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Richard Wagner, Johan Simons, Teodor Currentzis, Mika Vainio: Das Rheingold, Foto: JU / Ruhrtriennale 2015
Richard Wagner, Johan Simons, Teodor Currentzis, Mika Vainio: Das Rheingold, Foto: JU / Ruhrtriennale 2015
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Eigenthum ist Diebstahl – „Rheingold“ in der Jahrhunderthalle Bochum

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Das Orchester – ein Helden-Team! Es thront erhaben, als wäre hier die heldenheimische Endlagerstätte. Breit aufgefächert nimmt es die zentrale Stellung ein auf der Tribüne, die der der Zuschauer gegenübergesetzt wurde. Die Musiker lösen die akustische Vorzeit ab, die ein Vorspiel vor dem Vorabend exponiert: Mika Vaino komponierte am Mischpult eine graue akustischen Wolke (womöglich unter Verwendung von Material aus den „Rheingold“-Anfängen), die sich auch im Verlauf des Abends gelegentlich wieder in Erinnerung bringt.

Aus der Sound-Cloud, die zunächst wie Schwefeldampf die Lüfte erfüllt, schält das Orchester die Wellen-Konturen des sich aufbauschenden Es-Dur-Akkords heraus. Die Musiker aus Perm betören mit der geschmeidigen Theatralik und den erotischen Feststoffen der Wagnerschen Musik. Sie sekundieren in klarer Konturierung der Leitmotive den Lustbedürfnissen und Straftaten, die die singenden Akteure rings um sie her begehen. Animiert von Teodor Currentzis durchschießt die Blechbläserwucht den weiten Luftraum unter den gigantischen Stahlträgern der Jahrhunderthalle. Der dramatische Ton trotzt dem Starkregen, der auf das Glasdach prasselt. Die Verfugung der Scheiben ist, altersbedingt, den Herausforderungen nur bedingt gewachsenen. Die vorzügliche Verstärkeranlage aber meistert auch die Erinnerung an die Nähe der Natur vorzüglich.

Zu den Tölpel-Tönen der von Riesenhall her zur Schlussabrechnung des Götterburg-Neubaus sich meldenden Baumeistergespanns Fasolt und Fafner springt der Konzertmeister auf, um das Streicher-Kollektiv mit Riesenstreichen zusätzlich zum gewaltigen Pochen von Blech und Pauken zu animieren. Solche gesteigerte Riesen-Musik verzerrt die infantile Drastik des wagnerschen Humors zur heiteren Groteske. Am Ende, dem die germanischen Götter mit dem Einzug in Wahnhall entgegengehen, stehen alle Mitwirkenden von MusicAeterna auf. Diese Art von „standing ovation“ ist in manchen Ländern bei der Zelebration der Nationalhymne üblich, im Kontext des hymnischen „Rheingold“-Schlusses und angesichts des in den Bildmittelpunkt gerückten sichtbaren Orchesters eine theatrale Aktion höchsten Ausmaßes. Als Steigerung wäre nurmehr denkbar, der Mongolei unverzüglich den Krieg zu erklären (aber dieser schöne alte Brauch ist ja im Zeitalter der allemal verdeckt beginnenden Militäraktionen außer Mode gekommen).

Die Besucher der Ruhrtriennale-Premiere verkneifen sich trotz solcher höchsten Erhebung das Aufstehen noch einige Augenblicke lang, schließen sich dann aber begeistert an. Die Kulturcreme Nordrhein-Westfalens, angereichert durch zahlreiche niederländische Gäste, feierte die konzertierenden Gäste aus Sibirien und den Festival-Leiter ergiebig.

Johan Simons kreierte, ohne Elemente der Natur gänzlich auszusparen, eine allem naiven Naturalismus enthobene Produktion. Aus dem Brackwasser in den drei Bassins vorm Orchesterpodium ragen Reste einer hochherrschaftlichen Stuckdecke und ein Kristall-Lüster. Zwischen den Steinen dieser Uferlandschaft liegen drei halbbekleidete Puppen. An ihnen reagiert, nachdem die drei aufs Singen konzentrierten Rheintöchter Alberich hinreichend „geneckt“ haben, der Nibelung seine „böse Lust“ ab (hätten diese schlampigen Hüterinnen der Naturressourcen doch nur besser um ihren Job und weniger um die rivalisierenden Nebeninteressen gekümmert!). Gold bleibt rar in dieser Schlüsselszene für primäre Kapitalakkumulation.

Auch später, wenn der Herr der germanisch-deutschen Zwergenbergwerkswelt seinen unterjochten Bruder Mime dazu veranlasst, das Lösegeld an Wotan und Loge aus der Kellerluke herbeizuschaffen. Das alles bleibt, ebenso wie die allemal problematische (weil unfreiwillig komische) Verwandlung Alberichs in Lindwurm und Kröte lediglich theatererfahrene Andeutung. Nur Kreditkartenzahlung wäre minimalistischer.

