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Foto: Komische Oper Berlin
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Die Avantgarde von 1929 als heutige Moderne: Karl Amadeus Hartmanns „Wachsfigurenkabinett“ in Berlin verhackstückt

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Erst im Jahre 1988 erlebte die Folge von Karl Amadeus Hartmanns fünf kurzen Opern, von denen der Komponist selbst nur zwei in Partitur vollendet hat, ihre späte Uraufführung im Rahmen von Hans Werner Henzes erster Biennale für Neues Musiktheater. Dafür hatten Henze, Bialas und Hiller die drei nur als Particell existierenden Stücke des „Wachsfigurenkabinetts“ instrumentiert.

Die Komische Oper Berlin wählte für ihr 12. externes „K.O.-Projekt“ diverse Schauplätze des Theaters der Universität der Künste und zelebrierte ein Mitwandertheater, mit deutlichem Bezug zur Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater des Jahres 2002. Damals hatten bewaffnete islamistische Rebellen 850 Theaterbesucher in ihre Gewalt gebracht hatten, um den Rückzug der russischen Truppen aus Tschetschenien zu erpressen.

Die in drei Gruppen aufgeteilten Zuschauer werden von drei chinesischen Reiseführerinnen, ausschließlich mit chinesischen Anweisungen, zunächst in die Gänge neben dem Auditorium geführt, während den Zuschauerraum absurd agierende Terroristen, darunter Killerkaninchen, Yetis und eine Schwangere, besetzt halten. Kenner mögen in ein der Handlung eines Schwarzweißfilms mit Farbakzenten und an Wortfetzen, wie „Den Kopf wollen wir, das Geld brauchen wir“, die Oper „Der Mann, der vom Tode auferstand“ wiedererkennen. Allerdings sind in der Geschichte vom reichen amerikanischen Unternehmer, der ein Rundfunkhörspiel für Realität hält und sich von Dieben bedroht sieht, die komischen Momente, wie „Retten wie [...] Rettich“ eliminiert. Im Treppenhaus wird die von Schutzmann, Frau, Vater und Sohn erzählende Farce „Fürwahr...?!“ zu Nonnsens-Schlaufen eines vervielfachten alkoholisierten Hausmeisters, nur am Klavier begleitet von Wie Chen.

Ins Foyer geführt wird das Publikum für die Oper vom „Leben und Sterben des heiligen Teufels“. Aber die bei Hartmann melodramatisch erzählte Geschichte von Rasputin findet gar nicht statt. Der eröffnende Gesang der Magd wird zu einem „von Gott gesandt“ verkürzt, welches der verdoppelte Rasputin auskotzt, und anstelle des Zitats aus der russisch-orthodoxen Liturgie erfolgen Zaubertricks. Die Personen Fürst, Magd, Fürstin und Chor der Verschwörer treten erst gar nicht auf. Zu einer Schlacht mit von der Publikumsgarderobe gerissener Bekleidung lässt ein weiblicher General mit Fernsteuerung einige der Musiken dieser kleinen Oper von Band einspielen.

Auf der Unterbühne ist das Rudiment der Handlung „Die Witwe von Ephesus“ angesiedelt – ohne die Figuren des Bürgermeisters, der vier Zylinderträger und der singenden Katze, dafür aber mit einer Modelleisenbahn und wabernden Fliegenpilzen. Der Chaplin-Ford-Trott, im Original eine Persiflage auf den American way of life, wird ans Ende gerückt. Ohne die singenden Personen Henry Ford, Charly Chaplin und die anderen amerikanischen Stereotypen, treffen sich die Darsteller des Abends auf einer vom biergeschwängerten Publikum als Geisterbahn-Museum begangenen Bühne. Von dieser Oper bleibt nur ein kurzer, wortloser Foxtrott als Stampftanz (Choreographie: Sabine Zahn) übrig.

Die sozialkritisch-satirischen Textvorlagen von Erich Bormann, der als Leiter des Opernstudios an der Bayerischen Staatsoper diese Opern bei Hartmann in Auftrag gegeben hatte, bleiben in Berlin ebenso auf der Strecke, wie Hartmanns Karikierung der Jazzmusik und die Vielschichtigkeit seiner Tonsprache. Fragwürdig, dass gerade jene beiden Partituren, die Hartmann selbst orchestriert hat – vermutlich unter Berufung auf die Torsohaftigkeit dieser Oper – musikalisch skizzenhaft zur Ausführung kommen: „Das Leben und Sterben des heiligen Teufels“ als ein auf drei Personen reduziertes Sprechstück mit einigen Background-Musiken ist ebenso stark verkürzt wie die nur mit Akkordeon begleitete „Witwe von Ephesus“.

Die von der Regisseurin Katja Czellnik als „Betreuung Regie“ geführte Gruppe junger Teams, mit Sängern und Schauspielern, Studierenden der Sound Studies der UdK und des Studiengangs Puppenspiel der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, wird Klavier, Harmonium und Schlagzeug untermalt durch die von Panagiotis Papadopoulos geleitete Junge Philharmonie Brandenburg.

Die so entstehende „Mischung aus Opernaufführung, Performance und audio-visueller Installation“ (PR-Text) wird vom Publikum mit Amüsement und Verwunderung aufgenommen: wirkt doch Karl Amadeus Hartmann mit seinen Kurzopern aus den Jahren 1929 und 1930 geradezu als aktueller Moderner.

Weitere Aufführung: 2. April 2011
 

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