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Die Meistersinger von Nürnberg im Badischen Staatstheater Karlsruhe. Foto: Falk von Traubenberg
Die Meistersinger von Nürnberg im Badischen Staatstheater Karlsruhe. Foto: Falk von Traubenberg
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Ein Hochschulkurs mit Weiterungen … – Tobias Kratzer inszeniert in Karlsruhe Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“

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Der gesamte Vorhang ist diesmal mit lauter Programmen, Besetzungszetteln und Plattencovern von diversen Meistersinger-Inszenierungen und -Einspielungen zutapeziert. Aus allen Zeiten und aus allen möglichen Opernhäusern. Mindestens zwei davon verunzieren ein Hakenkreuz. Was kein Wunder ist, gehört doch diese Künstleroper mit dem politischen Background zu den kontaminierten Werken Wagners.

Entstehungskontext hin oder her - die Schlussansprache des Hans Sachs mit ihrer Hymne auf die heilige deutsche Kunst, die von den Meistern bewahrt wird, lässt sich nicht so ohne weiteres umschiffen. Man muss Stellung beziehen. So oder so. Bei Peter Konwitschny fingen die Meister an dieser Stelle einfach an zu diskutierten. So, als wären sie nicht in Hamburg, sondern in einem Volkshochschulkurs auf dem Dorf. In Bayreuth nahm Katharina Wagner ihren Sachs dann beim (reaktionären) Wort, was auch einen ziemlich grusligen Beigeschmack von Wahrheit hatte.

Tobias Kratzer lässt jetzt in Karlsruhe seinen Hans Sachs die problematische Passage vor diesem geschlossenen Meistersinger-Vorhang singen, was ihn schon rein optisch in den Kontext der Rezeptionsgeschichte stellt. Da hat er die Utensilien aus seinem Büro, samt Grünpflanze, in einen Pappkarton gepackt. Der Kunsthochschul-Professor mit dem intellektuellen schwarzen Habitus der etablierten Postachtundsechziger geht offenbar in Pension. Wenn er von der heiligen deutschen Kunst singt, dann hat das hier den Beigeschmack einer Warnung vorm leichtfertigen Verramschen eines nationalen und kulturellen Selbstverständnisses angesichts einer globalisiert neoliberalen Unterspülung seiner institutionellen Fundamente.

In den von Rainer Sellmaier nebeneinander gestellten drei nüchternen Räumen seiner für jede individuelle Marotte offenen Hochschule geht das Geschäft indes weiter. Nur dirigiert jetzt nicht mehr Beckmesser den Chor, sondern Walther von Stolzing, der sich gerade als Seiteneinsteiger den Zugang in diesen Kreis (und die Stelle) ersungen hat. Während die Choristin Eva prompt auf den nächsten Seiteneinsteiger, der, wie einst er selbst, die Tür zum Probensaal öffnet, abfährt.

Kratzer bekommt das Kunststück fertig, die Geschichte um Hans Sachs, Eva, Walther, Beckmesser und all die anderen mit einer faszinierend genau ausformulierten Personenregie zu erzählen und gleichzeitig einen Diskurs über dieses Stück und jene, die ihn führen, mitzuliefern. Diesen Walther von nebenan, in Jeans und kariertem Hemd, lässt er dabei über weite Strecken wie einen Beobachter (und Vertreter der Zuschauer) zum Teil unsichtbar durch die Geschichte irren. Wird er ins Spiel hineingezogen, dann muss er sich durchringen, auch wirklich mitzuspielen. Sachs muss ihm seinen Morgentraum förmlich aus der Nase ziehen. Und beim Sängerwettstreit hat er dermaßen Lampenfieber, dass man Angst um ihn bekommt.

