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Walküre in Beyreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
Walküre in Beyreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Collagiert mit einer Filmhandlung zur frühen Erdölgewinnung – „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

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Unbeabsichtigt begann der erste Tag des Bühnenfestspiels für drei Tage und einen Vorabend mit einem Wettbewerb zwischen Natur und Kunst: lang anhaltende, stürmische Regengüsse mit Hagel machten es einigen Besuchern unmöglich, rechtzeitig um 16 Uhr im Festspielhaus zu sein, und kaum ein Besucher kam dort trockenen Fußes an. Und dann das Gewitter, Donner und Blitz der von Wagner gezeichneten, auf einander prallenden Elemente und gesellschaftlichen Umbrüche.

Dirigent Kirill Petrenko konnte den Ausgang dieses Wettbewerbs beim Vorspiel, aus dem verdeckten Graben und bei noch geschlossenem, in hellem Grau erleuchteten Hauptvorhang, klar für sich verbuchen. Und auch später trug der russische Dirigent mit dem großartigen Festspielorchester einen klaren Sieg davon.

Seitens des Regisseurs Frank Castorf herrscht – im Vergleich zur überbordenden Bilderfülle am Vorabend des „Ring“ – in der in bewusster Inkontinuität erzählten Handlung der „Walküre“ weiterhin eine Art von Verweigerungshaltung. 

Wie im „Rheingold, gibt der von Aleksandar Denić geschaffene Einheitsraum auf der Drehbühne eine Identität, aber nicht Hermetik des Ortes vor: der kathedralenartige Bohrturm zur Erdölförderung in Baku in Asserbaidschan, mit diversen Treppenbauten und einer großen Halle mit Bohrhammer auf Schienen, ist sowohl Hundings Hütte (aber ohne Esche, von der im Hintergrund nur ein Stumpf übrig geblieben ist), wilde Felsenlandschaft, wie auch Walkürenfelsen.

An diesem mit all zu viel Gerümpel angefüllten Gesamtschauplatz passieren zahlreiche unnötige Aktionen, etwa das Zerhacken eines Eisblocks. Absenkbare Laken dienen der Schwarzweiß-Projektion, in einer Mischung von Live-Kameraaspekten mit historischen Spielfilmsequenzen zum Thema frühe Erdölförderung, in diesem Jahr gegenüber dem Vorsommer noch erheblich erweitert.

Erst einige Monate nach der „Walküre“-Premiere des Vorjahres wurde mir klar, dass Optik und Dramaturgie dieser Inszenierung das Remake einer anderen Inszenierung von Frank Castorf darstellen, nämlich der Bühnenversion von Anton Tschechows Novelle „Das Duell“, die der Regisseur wenige Monate vor seinem Bayreuther „Ring“-Zyklus an der von ihm geleiteten Volksbühne Berlin herausgebracht hat – zwar etwas kleiner in den Dimensionen, aber bis in Details hinein deckungsgleich.

Im Musiktheater wird zu wehenden Zeitungen auch noch der sattsam verbrauchte Bühnennebel hinzugefügt. Ebenfalls in Bayreuth hinzu kommen vor Beginn die projizierten ikonografischen Hinweise darauf, dass der Einsatz von Kameras und Handys seitens des Publikums untersagt sei; da diese bei der Premiere „Der fliegende Holländer“ weggefallen waren, dürfte Castorf die gewollte Konfrontation mit einer Welt der Verbote im Vorfeld der Handlung als durchaus naheliegend befürworten.

Neben der Tatsache des Remakes ist an Castorfs Regiearbeit bei der „Walküre“ eine Verweigerungshaltung zu konstatieren, die vermutlich mit der Besetzung des Siegmund zusammenhängt. Denn Johan Botha ist aufgrund seiner Körperfülle so unbeweglich, dass vordem Harry Kupfer in seiner Berliner „Lohengrin“-Inszenierung zu der fragwürdigen Lösung gegriffen hat, die Titelfigur unsichtbar zu machen.

Sieglinde, die gerade ihre Truthähne füttert, stubst den fremden Eindringling mit einer Schaufel an. Wie sie deren Schaft hält, nämlich wie einen Speer, das offenbart geradezu die göttlich-germanische Abstammung der jungen, heldenhaften Frau, die dem noch unerkannten, schwergewichtigen Zwillingsbruder einen Sessel aus Strohballen baut. Das verkörpert Anja Kampe mit jugendlich-dramatischer, warmer Sopranstimme und Intensität glaubhaft und genussvoll. Mit einher geht im ersten Aufzug eine bewusste Verlangsamung von Handlungsabläufen, die auch den neuen Hunding von Kwangchul Youn betreffen.

Mehr Raum als im Vorjahr erhält der russische historische Film, dessen letzte Sequenzen – mit sehr vielen russischen Zwischentiteln – konterkarierend zu Wotans Abschied von Brünnhilde laufen. Dafür ist die nur kameraübertragene Bettszene zwischen Sieglinde und dem von ihr eingeschläferten Hunding dezenter gelöst als im Vorjahr. Aber wieder bleibt einer der Höhepunkte der musikdramatischen Handlung, wenn es Siegmund gelingt, das für jedermann fest haftende Schwert aus der Esche zu ziehen, unsichtbar.

