Hauptbild
Foto: Alte Oper Frankfurt/Achim Reissner
Foto: Alte Oper Frankfurt/Achim Reissner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Eine „Musikreise zum Hindukusch“ eröffnet die neue „Weltmusik“-Reihe der Alten Oper Frankfurt

Publikationsdatum
Body

Vor einem Jahr hat sich der Kulturfonds Frankfurt / Rhein-Main das Thema „Transit“ zum Schwerpunkt für die Zeit bis 2018 gewählt. Ein zentraler Aspekt dabei heißt „Wechselwirkungen zwischen Region und Welt“, und natürlich kommen hier auch Flucht, Einwanderung und die Begegnung der Kulturen in den Blick. Mit einer neuen „Weltmusik“-Reihe steigt die Alte Oper Frankfurt nun mit ein ins Programm. Zum Eröffnungsabend „Musikreise zum Hindukusch“ kam das afghanisch-deutsche Ensemble „Safar“, und damit taten sich weitere Verbindungen auf: Nach Weimar, nach Kabul, in die Türkei – und in eine 100 Jahre zurückliegende Vergangenheit.

„Safar“(persisch und arabisch für „Reise“) ist ein gemischtes Ensemble mit wechselnder Besetzung, das aus den intensiven Kontakten der Weimarer Hochschule für Musik „Franz Liszt“ nach Afghanistan entstanden ist. An diesem Abend im Mozart-Saal erleben wir auf dem Podium fünf afghanische Musiker in weißen Gewändern, die sich zum Spiel ihrer traditionellen Instrumente sitzend auf einem großen Teppich niederlassen, einen türkischen Ney-Spieler und einen deutschen E-Gitarristen im dunklen Jackett, die nebendran auf Stühlen Platz nehmen, und einen deutschen Jazz-Kontrabassisten, der natürlich im Stehen spielt.

Musikalisch funktioniert das über Blickkontakte und gemeinsamen Groove sehr gut, optisch ist es für viele Hörer unbefriedigend, denn vom Parkett aus sind die afghanischen Instrumente nur zum Teil zu sehen. Ein wenig in den Vordergrund jedenfalls rücken durch instrumentale Virtuosität und hohen Spielanteil Khial Mohammad Saqi Zada an der Kurzhalslaute Rubab und Meyazada Feraydoon an dem aus zwei Kesseltrommeln bestehenden Tabla-Set. Aber auch die übrigen Mitspieler sind solistisch zu erleben: Mahammad Murad Sarkosh singend und an der Streichlaute Ghichak, Mohammad Rassel Aziz an der Langhalslaute Tanbur und Abdul Latif Sharifi an der Dhol, einer Röhrentrommel, und der Tula, einer weich klingenden Querflöte.

Bis zu Beginn der kommunistischen Herrschaft mit den ersten politischen Restriktionen besaß Afghanistan eine blühende Musiklandschaft, in der sich persische, indische und zentralasiatische Einflüsse trafen und vermischten. Nun mobilisieren die Weimarer Musikhochschule und das Afghanistan National Institute of Music in Kabul alle möglichen Kontakte, um nach der musikfeindlichen Taliban-Diktatur diese Musikkultur so weit wie möglich wiederherzustellen. Entsprechend bildet das Programm eine Vielzahl von Stilen und Epochen ab. Birgit Ellinghaus, zuständig für die neue „Weltmusik“-Reihe des Hauses und Verfasserin eines instruktiven Programmheft-Beitrags, wird später begeistert von einer „Wahnsinns-Rund- und Zeit-Reise durch die afghanische Musik“ sprechen.

Zwei deutsche Jazzmusiker wie Christian Kögel (E-Gitarre) und Oliver Potratz (Bass), die solistisch zu improvisieren, aber auch sich unterstützend einzufügen verstehen, bedeuten hier keinen Fremdkörper, und ebenso wenig Kudsi Erguner aus der Türkei, der nicht nur die ausdrucksvolle Längsflöte Ney mit einbringt, sondern auch seine Expertenkenntnisse der Sufi-Musik und Sufi-Melodien aus seinem Archiv. Erguner wird später am Beispiel des berühmten Sufi-Meisters Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī (1207–1273) auf die Einheit des Kulturraums über alle heutigen Staatsgrenzen hinweg verweisen; Rumi, wie er im abendländischen Kulturkreis genannt wird, wurde im heutigen Afghanistan geboren, sprach und dichtete persisch und liegt in der heutigen Türkei begraben.