An einigen Schlüsselstellen unterläuft die Regie bewusst die Erwartungen. Hat man sich gerade an die nüchterne akademische Diskurs-Atmosphäre gewöhnt, so öffnet sich plötzlich der mittlere Raum direkt in ein Butzenscheiben-Nürnberg aus wunderbarer Kulissenmalerei von anno dazumal, samt Dürerzeit-Kostümierung für alle (außer Walther). Das Innere der Schusterstube ist ganz im Neubayreuther Sinne karg und surreal. Der Boden eine Malerpalette, die Rückwand ziert eine Scheibe mit Fliederblüten. Die nächtliche Prügelei schließlich findet in einer Plattenbausiedlung statt. Vor einem Schnellbesohler, neben dem Nagelstudio und in der Nähe einer Dönerbude, wo das Stück angeblich nur 49 ct kostet … Beckmesser kommt hier mit Lautsprecherbox und sprüht „Scheiss €-Trasch" an die Scheibe, Walther und Eva verstecken sich hinter Müllsäcken und als Nachtwächter schaut eine von Neuenfels Lohengrin-Ratten aus Bayreuth vorbei. Mag sein, dass das eher Regie-Insiderwitze für die Wagnergemeinde sind. Aber es funktioniert.

Dabei wird, auch ohne den politisch überkorrekten Holzhammer zu schwingen, untergründige Gewaltbereitschaft als latente Gefährdung jeder Bürgerlichkeit über die Zeiten hinweg identifiziert. Bleibt man bei den Prämissen des Einstiegs und des Finales, dann ist hier der Meistersingerworkshop etwas aus dem Ruder gelaufen. Am Beginn des dritten Aufzuges sieht die Hochschule aus, wie am Morgen nach dem Unifasching. Hier und da liegt einer rum. Katerstimmung. Und für Sachs das Ende vom Traum einer Beziehung mit Eva. Er macht das Beste draus, räumt das Feld und hilft dem Rivalen. Besonders beim Ausloten dieser Dreiecksgeschichte bewährt sich Kratzers exzellente Personenregie. Den Aufmarsch zur Festwiese gibt‘s dann nur aus dem Graben und von den Rängen, wo der Chor aufmarschiert ist. Was dem allein zurückbleibenden Sachs ziemlich in den Ohren dröhnt. Der Sängerwettstreit schließlich ist eine Art internes Event – bei dem unter anderem eine Installation mit Filmporträts aller relevanten Wagnertenöre eingeweiht und selbst gesungen wird. Das Ergebnis ist bekannt …  

Kratzers Inszenierung setzt auf Diskurs und Nacherzählung, er entfaltet Empathie mit seinen Protagonisten und erlaubt sich dabei auch manch hintergründigen Witz. Das geht deshalb so gut auf, weil der GMD Justin Brown nach einer etwas dumpf und mulmig grundierten Ouvertüre schnell Tritt fasst und einen erzählfreudigen Ton findet, der die Sänger trägt und nicht überdeckt. Alle kleinen Partien werden mit Liebe zum Detail und stimmlicher Präsenz ausgefüllt. Ob nun Stefanie Schaefers gewitzte Magdalena oder Lucas Harbour als behäbiger Fritz Kothner in einem Meisterkollegium von lauter exzentrischen Individualisten – es macht Spaß ihnen zuzusehen und zuzuhören. Ohne jedes denunzierende Beckmesser-Klischee gehört Armin Kolarczyk dazu. Mit seiner Vorliebe für quergestreifte Pullover, gezogenen Scheitel und der manischen Wagner-Verehrung erinnert er schon sehr an den gegenwärtig am meisten gehypten deutschen Wagnerdirigenten…. Als der Meister ihm sogar persönlich erscheint, küsst er ihm die Füsse. Doch der legt den Übereifrigen übers Knie und hält ihm sein Diktum „Kinder, schafft Neues!“ entgegen. Guido Jentjens ist ein korrekter Veit Pogner und Eleazar Rodriquez ein sympathisch beweglicher David. Rachel Nicholls mag mitunter eine Spur zu großformatig sein, aber ihre Eva ist profiliert und wahrnehmbar. Daniel Kirch zerstreut schnell jeden Zweifel daran, dass er stimmlich durchhält. Da, wo er sich anstrengen muss, schlägt er daraus darstellerisches Kapital – ein Stolzing, dem man gerne zuhört. Das gilt auch für Renatus Meszar. Als Sachs ist er hochsouverän, setzt weniger auf balsamischen Wohlklang, sondern mehr auf eindringliche Gestaltung. Die nimmt man ihm durchweg ab.

Am Ende wurden die Protagonisten durchweg gefeiert, beim Regieteam schieden sich die Geister.

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