Hinten oben prangt die Fassade Walhalls in weißer Gründerzeitpracht. Die Türen aber bleiben verschlossen, die Fenster sind blind. Agneta Eichenholz lungert als Freia im schwarzen Body auf der langen Bank und lässt sich vom Butler (er nennt sich Sintolt der Hegeling) die Aufwartung machen, geht jedoch mit dem SM-Zubehör zurückhaltend um. Überhaupt erweist sich der Götterdiener den Herrschaften auf Bergeshöhn, durchs Orchester eilend oder unten am Ufer als umsichtiger und hilfreicher Geist. Andrew Foster-Williams (Donner) und Rolf Romei (Froh) wurden als grotesk-dekadente Hänflinge inszeniert, deren körperliche Attacken auf den wahrhaft riesenmäßigen Peter Lobert (Fafner) allerliebst geraten – Streicheleinheiten minderer Göttlichkeit können diesem Koloss noch nicht einmal ein Augenzwinkern abnötigen. Die Götterchefgattin Maria Riccarda Wesseling verurteilte Simons weitgehend zu Lethargie. Er zeigte sie als dumme Reichentucke, die nur kurz munter wird, wenn sie hört, dass man aus erpresstem Gold auch Schmuck machen kann.

Überhaupt zeichnet sich die Inszenierung durch manch realitätsnahes und daher spaßiges Detail aus. Wotan zum Beispiel lässt sich Plastikhandschuhe auf silbernem Tablett reichen, bevor er mit einem Skalpell an Alberichs schmutziger Kehle der höchst unfreiwilligen Abtretung des Rings nachhilft. In den Szenen des zunehmend schwieriger werdenden Regierens wie in denen einer gealterten Ehe profiliert sich Mika Kares dann weiters ohne viel Charisma als Machthaber modernen Typs mit sympathischer, distinguierter und aufs Donnergrollen verzichtenden Stimme (die stimmkundige Musikkritik pflegt solchen Leistungen herablassend „gute Führung“ zu bescheinigen). Leigh Melrose bringt die markanteste Männerstimme mit. Dieser Alberich entwickelt den rauen Ausdruck des Riesenschmerzes über den höchsten Verlust ohne Chargieren – fulminant. Hat er doch nach der Liebesfähigkeit auch das ganze Vermögen und das magische Mittel zur Herrschaft verloren! Loge apostrophiert die Fluch-Arie doppelt höhnisch als „Liebesgruß“. Den Politikberater, zwei Köpfe kleiner als Wotan, gibt Peter Bonder mit einer Intonation, die von der eines heruntergesungenen Operettentenors nicht allzu weit entfernt ist und daher wie eine Faust aufs Auge passt. Doch den durchweg belebenden Einsatz dieses Sängerdarstellers „nur musikalisch“ wahrzunehmen, wäre hochgradig ungerecht: Bonder leistet in der agilen szenischen Dekonstruktion einen Löwenanteil.

Die Faust zeigt Simons‘ Inszenierung mit einer polit-ökonomisch-philosophischen Einlage, die zunächst zum Hämmern auf dem Nibelungen-Amboss von hoher Warte aus dem Megaphon kommt: Eine Brandrede zu einigen vom Dichterkomponisten mit dem „Rheingold“ intendierten Absichten – mit Versatzstücken aus Texten von Freund Bakunin und anderen Bekundungen des Unwillens über kapitalistische Verhältnisse. Mündend im aktuellen Hinweis, dass es weit effektiver ist, Nachbarländern Schulden aufzuhalsen und mit diesen zu knechten, als Panzer und Bodentruppen zu entsenden. Die Männer der Troika, die dies hätten bestätigen können, waren nicht in der Halle (auch ihrer Berliner AuftraggeberInnen nicht). Diesem linkssozialdemokratischen Friedensappell dürfte es ergehen, wie der klassischen Dienstaufsichtsbeschwerde (sie ist nach Kurt Tucholskys Definition form-, frist- und fruchtlos). Nach Abwicklung der „für uns“ wohl letztlich nicht nachteiligen Griechenland-„Sanierung“ und Abklingen der medialen Erregung wendet sich die Agitation der Ruhrtriennale an ein Land und dessen PolitikerInnen, die derzeit aus Rentabilitätsgründen keine Kriege wollen. Der Theatergag kommt ein paar Monate zu spät und die frohe Botschaft dürfte im Wesentlichen ungehört verhallen. Zu befürchten bleibt auch, dass die Permer Musiker mit allem Engagement in der Jahrhunderthalle die Ohren ihres Oberen nicht erreichen. Selbst wenn sich Currentzis zwei Hemden durchschwitzt.

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