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What Next? – Susan Maclean (Stella), Romana Noack (Mama), David Chestnut (Kid 1), Dmitri Vargin (Harry or Larry), Heidi Elisabeth Meier (Rose), Corby Welch (Zen), Jan Vorjohann (Kid 2) © Foto: Hans Jörg Michel
What Next? – Susan Maclean (Stella), Romana Noack (Mama), David Chestnut (Kid 1), Dmitri Vargin (Harry or Larry), Heidi Elisabeth Meier (Rose), Corby Welch (Zen), Jan Vorjohann (Kid 2) © Foto: Hans Jörg Michel
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Die Duisburger Plattform „Young Directors“ eröffnet mit Musiktheater-Raritäten

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Mit der Überzeugung, es gehöre zu den wichtigsten Aufgaben eines Intendanten, junge Talente zu fördern, steht Christoph Meyer, Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein, sicher nicht allein. Aber nicht jedes Theater ist bereit, den Nachwuchskräften neben dem Studio auch die große Opernbühne zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen der neuen Regie-Plattform „Young Directors“ hatten die beiden Regieassistenten Philipp Westerbarkei und Tibor Torell nun zusammen das Duisburger Opernhaus für einen Einakter-Abend zur Verfügung.

Sie entschieden sich mutig für zwei Raritäten des US-amerikanischen Musiktheaters: Elliott Carters „What next?“ und Leonard Bernsteins „Trouble in Tahiti“, die eher zum Typus des Kammerspiels gehören.

Carters „What next?“

Elliott Carter (1908-2012) schrieb seine einzige Oper als 90-jähriger für die Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo sie 1999 mit großem Erfolg unter Daniel Barenboim uraufgeführte wurde; seitdem hat sich als einzige deutsche Bühne 2007 das Prinzregententheater in München daran gewagt. Das Libretto zu „What next?“ verfasste in Abstimmung mit dem Komponisten der britische Musikschriftsteller und langjährige New Yorker Musikkritiker Paul Griffiths (Jg. 1947), der sogar zur Duisburger Premiere anreiste. Sein Szenario zeigt eine Gruppe von sechs Personen, die sich nach einem Unfall, einer Katastrophe oder einem ähnlich traumatisierenden Ereignis in einem Schockzustand befinden und nun nach Orientierung suchen. Es sind nur noch fragmentarische Erinnerungen da, und ein wenig scheint es den Verlassenen so, als könnten sie sich unbelastet neu orientieren. Andererseits schimmert immer wieder im Kern die erworbene alte Persönlichkeitsstruktur durch. „Rose“ (in Duisburg verkörpert durch Heidi Elisabeth Meier) war und ist immer noch unverkennbar eine Sängerin, „Stella“ (Susan Maclean) Astronomin, „Zen“ (Corby Welch) ein guruhafter Althippie. „Mama“ (Romana Noack) ist und bleibt eine Mutterfigur, „Kid“ (David Chestnut) das Kind, und dass „Harry or Larry“ (Dmitri Vargin) von Berufs wegen ein Clown ist, merkt man schon daran, dass er nicht einmal seinen eigenen Namen ernst nimmt – egal ob er ihn wirklich vergessen hat oder nur so tut.

Auf der einen Seite offenbart diese Situation eine geradezu existentialistische Verlassenheit. Andererseits enthält sie auch eine ganze Menge an Witz und Komik, wenn sich Gedanken assoziativ aus Sprachbruchstücken entwickeln – so etwa wird am Anfang das ohnehin doppeldeutige „star“ (für „Stern“ und „Star“) zu „start“ („Beginn“) und „starve“ (verhungern) verlängert – ein Wortspiel, das in der deutschen Übertitelung natürlich verlorengeht und von der deutlichen Artikulation der Sänger und den Englisch-Kenntnissen der Hörer lebt. Außerdem schwanken die Figuren in kurioser Weise zwischen dem Bewusstsein des Ausnahmezustandes und dem Bedürfnis, normale Konversation zu machen – was in der szenischen Realisation ebenfalls sprachliche Deutlichkeit verlangt. Gesangslinien und Instrumentalbegleitung sind satztechnisch und figurentypisch eng ineinander verschränkt. Das geht so weit, dass das allerletzte wirklich gesungene Wort der Oper „what“ heißt und das abschließende „next?“ als Hörillusion durch einen Schlagzeugeffekt erzielt werden soll.

