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Franz von Stuck: Judith und Holofernes. 1927, Öl auf Leinwand, 82 × 74 cm. München, Sammlung Otto Heilmann
Franz von Stuck: Judith und Holofernes. 1927, Öl auf Leinwand, 82 × 74 cm. München, Sammlung Otto Heilmann
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Der andere abgeschlagene Kopf in der Oper – Rezniceks „Holofernes“ in Bonn

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Nach Richard Strauss' „Salome“ wartete mit Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Holofernes“ eine weitere Dramenvertonung mit der Attraktion eines abgeschlagenen Kopfes auf. Wie Strauss das Drama von Oscar Wilde als Operneinakter, so hat sich Reznicek für seinen Zweiakter Hebbels erstes Drama verkürzt und musikalisch komprimiert.

Die 1923 an der Städtischen Oper Berlin uraufgeführte Oper „Judith und Holofernes“ wurde aufgrund des dominanten Bassbaritons Michael Bohnen umbenannt in „Holofernes“ und so vom Komponisten zugleich abgegrenzt gegenüber anderen „Judith“-Opern. Gleichwohl beginnt und endet seine Opernhandlung mit Judith, die gegenüber Hebbel sogar noch mehr Gewicht erhält.

Die mit allerlei irritierenden, teils gezeichneten, teils aus dem Stummfilm „Judith of Bethulia“ (New York 1913) adaptierten Video-Projektionen aufwartende Inszenierung stellt denn bereits auf dem Hauptvorhang die Frage „Judith und Holofernes? / Holofernes und Judith?“ und weist mit einem Herzchen darauf hin, dass sich Judith heftig in ihren Gegenspieler verlieben wird. Um so drastischer fällt der Mord an dem vom Beischlaf erschöpften aus, das Kampfschwert, mit dem sie zur Übung eine Melone spritzend zerteilt, trennt den Kopf des Potentaten vom Rumpf, wobei fontänenartig so viel Blut spritzt, wie es sonst selten auf der Opernbühne zu erleben ist. Dass sich Judith am Ende selbst in ihre Waffe stürzt um nicht womöglich dem Holofernes einen Sohn zu gebären, wird als ein Mord am Erben bereits im ersten Akt per Video vorweggenommen, wo einem Baby mühevoll der Kopf angesäbelt wird.

Wie im Falle der unverwüstlichen Ouvertüre zu „Donna Diana“, hat der Komponist die Ouvertüre erst einige Jahre nach der Uraufführung nachkomponiert. Dabei nimmt sie thematisch Bezug auf den zweiten Akt und das von Reznicek in einer weiteren Komposition in Variationen ausgeführte „Kol Nidrey“.

Der jedwedem Fortschrittsglauben abholde Reznicek wollte auch in dieser nicht unbedingt abendfüllend geratenen und mit einem der Einakter des Komponisten kombinierbaren Oper kein Neuerer sein. Doch beweist die Partitur auf jeder Seite Rezniceks kompositorische Fähigkeiten, von denen Strauss gesagt haben soll, „der Reznicek kann mehr als wir alle“. Gerade gegenüber dem noch erfolgreicheren Zeitgenossen übt sich Reznicek jedoch in Beschränkung, setzt die Instrumente des vollen Orchesters höchst selten geballt ein. Musikalisch spannend, wie unterschiedlich er die beiden Völker zeichnet, die Assyrer schneidend scharf akzentuiert, die Hebräer melismenreich orientalistisch.

Das Inszenierungsteam hat sich viel einfallen lassen. Gezeichnete Videos, ein Markenzeichen des Regisseurs Regisseur Jürgen R. Weber, sorgen für Ironisierung und Verunsicherung. Brechungen erfolgen durch heutige, auch gerne flapsige Zeichensprache der Protagonisten und des Chores. Grobschlächtig und irritierend der Bühnenraum von Hank Irwin Kittel: ein Tor aus blutigen Knochen der Erschlagenen führt aus dem Lager der Hebräer in den Zuschauerraum. Die lastende, schwebende Zukunft der Hebräer signalisieren gigantische, luft- und LED-gefüllte Wurstschläuche.

