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v.l.n.r. Franz Josef Köpp (Herr Schwarzer), Carmen Wiederstein (Frau Schwarzer), Meinhard Jan-Sebastian Höhener, Jeremias Saïd-Lucas Grohe, Lukas Bernhard Sengstschmid (Knaben der Opernschule für Kinder der Wiener Staatsoper). Foto: Ruth Walz
v.l.n.r. Franz Josef Köpp (Herr Schwarzer), Carmen Wiederstein (Frau Schwarzer), Meinhard Jan-Sebastian Höhener, Jeremias Saïd-Lucas Grohe, Lukas Bernhard Sengstschmid (Knaben der Opernschule für Kinder der Wiener Staatsoper). Foto: Ruth Walz
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Ein schwieriges Objekt – Eine neue Fassung der Oper „Bluthaus“ von Georg Friedrich Haas bei den Wiener Festwochen

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Nein, es ist nicht die Geschichte des Ingenieurs Fritzl aus Amstetten, die da von Händl Klaus (*1969 Innsbruck) melodramatisiert und von Georg Friedrich Haas (*1953 Graz) mit weitgehender Bühnenmusik versehen wurde. Aber eine artverwandte. „Der Begriff Inzestdrama greift zu kurz“, unterstreicht der Komponist. Überhaupt trage er nicht zu einem „Theater der Grausamkeit“ bei, sondern „schreibe ein Theater der Liebe“.

Um deren Ausprägungen (oder Deformationen) im Leben der jungen Nadja geht es in der Oper „Bluthaus“ – um Erkundungen und Erörterungen des beschädigten Lebens einer jungen Frau, der nach den Bekundungen von Nachbarn „der Vater zu nahe trat“, den daher die Mutter niedermetzelte, bevor diese sich selbst die Kehle durchschnitt. Nach dieser Bluttat steht das großzügig gebaute und geschmackvoll eingerichtete Elternhaus samt dem bestens gepflegten Garten zum Verkauf. Es treten nach einer neugierigen Alten – damit setzt die Handlung ein – die beiden Damen von der Bank auf (von denen die tonangebende nicht eben auf Kundenfreundlichkeit hin geschult wurde und der verkaufswilligen Nadja Vorhaltungen wegen ihrer mangelhaften Erreichbarkeit macht). Dann stellt sich, Schlag auf Schlag, ein gutes Dutzend Kaufinteressenten ein. Sie alle äußern sich auf die eine oder andere peinliche Weise zum Objekt und ihren Interessen.

Das Groteske oder Skurrile dieser durchschnittskleinbürgerlichen Bekundungen im „tiefen Niederösterreich“ wird von Händls Text dadurch unterstrichen, dass die Sätze aufgespalten in Aktion treten, oft als einzelne Wörter oder kurze Satzfragmente. Diese auf die vier Sänger und das Schauspieler-Rudel aufgeteilt. Einer fällt dem anderen ins Wort und dreht es ihm im Mund herum. Als würde man dies nicht mitbekommen, erläutert der Textdichter: „Es herrscht in der Sprache dauernd Gewalt und Gegengewalt“. Klaus Händl hat nicht nur billigend in Kauf genommen, dass diese Art von Phrasen-Montage als nervend empfunden werden kann, sondern das Potential der Sprachgewalttätigkeit als exzentrierende Steilvorlage für die Kompositionsweise von Haas entwickelt. Es handelt sich um einen durchaus radikalen Versuch, neoexpressionistische Sprachformen zu entwickeln, die „sprengen“, weil schlicht narrative Erzählweisen oder anderweitig aus der Alltagssprache destillierte Dialogformen dem ungeheuren Innendruck in Nadja und ihrer zunächst im Dunkeln gehaltenen Vergangenheit nicht angemessen erscheinen.

Die Zwischentöne, deren Meister (auch im technischen Sinn – zum Beispiel vermittels der nicht eben besonders gut sangbaren der Sechsteltöne) Georg Friedrich Haas ist, leuchten (sofern Töne dies können) dies Dunkel auf plausibelste Weise aus und der Komponist erweist sich neuerlich als Gründler eines labilen musikdramatischen Grundes, der freilich auch sehr klar erkennbare Hörhilfen anbietet: Jedem der Sprechdarsteller ordnete Haas ein bestimmtes Schlaginstrument zu und unterstreicht so bestimmte formale Textkomponenten.