Wie der junge Korrepetitor Jesse Wong das Ensemble und die Duisburger Philharmoniker sicher durch die komplexe Partitur führt, gebietet Achtung. Die sprachlichen Feinheiten bleiben dabei allerdings meist auf der Strecke, und entsprechend gerät auch Tibor Torells durchaus nachvollziehbare Personenführung steifer als dem Stück gut tut. Es gibt einen witzigen Reim, der beim Publikum ankommt: „Kid“ kontert die sprachlichen Höhenflüge der Erwachsenen mit einem „BigMac“. Eine weitere hörbare Pointe ist mehr etwas für Eingeweihte: „Zen“ zitiert das bekannte zen-buddhistische Paradoxon von der „einzelnen klatschenden Hand“, die natürlich nicht klatschen kann, weil man dazu zwei Hände braucht; bei Carter klatscht sie doch – nämlich im Schlagzeug. Schön gelungen ist Ana Tasics Bühnenbild, das den Zustand nach einem Meteoriten-Einschlag andeutet. Gegen Ende des Stückes kommen laut Originalszenario zwei Straßenarbeiter auf die Bühne, die sich dann zusätzlich als Schlagzeuger entpuppen – eine komische Konfrontation der Gruppe mit Vertretern einer von der Katastrophe verschonten banalen Alltagsrealität. Hier lässt Tibor Torell stattdessen einen Gartenzwerg und eine Jesusfigur auftreten, was die Intention der Autoren ins Hochsymbolische verkehrt – und einmal mehr zeigt, wie der derzeitige Theaterbetrieb dem Nachwuchs eine etwas krampfhafte Vorstellung von Originalität suggeriert.

Bernsteins „Trouble in Tahiti“

Auch Philipp Westerbarkei als Regisseur und Tatjana Ivschina als Ausstatterin lassen sich von dieser Tendenz anstecken, wenn sie in Bernsteins „Trouble in Tahiti“ neben die Küche des Ehepaars Sam (Thomas Laske) und Dinah (Ramona Zaharia) nicht etwa Sams Büro auf die Bühne stellen, sondern eine weitere Küche, und nicht die Praxis von Dinahs Psychiater, sondern eine dritte Küche. Leonard Bernsteins Satire auf den „American Way of Life“ der 1950er Jahre, die er 1952 für die Brandeis University in Waltham (Massachusetts) schrieb, verliert dadurch schon einiges an Biss. Und wozu braucht man ein großes Opernhaus, wenn das Bühnenbild so flach in den Vordergrund gebaut wird, dass sich die Darsteller genauso auf engem Raum herumdrücken wie in einem Opernstudio? Neben dem Ehepaar mit Kind agiert nämlich noch ein teils ironisches kommentierendes, teils mitspielendes Darsteller-Trio (Annika Kaschenz, Cornel Frey und Roman Hoza), das im Jazz-Stil der 1950er Jahre singt.

Musikalisch ist das sehr dankbar und von Korrepetitor Patrick Francis Chestnut solide geführt; sängerisch würde eine schlankere Tongebung und eine deutlichere Artikulation die Wirkung noch deutlich steigern. Im eingeengten szenischen Rahmen gelingt Philipp Westerbarkei eine solide Personenführung. Richtig beeindruckend gerät die Szene, in der die zornige Dinah über die Rolle der braven Hausfrau und Mutter hinauswächst. Am Ende steht eine abendliche Aussprache der beiden Eheleute. Die beiden wissen nicht, wie sie miteinander reden sollen. Dass sie trotzdem miteinander ausgehen wollen, hat etwas Rührendes. Aber was läuft im Kino? Die dumme Filmschnulze „Trouble in Tahiti“, die Dinah schon gesehen hat. In der wirkungsvolleren deutschen Fassung, die 2010 das Theater Gießen gespielt hat, war ihr Kommentar: „Ein Scheißfilm“. Aber auch in Duisburg verstehen wir Bernsteins titelgebende boshafte Botschaft: Nicht einmal mehr die Traumparadiese retten uns noch vor dem Alltag.

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