Auf der Kehrseite dieser Versuchsanordnung, dem Lager des Holofernes, sind auf hohen Stangen Leichen aufgepflanzt. Ein Turm lässt sich auf zwei Seiten durch Zugbrücken öffnen, und deren eine überbrückt dann den Orchestergraben. Kristopher Kempfs Kostüme, mit viel archaisierendem Aufputz, geben Rätsel auf: die Hebräer, in absurde Riten verstrickt und partiell mit überlangen Fingern (israelische Langfinger?), mechanische Spinnenmenschen und ein kinetisch geführter Zentaur im Lager des sich göttlich wähnenden Herrschers, der eine Darstellung des Gottes Baal zerstören lässt und ein Gleiches mit Jahwe plant – nur dass es von dem kein Bild gibt, was der sich vorsorglich verbeten hatte.

Jacques Lacombe, ab der kommenden Spielzeit neuer GMD an der Oper Bonn, akzentuiert mit dem prachtvoll disponierten Beethoven Orchester klar und prägnant die bisweilen spröde, am Ende aber doch hymnisch strahlende, mit Ganztonskalen durchsetzte Partitur. Trotz Anklängen an Wagner in der Ouvertüre und im zweiten Akt an die Chrysothemis von Strauss (der seine Einfälle ebenfalls gern aus zweiter Hand bezog!), erweist sich Rezniceks Partitur als durchaus eigenständig.

Den von der launischen männlichen Diva Bohnen kreierten Holfernes gestaltet Mark Morouse eindrucksstark, mit souveräner Stimmführung in exponierten Lagen. Ein Glücksfall ist die australische Sopranistin Johanni van Oostrum als Judith: schlank, mit müheloser Höhe, textverständlich bei hochdramatischer Expression, überzeugt sie gleichermaßen stimmlich und darstellerisch – sogar beim Table Dance an der Stange und in der Beherrschung diverser Kampfsportarten, die sie gewinnbringend einsetzt.

Als Dienerin Abra steht ihr in Ceri Williams eine Altistin mit klangvoller Stimmentfaltung und groteskem Spiel zur Seite. Die Partie der die Wollust besingenden „weibliche[n] Stimme“ ist besetzt mit Nina Unden und hier personifiziert als lesbische Gespielin der exquisiten Tänzerin Karioca.

Johannes Mertes, Jonghoon You, Nichaolas Probst und Sven Bakin als Hauptleute, Martin Tzonev als Gesandter, Eduard Katz, Josef Michael Linnek als hebräische Bürger und Egbert Herold als Trabant bilden ein homogen rollendeckendes Ensemble, aus dem der Bassist Daniel Pannermayr in der Partie des Oberpriesters Osias herausragt.

Das Premierenpublikum dankte dem von Marco Medved einstudierten Chor, dem neuen musikalischen Chef Lacombe und den Solisten mit begeistertem Applaus, der fürs Regieteam mit massiven Buhrufen untersetzt war.

Rezniceks siebte Oper „Holofernes“, seit 89 Jahren nicht mehr zu hören, steht in Bonn insgesamt nur fünfmal auf dem Spielplan, wird aber von drei Rundfunkanstalten übertragen und soll dann in der Reznicek-Reihe bei cpo auf CD erscheinen.

Da sich eine Opernpartitur jedoch live auf der Bühne zu bewähren hat, sei der Besuch in Bonn dringend empfohlen – wer weiß, wann sich die nächste Möglichkeit ergibt, diese Oper in einem Opernhaus zu erleben.

  • Weitere Aufführungen: 2., 18., 24. Juni, 3. Juli 2016.
  • In Deutschlandradio Kultur: 25. Juni 2016, 19:05 Uhr / WDR: 19. Juni 2016, WDR 3 Oper, 20:05 Uhr / SWR: 10. Juli 2016, SWR 2 Oper, 20:03 Uhr

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