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Foto: © Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Dreieck von Gefahr und Terror – „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen

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„Tristan und Isolde“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel als erste der von ihr in diesem Bayreuth-Sommer privaten Festspielbesuche gewählt hat, beendete den Reigen der Bayreuther Festspiel-Premieren. die szenisch umstrittene, musikalisch unumstrittene Produktion feierte das Premierenpublikum mit rhythmischen Applausbekundungen.

Wie zuvor schon bei ihrer Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“, räumt das ungewöhnliche Inszenierungskonzept der Wagner-Urenkelin mit der Bayreuther Inszenierungsgeschichte der Handlung in drei Aufzügen auf, insbesondere mit jenen aus ihrer eigenen Familie. Die Fragestellung, was der Liebestrank zwischen den Protagonisten wirklich auslöse, spielt hier gar keine Rolle mehr. Die bereits mit dem Beginn des Orchester-Vorspiels uneingelöste Liebesspannung der Protagonisten und ihre Unvereinbarkeit mit dieser Welt lässt die Liebenden den Trank bewusst verschütten. Und ihre Reise ist keine Reise auf einem (Raum-)Schiff, sondern die Konstellation multipler Wege, sich zu entgehen, vor einander wegzulaufen und doch unentrinnbar in ihrer eigenen psychischen Konstellation verstrickt zu sein. Es gibt kein Entrinnen, auch wenn man sich mit Hilfe technischer Auf- und Abfahrten zu entgehen trachtet, denn zahlreiche Treppen führen in die Irre, deren Stufen kippen weg, wenn man sie betreten möchte.

Und nachdem sich jenes richtungweisende Liebespaar aller Liebespaare der Musiktheaterliteratur wider Willen dann doch gefunden hat und sich zu einander bekennt, beginnen ihre Probleme erst richtig. Hier sind sie Spielball einer höheren weltlichen Macht und zugleich ein optimales Futter für das Experiment von Sadisten. Mitsamt ihren Untergebenen werden sie in eine Terrorzelle geworfen, die nur dazu dient, ihre Leiden zu vergrößern. Rettungsleitern bersten beim ersten Versuch, sich an ihnen hochzuschwingen, Käfige schrauben sich aus dem Boden und umklammern die beiden Liebenden und ihre Helfer Kurwenal und Brangäne. Insbesondere aber ist es das Licht der Suchscheinwerfer, das hier – wie erstmals in Götz Friedrichs Inszenierung dieses Musikdramas, 1972 in Scheveningen – viel unerbittlicher als „das Licht des Tages“ den Liebenden jeden Schutzraum entzieht. Dennoch trotzen sie es den widrigen Umständen ab, kurzzeitig ein Glück im Winkel zu errichten, einen Vorhang aufzuspannen und diesen mit künstlichen Sternen zu bestücken. Selbst die Möglichkeit, sich mit den Klammern der Gefängnismaschinerie die Pulsadern aufzuschneiden, muss misslingen – denn offenbar gehört sie zur Manövriermenge der Täuschungen, die Marke und seine gelb gewandete Spezialtruppe sich ersonnen haben.

Kalt sticht Tristans schwuler, eifersüchtiger und dem König höriger Ex-Freund Melot (eindrucksvoll: Raimund Nolte) auf den wehrlosen, durch Augenbinde blinden Delinquenten Tristan ein, löst dessen Geliebter die Haare und malträtiert sie. Und Marke degradiert die eigene Frau zur Prostituierten, zwingt sie öffentlich brutal zum Oralsex.

Im dritten Aufzug dreht die Regisseurin die Schraube der Unerbittlichkeit noch einige Drehungen weiter. Kurwenal, der Hirt (Tansel Akzeybek, der auch dem jungen Seemann seine sehr helle Stimme leiht) und zwei namenlose Stumme sitzen um den für tot erachteten Tristan, den bereits rot flackernde Grablichter umgeben. Als der dann doch noch einmal erwacht, salutieren sie ihm und drücken ihm ein schweres Schwert, das auch ein Grabkreuz sein könnte, in die Hände. Doch Mitempfinden kommt bei dieser Gruppe nicht auf, zu sehr wurde dieses von den Mächtigen – analog der Zielsetzung des Big Brother in Orwells „1984“ – bereits gezielt eliminiert. Nur Kurwenal (sympathisch wohltönend: Iain Paterson) zeigt einen Rest von Mitleid, wenn er dem Sterbenden vorlügt, Isolde sei auf dem Wege zu ihm.

