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Barbers „Vanessa“ am Theater Hagen. Foto: Klaus Lefebvre
Barbers „Vanessa“ am Theater Hagen. Foto: Klaus Lefebvre
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Das lange Warten auf Anatol – Am Theater Hagen geht die Reihe mit amerikanischen Opern erfolgreich weiter

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Das Theater Hagen überrascht doch immer wieder. Und zeigt sich konsequent in seinem Engagement für die amerikanische Oper! Vieles gab es da in den letzten zehn, zwölf Jahren zu sehen und zu hören: neben Klassikern wie Kurt Weills „Street Scene“ und Leonard Bernsteins „West Side Story“ unter anderem Raritäten wie William Bolcoms „A View from the Bridge“, André Previns „Endstation Sehnsucht“ und zuletzt (vor drei Jahren) Carlisle Floyds „Susannah“. Jetzt steht Samuel Barbers „Vanessa“ auf dem Spielplan – und damit kann das Haus wieder einmal punkten!

Es ist kalt draußen, unablässig fällt Schnee – Sinnbild für jene Kälte, die schon lange in der einstmals wohl mondänen Villa der Baronin vorherrscht. Hier scheint inzwischen jedes Leben wie eingefroren, seit Anatol fort ist. „Anatol!“ – sehnend und rufend steht Vanessa, Tochter der verhärmten Baronin, am Fenster und hofft. Hofft auf die Rückkehr ihres Geliebten, der sie vor zwanzig Jahren einfach verlassen hat. Eine lange Zeit – Zeit, die Vanessa seitdem anhalten will. Kein Spiegel im Haus, der nicht verhangen wurde aus Angst vor dem eigenen Altern. Keine Erinnerung an den schönen Mann mit der schönen jungen Braut, wie sie sich auf den alten Schmalspurfilmen wiederfinden würden. Nicht älter oder alt werden – nur warten auf ihn, auf Anatols Rückkehr!

Und dann steht Anatol vor der Tür. Anatol der Jüngere, muss man sagen. Er ist der Sohn des Verflossenen. Und an diesem Punkt fängt Samuel Barbers Oper eigentlich an. Erst ist Vanessa entsetzt, weil sie mit dem „falschen“ Anatol nichts anzufangen weiß. Der hat dafür gleich bei seiner Ankunft ein Auge auf Vanessas Nichte Erika geworfen – und nicht nur das! Er verführt sie noch in der ersten Nacht und schwängert sie. Doch im Laufe von vier Wochen hat sich die Chemie zwischen Vanessa und Anatol bedeutend verbessert. Im ganzen Dorf gibt man die Verlobung bekannt. Erika ist zerstört: Sie liebt Anatol, zugleich hasst sie ihn. Und lässt Vanessa („die so lange warten musste“) quasi den Vortritt, irrt hinaus in die eisige Kälte, auch um eine Fehlgeburt zu provozieren, wird aber noch rechtzeitig vor dem Erfrieren gefunden. Abermals vier Wochen später: Vanessa und Anatol sind inzwischen verheiratet und packen ihre Koffer. Ihr Ziel ist Paris. Zurück bleibt Erika, die nun in Vanessas Rolle schlüpft und ... wartet. Die alte Baronin sitzt derweil in ihrem Sessel und ... schweigt weiter.

Sehnsüchte, unerfüllte Träume, Visionen – um die geht es in Samuel Barbers feinem Kammerspiel. Musikalisch macht er Anleihen unter anderem bei Richard Wagner, Richard Strauss, Leos Janácek und Giacomo Puccini – ohne diese und etliche andere Meister mehr ist Vanessa nicht denkbar. Gewiss auch ein Grund, dass Barbers Erstlingswerk vor gut fünfzig Jahren in Europa schlecht ankam: da wehte der Wind aus ganz anderer Richtung. Inzwischen hat sich vieles geändert, stilistische Vielfalt ist längst Normalität. Gleichwohl gilt diese Bedingung: auch eklektische Werke müssen gut und absolut professionell gemacht werden um zu überzeugen. Das ist dem mutigen Theater Hagen absolut gelungen. Regisseur Roman Hovenbitzer überzeugt durch eine geradlinige, schnörkellose Personenführung, die von Jan Bammes’ Bühne unterstrichen wird. Da reichen eine leicht schräge Ebene und eine Handvoll Möbel aus, um die Atmosphäre endloser Tristesse entstehen zu lassen. Ein riesiges Flügelfenster steht für die Sehnsucht nach draußen, nach Weite.

Katrina Sheppeard, zum ersten Mal zu Gast auf einer deutschen Bühne, gibt die Vanessa mit den exaltierten, gleichförmigen Gesten des Hollywoodstars von vorgestern. Sie vermag Hoffnung, Verzweiflung und auch Selbsttäuschung stimmlich auszudrücken, wenngleich mit ausladendem Vibrato. Kristine Larissa Funkhauser, seit Jahren eine absolute „Bank“ im Hagener Ensemble, überzeugt als Erika durch eine nuancierte Auslotung dieser Frau, die sich nicht aus dem Schatten ihrer Tante lösen kann und doch so viele eigene Sehnsüchte hat.

Der Anatol ist Richard Furman, auch er gibt in Hagen sein Deutschland-Debut – ein Einstand nach Maß! Sein frischer, durchsetzungsfähiger Tenor ist wie geschaffen für diesen lebenshungrigen, bisweilen völlig rücksichtslosen Mann mit seinem entwaffnendem Charme, der sich nimmt, was immer er will. Gudrun Pelker vom Musiktheater im Revier Gelsenkirchen springt als Baronin ein für die erkrankte Marilyn Bennett (auch sie ein „Urgestein“ des Hagener Ensembles) und gibt ihrer weitgehend stummen Rolle enorme Bühnenpräsenz. Ilkka Vihavainen ist der Doktor – einer mit schöner, gleichmäßiger Stimme. Warum er hier aber der fiese Grapscher ist, erschließt sich nicht wirklich.

Am Pult des Philharmonischen Orchesters Hagen steht dessen Generalmusikdirektor Florian Ludwig, der Bühne und Orchestergraben zu einem runden Ganzen formt. Ausgezeichnet die vielen Soli, von der Tuba über das Kontrafagott, mittleres und hohes Holz bis hin zu geteilten Celli und sauber intonierenden hohen Streichern. Beides funktioniert grandios: das Kammermsikalische ebenso wie das romantisch Schäumende.

Vanessa ist ein Doppelerfolg: Zum einem beweist das Theater Hagen wieder einmal seine enorme künstlerische Kompetenz – zum anderen empfiehlt sich Samuel Barbers Werk auch für andere Häuser!

  • Weitere Termine: 14., 20., 31. März, 4., 12., 22. April, 13., 17., 23., 28. Mai 2015

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