Die Musik

Für jemand, der ein wenig vertraut ist mit europäischer Musik des Mittelalters und der Renaissance, aber auch mit der Folklore des Balkans, klingt die Musik nicht allzu fremd. Auch in Afghanistan finden sich die Begleittechniken von Borduntönen oder der Heterophonie, es gibt belebende Vor-, Zwischen- und Nachspiele aus dem musikalischen Material eines Liedes. Die verwendeten Skalen ähneln auffällig der ionischen, dorischen und phrygischen Tonleiter, und neben den üblichen geraden und ungeraden Metren erklingt des Öfteren ein zusammengesetzter Siebener-Takt. Duettierende Wechselspiele (besonders reizvoll zwischen Tanbur und E-Gitarre) sind ebenso gängig wie belebende Vor-, Zwischen- und Nachspiele. Rhythmische Vitalität, technische Versiertheit und intensivierter Ausdruck fesseln unmittelbar, auch wenn nicht die Wiedererkennungseffekte eintreten, die das gut vertretene afghanische Exil-Publikum spontan beklatscht und bejubelt. Als Nicht-Experte erfährt man durch die sparsamen Ansagen leider zu wenig über die einzelnen Titel, und auch das durchaus interessante Nachgespräch stellt nicht die Musik in den Vordergrund, sondern die kulturpolitische Situation und den kulturellen Auftrag.

Eine wichtige Stimme an diesem Abend kommt vom Band und ist genau ein Jahrhundert alt. Es handelt sich um Abdur Kadir Kahn, der als afghanischer Kolonialsoldat zur britischen Armee gehört hatte und in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Das deutsche Kaiserreich errichtete in Wünsdorf südlich von Berlin ein eigenes Lager für die moslemischen Gefangenen, in dem sie ihre Religion frei ausüben und sogar ihre Mahlzeiten selbst zubereiten konnten. Man baute ihnen 1915 sogar eine Moschee. Hintergrund war die Idee, die Kolonialsoldaten auf die Seite des Deutschen Reiches in den Kampf gegen die Kolonialmächte zu ziehen; dazu brachte man sogar eine vierzehntägig erscheinende Lager-Zeitschrift mit dem bemerkenswerten Titel „Al Dschihad“ heraus.

Musikethnologischer Fund

Berliner Ethnologen und Anthropologen, Linguisten und Musikwissenschaftler nutzten die Gelegenheit, die Gefangen zu besuchen, zu begutachten und zu vermessen. (Wobei den asiatischen und nordafrikanischen Muslimen im Gegensatz zu den Schwarzafrikanern anscheinend wenig rassistischer Dünkel entgegenschlug.) Mitarbeiter der Königlich Phonographischen Kommission des preußischen Kultusministeriums machten Aufnahmen mit Grammophon und Phonograph, um Sprache und Musik der ausländischen Soldaten zu dokumentieren. Die auf Wachswalzen festgehaltenen Gesänge landeten weitgehend im Ethnologischen Museum Berlin, die Sprachaufzeichnungen im Lautarchiv der Humboldt-Universität. Unter diesen Sprachaufzeichnungen aber fanden die Experten des „Afghanistan Music Research Centres“ (AMRC) der Weimarer Musikhochschule sieben Lieder, die Abdur Kadir Kahn den Berliner Forschern vorgesungen hatte.

Eines davon (aber welches?) war nun aus dem Lautsprecher zu hören – schwungvoll, zupackend und selbstbewusst im Ausdruck; die Musiker von „Safar“ nahmen die Melodie auf und versuchten eine historische plausible Ensemble-Version; dann folgte eine aktuelle Fassung in einer modernen Variante, denn in der mündlichen überlieferten afghanischen Musikkultur hat auch dieses Lied binnen 100 Jahren einige Metamorphosen durchgemacht und klingt nicht mehr wie einst. Dr. Ahmad Sarmast, Leiter des Afghanistan National Institute of Music in Kabul, berichtete, wie die Berliner Aufnahmen unter afghanischen Musikern Furore machten. Nicht nur waren sie die weitaus ältesten Aufzeichnungen afghanischer Musik überhaupt, sondern sie zeigten auch, dass ein gängiges Lied weitaus älter sein konnte als vermutet. Denn die noch existierenden Tonaufnahmen von Radio Television Afghanistan, die ein mutiger Archivar während der Taliban-Diktatur versteckt hatte, reichen nicht weiter zurück als in die 1960er Jahre.

Was Ahmad Sargat aus Kabul zu berichten hatte, war beeindruckend. Trotz der unsicheren Sicherheitslage – ein Konzert im Dezember 2014 in Kabul wurde sogar Ziel eines Selbstmordattentats – setzt er sich mit vielen Mitstreitern entschlossen für den Wiederaufbau des afghanischen Musiklebens ein. Inzwischen hat das Institut 215 Schüler, 80 davon Mädchen, und es existiert sogar ein reines Mädchen-Orchester, das afghanische und westliche Musik spielt und im kommenden Jahr seine erste Europa-Tournee absolvieren soll. Mit Weimarer Hilfe möchte Sargat eine Konservatoriums-Ausbildung in Kabul etablieren, und es sollen auch die historischen Tonaufnahmen von Radio Television Afghanistan digitalisiert werden.

Die Alte Oper setzt ihre „Weltmusik“- Reihe am 3.11.2016 fort. Unter dem Motto „Musik gegen die Heimatlosigkeit“ gibt es Musik der Sinti und Roma zu hören. Bei „Exil“ am 20.2.2017 geht es um die Verbindungen zwischen griechisch-orientalischer und arabischer Musikkultur, und am 21.5.2017 erklingt „Ein Hauch des geliebten Syrien“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!