Die Tochter des Hauses wird von den Geistern und den Stimmen der gewaltsam aus dem Leben geschiedenen Eltern heimgesucht. In Peter Mussbachs Inszenierung sind die Erinnerungen an die Altvorderen auf die einfachste Weise körperlich präsent. Der Vater bedrängt fortdauernd beziehungsweise wird handgreiflich, während die Mutter wehrlos leidet angesichts dessen, was sich neben ihr, vor ihren Augen und auch zu ihrem Nachteil zusammengebraut hat: „we – ma – n – n … wü – ö – aa“. Das Entsetzliche der sexuellen Nötigung und des Inzests wird rekonstruiert – bis hin zur Liebesunfähigkeit der Tochter, die sich dem Makler kurzentschlossen hin- und hergibt, nachdem die aus Neugier hereingeschneiten Nachbarn die potentiellen Käufer mit niederösterreichischer Verschlagenheit über die blutige Vergangenheit der Immobilie aufklärten und damit in die Flucht schlugen.

Wie schon bei der Uraufführung 2011 in Schwetzingen steht der Wiener Festwochen-Produktion ein exzellentes Solistenquartett zur Verfügung (es ist das nämliche), in dem Sarah Wegener, dramaturgisch bedingt, einen besonders umfangreichen Part bestreitet – auch in Wien sind ihre vokalsolistischen Anstrengungen bewunderungswürdig. Kaum weniger die des Maklers Freund, dem der Counter Daniel Gloger zwar nicht „Brillanz“ im herkömmlichen Sinn zukommen lässt, doch außer der imposanten Statur auch die Befähigung zur aus- und Überzeichnung der Groteske. Kaum weniger vorzüglich erscheint der Einsatz des letzten Gefechts der Eltern – Ruth Weber, die seit längerem Haas-Uraufführungen promoviert (zum Beispiel auch das Pasticcio „Nocturno“ in der Bundeskunsthalle Bonn) und Otto Katzameier, der den erfolgreichen Innenarchitekten beglaubigt und Quitten aus dem Mustergarten einkocht.

Peter Mussbach, der – völlig ausgebrannt – 2008 von Daniel Barenboim als Intendant der Berliner Staatsoper ausgebootet und vom Senator in die Wüste geschickt wurde, ist für die Wiener Produktion vom Altenteil zurückgekehrt. Das war keine sonderlich gute Idee. Der auch als Geistes- und Sozialwissenschaftler sowie Jurist ausgebildete Neurologe lieferte das, was vom Feuilleton mit einer Verlegensheitsfloskel als „psychologische Inszenierung“ belegt wird: Die singenden und durcheinander quatschenden Akteure hasten, outrieren, agieren affektiert und benehmen sich ständig daneben (leider hat sich also kein diskussionswürdiges Gegenmodell zur Uraufführungsinszenierung von Klaus Weise eingestellt). Der Komponist hat – das ehrt ihn – einige der Schwetzinger Premiere auch in der nmz formulierten kompositionskritischen Einwände berücksichtigt und insbesondere die ganz a cappella intonierte Ouverture und das VII. sowie VIII. Bild grundsätzlich überarbeitet. Stark gemildert erscheint in der neuen Version, dass sich Haas ursprünglich „zu kontrafaktischen Interventionen entschlossen hat und seine Musik immer dann in ihrer vollen Obertonakkordschönheit aufblühen lässt, wenn es auf der Bühne grad grausam wird.“

Dass Nadja nach dem Scheitern der Verkaufsbemühungen und der erhofften raschen Befriedigung durch den Makler ausrastet mit höchstem Stimmeinsatz – und hier auch betörendem Gefühl, böser Lust und in fortdauernder Bedrohung – stellt sie in eine Reihe mit großen Opernfrauengestalten wie Medée, Norma oder Proserpina. Doch trägt „Bluthaus“ nicht im mindesten (neo-)klassizistische Züge. Ob sich Oper mit aktuellen Fragen beschäftigen solle, frage der Komponist sich und seine Kundschaft rhetorisch im Vorfeld der Wiener Zweituraufführung – und antwortete entschieden: „Die Frage kann nur jemand stellen, der nicht an die Oper glaubt.“ Georg Friedrich Haas hat sich nicht nur diesen Glauben bewahrt, sondern auch einen musikalischen Impetus für die Liebe, die in „Bluthaus“ nur in depraviertesten Formen statthat, und womöglich für die Hoffnung, nach der auch ein brutal beschädigtes Leben einen Notausgang haben kann (er befindet sich, von den Zuschauern aus gesehen, rechts, aus der Perspektive der Protagonistin links).

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