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Oper als Film. Ein Still aus der Video-Uraufführung von Gordon Kampes Kinderoper „Spring doch“
Oper als Film. Ein Still aus der Video-Uraufführung von Gordon Kampes Kinderoper „Spring doch“
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Der Horror des „ersten Mal“ – Video-Uraufführung von Gordon Kampes Kinderoper „Spring doch“

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„Die Hölle, das sind die anderen“ – haben wir nicht alle irgendwann in der Schulzeit Jean-Paul Sartres Satz zitiert und für die ganze Wahrheit gehalten? Speziell bezüglich Klassenkameraden und noch mehr „…dINNEN“, diesen Biestern! Genau das ist das Kernthema von Gordon Kampes Kinderoper, deren Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper in den Dezember verschoben werden musste – und jetzt eben unseren Kritiker Wolf-Dieter Peter an den PC holte.

Corona macht’s möglich – das gilt auch einmal so: Wenn schon keine reguläre Spielzeit, dann eben was Besonderes; wenn schon die Premiere im Mai ausfallen muss, dann bringt das junge Produktionsteam eben seine ganze Medienkompetenz ins Spiel – und produziert eine Kurzfassung als Video-on-demand.

Komponist Gordon Kampe hat mit Librettist Andri Beyeler eigentlich ein einstündiges Musiktheaterstück über die kleine Außenseiterin Lena verfasst. Sie gehört nicht zum „IN“-Kreis ihrer Klasse; sie wird bespöttelt und nie in eine Mannschaft  gewählt, sogar ein gehbehinderter Mitschüler wird ihr letztlich vorgezogen – eben „die Hölle“, siehe oben. Tränennah-trotzig verkündet sie, dass sie alle übertrumpfen und „vom Dreier springen“ werde: vom Drei-Meter-Brett im Schwimmbad. Schon der Weg dorthin wird zur beängstigenden Mutprobe: Badeanzug im Spinnen-Keller; böse Nachbarin mit Kampfhunden; kein Geld für den Bus und die Badeanstalt; heimliches Reinschleichen durch ein Zaunloch … und dann dieser gespenstisch hohe Sprungturm! Angstattacken, Warnung des herbeigeeilten Vaters, Protest der Bademeisterin, Häme der Klassenmeute – und dann Sprung – und Flug – und: wird nicht verraten!

All das soll David Bösch im Dezember im Rennert-Saal, einem häufigen Spielort des Campus-Programms der Bayerischen Staatsoper, inszenieren. Jetzt aber geht der Preis an Patrick Bannwart, der zusammen mit Falko Herold und einem ungenannten Video-Team der Staatsoper eine für Zuschauer ab 6 Jahren sofort zugängliche, munter abwechslungsreiche 35-Minuten-Fassung geschaffen hat: auch für Erwachsene mal menschlich treffend, mal amüsant überraschend – wenn ein noch „MVV“ beschrifteter Bus durch München-Strichzeichnungen fährt oder der Kühlschrank im Hintergrund „Bösch“ heißt … Bannwart-Herold haben hübsch gezeichnete Szenerien mit bewegten Film-Bild-Teilen visuell „animiert“, mit Zoom und Überblendungen eine sehr lebendig wirkende Handlung abgefilmt, durch die die junge, hübsche Anna-Lena Elbert – per Green-Screen hineinkopiert – sich hindurchkämpft, mal singend, mal sprechend. Kurzauftritte von Ann-Katrin Naidu als Nachbarin und Bademeisterin, von George Virban als behindertem Tom und von Martin Snell als besorgtem Vater beleben zusätzlich – und der Kinderchor der Schule für Chorkunst München hämt und kreischt „ganz echt“.

Gordon Kampes jetzt auf Klavier (Alessandro Stefanelli) und Schlagwerk (Thomas Würfflein) eingedampfte Musik charakterisiert die wechselnden Szenen gut, gibt Lena auch mal Melodie für ihr Leiden, lässt ihr ängstliches Gerüttel an einem sperrigen Riegel der Umkleidekabine effektvoll lärmen – eine sehr zugängliche Klangkulisse, die die halbe Stunde kurz erscheinen lässt. Eine höchst empfehlenswerte Alternative zu allem Kinder-Fernsehen.

Von jetzt an für 183 Tage über Staatsoper.TV kostenlos abrufbar.

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