notars. Buoso Donati ist in dieser Inszenierung keine Puppe, sondern ein stummer Darsteller (Bernd Guthmann), der als eifrig agierender Untoter aus seinem Schrank-Versteck nicht nur einmal wiederkehrt. Günter Pappendell in der Titelpartie verstellt seine Stimme bei der Testamentsfälschung nicht, und das „Addio Firenze“ singt er ganz ohne Ironie, zu ehrlich und zu schön.

Die Aufführung wird in italienischer Originalsprache gesungen, da das Alleinstellungsmerkmal dieses Opernhauses, alle Opern in deutscher Sprache aufzuführen, seit der Intendanz von Barrie Kosky aufgehoben ist. Gerade bei einer Komödie aber wäre das Verständnis des Wortwitzes angebracht, und es gibt durchaus treffliche, heutige deutsche Übersetzungen von Puccinis Oper. So aber gehen die häufigen Reibungen zwischen Aussage und Aktion, die in der Regel Lacher auslösen, unter. Dirigent Henrik Nánási setzt mit Einschnitten und Dehnungen ungewöhnliche Akzente, und Zwischenapplaus erhält die berühmteste Ariette dieser Oper, „ O mio babbino caro“.

Herzog Blaubarts Burg

Nach kurzer Dunkelphase betritt Blaubart im dunkelblauen Pyjama die Räumlichkeiten der Familie Donati und liest in Buoso Donatis Bett von einem Briefbogen den Prolog des Librettisten Béla Balázs zu Bártóks einziger Oper. Die karge Handlung der Oper, in deren Verlauf er von Judith motiviert wird, sieben verschlossene Türen seiner Burg zu öffnen, ist bereits häufig psychologisch gedeutet worden. Ende der Siebzigerjahre wurde das Öffnen der Kammern am Staatstheater Braunschweig mit dem jeweiligen Verlust eines Kleidungsstücks des Herzogs dargestellt, bis dieser in der Schlussszene völlig nackt sang und agierte.

Der frühe literarische Einsatz des Librettisten Béla Balázs als Film-Theoretiker hat Bieito und sein Team inspiriert, das Psychogramm als ein „Stück über den Körper“ (Bühnenbildnerin Rebecca Ringst), wie eine filmische Handlung á la David Lynch darzustellen.

Jenseits der Vorlage von Charles Perraults Märchen wird die Szenenfolge in der Traumfabrik eines Film-Studios, angesiedelt. Inmitten der sichtbar von Technikern bewegten Hauswände und Zimmer, auf rotierender Drehscheibe, erlebt der Zuschauer eine hautnahe, aggressiv sexuelle und blutige Zweierbeziehung. Blaubart und Judith bewegen sich zumeist in Spots. Dem Fluss der Musik folgend, hellt sich die Szene bis zur Öffnung der fünften Tür immer mehr auf (Licht: Franck Evin), um dann im zusehends wieder mehr und mehr verdunkelten Bühnenraum zu enden.

In Seilen hängt Judith vor Blaubarts Hausfront und onaniert unter ihrem schwarzen Rock, er reißt ihr die Bluse auf, die sie ihm später als Fessel um die Hand wickeln und ihn so zwingen wird, sie manuell zu befriedigen.  

Die zerreißende florentinische Wohnstube wird abgelöst von einem Innenraum mit Sofaecke; zahlreiche Schnapsflaschen auf und unter dem Tisch schlagen den Bogen zu Edward Albees Geschlechterkampf in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Wenn Judith ein Papier verbrennt, wird das Musiktheater zu einem apokalyptischen Geruchstheater gesteigert – möglicherweise gemeint als Entsprechung zu dem etwas penetranten Spiel mit einem dreckigen, stinkenden Nachttopf von Buoso Donati in der vorangegangen Komödie.

Musikalischer Höhepunkt der in ungarischer Sprache gesungenen Oper Bártóks ist die Schmuckkammer des Blaubart – ein großer, schwarzer Toilettenraum mit einer Reihe von Pissoires, in welchem wirft Judith den Blaubart mehrfach gegen die Wandsiegel wirft. Das Blut von Blaubarts Platzwunde auf der Stirn dient zusehends, um die Körper der beiden Protagonisten blutig zu färben.

Um Blaubart zu würgen, steckt Judith ihm ihre Hand in den Mund. Im Nebeldampf des Gegenlichts travestiert Blaubart zur Frau: er bindet sich seine Pyjamajacke als Rock um, löst das Band von seinen langen schwarzen Haaren zieht Judiths Bluse an und schlüpft in ihre hohen roten Stöckelschuhe. Aber diese Offenbarung Blaubarts als Kammer Numero sechs ist nur Teil seines Outings. Die siebte Tür wird an der Rampe gespielt: die anderen Frauen Blaubarts, die sind das Publikum. Dazu penetriert er Judith zwischen ihren zum Publikum weit geöffneten Schenkeln manuell. Schließlich würgt der impotente Mann die als „seine Nacht“ apostrophierte Judith mit seinem Geschlecht zu Tode.

Durch das Dunkel der Stille des von Musik und Szene gleichermaßen mitgenommenen und ergriffenen Publikums schrillt ein weiblicher Bravoruf, dem sich ein allgemeiner, emphatischer Applaus anschließt. Tatsächlich hat man an der Komischen Oper Berlin selten eine so exzessive Darstellung erlebt, und sicherlich noch nie so realistisch leidenschaftliche, beißende Küsse der dabei stöhnenden, nach Luft ringenden Protagonisten, im gleißenden Scheinwerferlicht und direkt an der Rampe. Da diese darstellerische Leistung der Mezzosopranistin Ausrine Stundyte und des Baritons Gidon Saks faszinierend einher geht mit makellosem, großartigem Gesang, springt die Emotion vom Bühnenrand als Begeisterung auf das Publikum über. Auch Henrik Nánási ist mit seiner Deutung der ungarischen Partitur schier über sich selbst hinausgewachsen.

  • Weitere Aufführungen: 7., 15., 19. März, 5., 12., 17. April, 8. Juli 2015.

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