Die versprochene Wiederbegegnung erlebt Tristan nun in elf Versionen, in denen seine Hoffnung in Schrecknisse umkippt. Wenn Isolde in unterschiedlich großen, aus dem Nichts illuminierten Dreiecken, die man als Achtungsschilder interpretieren könnte, in diversen Verkörperungen vor Tristan erscheint, wird ein Spielvorgang des zerreißenden Hochzeitsschleiers aus dem ersten Aufzug erneut aufgegriffen. Mal versinkt Tristans Geliebte, mal ist sie kopflos, mal sinkt sie als ein Schemen in sich zusammen (und Tristan reißt ihre blauen Überreste in Fetzen), mal verblutet ihr gesichtsloser Kopf, mal erinnert sie ihn an das gemeinsam geschaffene künstliche Firmament, mal an das Hundehalsband, mit der Beide im zweiten Aufzug einen vergeblichen Suizidversuch unternommen hatten. Alle Erinnerungsrequisiten sammelt Tristan in seinem Kostüm. Dann erfolgt mit einem grellen Lichteinsatz eine weitere Brechung: die Fläche der Bühne selbst wird zu einem liegenden Dreieck, auf dem Marke und seine Leute ihrerseits ein gelbes Dreieck bilden. Kurwenal wird erstochen, und angesichts der nun doch realiter angekommenen Isolde findet Tristan den ersehnten Tod. Er wird auf ein kinetisches Ruhebett gehievt, auf dem Isolde sich an ihn schmiegt. Am Ende aber wird sie von Marke brutal von dieser Stätte des Todes hinweggeschleift.

So bleibt die Verklärung, die Dirigent Christian Thielemann besonders breit ausspielt, allein Sache des bereits seiner Wunde erlegenen Tristan, eine Erlösung von der schrecklichen Umwelt und von den mindestens ebenso schrecklichen, ihn obsessiv bedrängenden Inbildern.

Nicht verwunderlich, dass eine solche Deutung bei zahlreichen Besuchern auch Befremden auslöst und das Regieteam – Katharina Wagner mit ihrem Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und dem Kostümgestalter Thomas Kaiser – beim Schlussapplaus auch heftige Buhrufe einstecken musste.

Die mutige Inszenierung schafft allerlei Querverweise zur bildenden Kunst und Literatur – etwa mit Isoldes weiß eingehülltem Kopf im dritten Aufzug zu Isolde Weißhand, Tristans zweiter Geliebter in der von Gottfried von Straßburgs Vorlage. Sie wird getragen von einer intensiv agierenden Sängerinnen-Riege und vom exzellenten, makellos intonierenden Festspielorchester.

Die beiden weiblichen Partien in Katharina Wagners Neuinszenierung des Vorjahres sind in diesem Sommer neu besetzt. Nachdem im Vorjahr in die Darstellerin der Isolde extrem kurzfristig eingesprungen war, gab es diesmal das Debüt von Petra Lang in der Titelpartie. Jede Darstellerin der Brangäne lernt wohl die Partie der Isolde, zumindest im ersten und dritten Aufzug, zwangsläufig mit – aber sie selbst zu singen kommt für eine Mezzosopranistin einem Fachwechsel gleich. Für Petra Lang, eine langjährige, auch in Bayreuth gefeierte Brangäne, war diese Entwicklung vorauszusehen, denn diese Sängerin verfügt über den erforderlichern dramatischen Impetus und die erforderliche Strahlkraft. Im hochdramatischen Fach färbt sie die tiefe Region ungewöhnlich dunkel ein, um die hohen Lagen besonders licht abzuheben.

Kurioserweise verfügt Claudia Mahnke als neue Brangäne über ein noch helleres Timbre, wodurch sie als eine besonders jugendliche Dienerin der irischen Prinzessin in Erscheinung tritt.

Das ungewöhnlichste Rollenbild in dieser eigenwilligen Visualisierung schafft Georg Zeppenfeld als Marke, der bis zum abfälligen Säubern seiner Fingernägel mit jenem Messer, mit welchem er das Leben seines Neffen bedroht hatte, einen durchwegs Angst einflößenden Charakter verkörpert, aber in geradezu Brechtscher Dialektik dazu stimmlich wunderschöne, balsamische Bögen gestaltet. Als Tristan in Bühnen- und vokaler Präsenz an Kraft und Intensität derzeit unübertroffen, gestaltet kraftvoll Stephen Gould die Titelpartie voll im Dienste des Dramas, bis hin zum vokal ersterbenden, finalen Ausruf „Isolde!“.

In seinem breit ziselierenden, aber spannungsvollen Dirigat arbeitet Christian Thielemann, kongruenter zur doppelbödigen Bildwelt als im Vorjahr, Nebenthemen heraus, betont etwa dem Vertragsmotiv des „Ring“ verwandte chromatische Abwärtsentwicklungen. Allerdings hätte sich der Dirigent bei seinen wiederholten Solo-Applausvorhängen wenigstens einmal mit dem Regieteam zusammen verneigen können.

  • Nächste Aufführungen: 5., 9., 13., 17. und 22. August 2016.

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