Catherine Foster als Brünnhilde begann beängstigend mit einem viel zu breit genommenen „Hojotoho“, aber ihren Schmiss vermochte Petrenko rasch aufzufangen. Und, abgesehen von amerikanischen Lautverschiebungen, bereitete es Genuss, Foster zuzuhören, die mit verblüffend leichter Stimmgebung die junge Walküre sehr mädchenhaft malt, aber die Tragfähigkeit ihres Organs auch mit dramatischeren Ausbrüchen unter Beweis zu stellen vermag.

Von einem Leibeigenen unter Schmerzen auf den Armen getragen, stellt Claudia Mahnke als Fricka ihre Forderungen an Wotan. Der lässt sie reden und betrachtet dabei den historischen Spielfilm. Aber als seine namenlose Geliebte, mit der er im Film des ersten Aufzugs telefoniert, die er mit Eistorte gefüttert und mit einem Kleid beschenkt hatte, nun live vorbeikommt, schickt er sie zugunsten seiner Gattin weg.

Auch die Truthähne, die Sieglinde im dritten Akt in deren Käfig tot wiederfindet, verbinden die Handlung des historischen Films mit der Visualisierung von Wagners Handlung auf der Bühne.

In Sieglindes Traumerzählung erhält der russische Schwarzweißfilm auch eine musikalische Konnotation: die bei Wotans Monolog von Brünnhilde gefüllten, in einen Schubkarren verladenen Gläser enthalten Nitroglyzerin, wie an den Nahaufnahmen dieser Glasformen im historischen Film deutlich wird; die Explosion eines ganzen Bergmassivs geht dann exakt zusammen mit den als Detonation gedeuteten Höhepunkten des Gewitters im Orchester.

Redundant ist die Verdoppelung von Originalaspekt und Projektion der Kameraaufnahmen bei der Revolutionsparty im dritten Akt, die Großaufnahmen auf die in Gewänder zeitgenössischer russischer Opern und Revuen gekleideten Walküren (Kostüme: Adriana Braga Peretzki); den toten Helden des Originals entsprechend die Leichen der bei der Revolutionsfeier erschossenen männlichen Fahnenträger.

Facettenreich, bisweilen faszinierend aggressiv, gestaltet Wolfgang Koch den Wotan. Er beherrscht die Partie, von wenigen Textverdrehungen abgesehen, nunmehr exakt. Den großen Monolog im zweiten Aufzug gestaltet er sehr ausdrucksstark und facettenreich. Danach rasiert er sich seinen Rauschebart – allerdings nicht in der Kamera sichtbar und daher für die Zuschauer weiterhin verwirrend – und kommt, der Revolutionsbewegung folgend, angemessen an die neue, nachzaristische Zeit glattrasiert zum Zweikampf von Hunding und Siegmund.

Nach Brünnhildes Befehlsverweigerung wütet er mit einem Fell des russischen Bären, und zu seiner Strafpredigt gegenüber der sich individualisierenden Lieblingstochter stärkt er sich mit Wodka und Kaviar. 

Zum unnötigen Gerümpel gehört ein für die gespielte Zeit anachronistisches Fahrrad, Reminiszenz an die unsägliche Vorgänger-Inszenierung von Tankred Dorst. Als Siegmund es kurz in die Hand nimmt, stöhnt hinter mir eine Dame besorgt: „Nur nicht darauf setzen!“

Da Botha nicht in der Lage ist, sich fallen zu lassen, bleibt der Tod Siegmunds nach dem Zertrümmern des Schwertes durch Wotan, in der Kamera-Übertragung unklar. Gleichwohl liefert Johan Botha geradezu ein Muster an vorbildlich schönem Wagner-Gesang, lyrisch und kraftvoll ohne Forcieren. Botha wird in diesem Sommer auch einen offiziellen Gesangsmeisterkurs in Bayreuth geben – ein partielles Wiederaufleben der Idee der Bayreuth Festival Master Classes von Friedelind Wagner der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts.

Im Hintergrund der großen aserbaidschanischen Werkhalle wird Brünnhilde von Wotan zum Zwangsschlaf gebettet; mit offenen Augen – wenn auch nur in der Kameraübertragung sichtbar – verfolgt sie die finalen Takte und das auf ihren Wunsch hin von Wotan entzündete Feuer eines brennenden, mit seiner Wärme auch den Zuschauerraum ergreifenden Ölfasses.

Emphatischer, uneingeschränkter Publikumsjubel für die Solisten: das wenig homogene Walkürenensemble verneigte sich nur zu siebt, da die auch die Waltraute singende Claudia Mahnke sich den Schlussapplaus als Fricka – zusammen mit dem ebenfalls nach dem zweiten Aufzug nicht mehr auftretenden, großartigen Hunding von KwangchulYoun – nicht nehmen lassen wollte. Mit voller Berechtigung den größten Jubel erntete Dirigent Kirill Petrenko für seine direkte, klar strukturierte, ökonomisch die emotionalen Höhepunkte setzende Lesart der Partitur Richard Wagners.

Die nächsten Aufführungen: 5., 11. und 23. August 2014.

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