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Andreas Hermann (Hyllus), Almas Svilpa (Hercules) und Marie-Helen Joel(Lichas) im Essener „Herkules“. Foto: Thilo Beu
Andreas Hermann (Hyllus), Almas Svilpa (Hercules) und Marie-Helen Joel(Lichas) im Essener „Herkules“. Foto: Thilo Beu
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Endlich wieder ein Held in der Halle: Dietrich Hilsdorf inszeniert Händels „Hercules“ am Aalto-Theater Essen

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„Hercules“ gilt als eines der bedeutendsten Oratorien Georg Friedrich Händels (1685–1759). Die Partitur entstand 1744 während des Österreichischen Erbfolgekriegs – im Anschluss an „Semele“ sowie „Joseph und seine Brüder“, unterbrochen von Arbeiten am „Belshazzar“. Die Uraufführung fand im Frühjahr 1745 in London statt. Der Komponist bezeichnete das Werke als „a musical drama“. Tatsächlich verläuft die den ältesten Überlieferungen aus dem griechischen Altertum entstammende Handlung dramatisch. So erscheint eine vitale Präsentation auf der Bühne nicht nur plausibel, sondern nachgerade legitim.

Dietrich Hilsdorf nahm den Inbegriff eines Helden ins Visier, der nicht nur stark und erfolgreich ist, sondern eben auch etwas kurzsichtig und allzu naiv: Herakles, der Sohn von Zeus und Alkmene, bringt die schöne junge Jole als Kriegsgefangene mit von einem Feldzug, bei dem er nach Ansicht der ihm angetrauten Dejanira (Deianeira) ohnedies schon zu lange verweilte. Den Rest regelt die Eifersucht: die Gattin legt superschicke Klamotten für ihn bereit, die ihr der Zentaur Nessos zukommen ließ, als er von Herkules gekeult wurde (sein Blut diente der Innenseite des Gewandes als Spezialbeschichtung). Diese Imprägnierung, so das Versprechen des Nessos, sollte für die fortdauernde Treue dessen sorgen, der es anzieht. Der Zauber funktionierte, wie die Quellen übereinstimmend berichten, auf frappierende Weise: das Zentauernblut verätzte Haut und Muskulatur des Helden so gründlich und schmerzhaft, daß er sich auf dem Berg Oeta einen Scheiterhaufen errichten ließ, um auf diesem seine Qualen zu enden.

Dieter Richters Bühneninstallation eröffnet einen etwas ramponierten großen Mehrzweckraum. Von ihm wurde eine Bühne durch Vorhänge abgetrennt, auf denen sich das eines der Höhlengemälde von Lascaux als Erinnerung an die atavistischen Zeiten des Heldentums der Jäger andeutet. Die historisch sehr genau gearbeiteten Kostüme von Renate Schmitzer rücken die Rückkehr des Heroen und sein klägliches Ende ins Umfeld des Londoner gesellschaftlichen Lebens in der Mitte des 18. Jahrhunderts und der virulenten militärischen Auseinandersetzungen, an denen Großbritannien damals führend beteiligt war. Sie zitieren Bildelemente der zeitgenössischen Darstellungen von Hoffesten und einem siegreich aus der Schlacht heimkehrenden Heerführer nebst schmucken Kolonialsoldaten mit großen schwarzen Engelsschwingen (Gott muss damals mit Britannien gewesen sein – Händels Musik zumindest scheint von dieser Gewissheit durchdrungen).

Almas Svilpa, auch stimmlich ein Schwergewicht, wirkt, als wäre er einer der triumphalen Fürstendarstellungen entstiegen, die nach dem Frieden von Aachen entstanden, der das weltweit geführte Ringen um die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent beendete. Akkurat und delikat inszeniert Hilsdorf die Gewaltverhältnisse von Siegern und besiegten sowie zwischen den Geschlechtern. Mit diskretem Humor zeigt er die Dialektik von Nachwirkungen der Taten und Defiziten des Helden. Tödlich erweist sich dessen wenig pfleglicher Umgang mit der alternden Gattin. Er versetzt sie mit einem beim Kriegszug erbeuteten Mitbringsel in Rage: vor dem lädierten Denkmalssockel zieht er Jole den weißen Schleier vom Kopf – die braunhäutige Christina Clark klagt dann als schöne Prinzessin aus der Fremde ihr Leid über den getöteten Vater und das verlorene Vaterland, bringt sich arios als kapriziöse Geliebte in Stellung und verweist koloraturenstolz auf ihr königliches Blut. Michaela Seliger läuft als düpierte Ehefrau mit Rache- und Wahnsinnsarie zu großer Form auf und präsentiert Szenen einer Ehe à la Strindberg. Sehr glaubhaft, dass ihr Interesse vor allem der Trinkschokolade gilt.

Die reduzierten Essener Philharmoniker unter Leitung von Jos van Veldhoven unterstützen mit einer differenzierten Leistung das insgesamt glänzende Solisten-Ensemble und runden die historisch getönte musikalische Interpretation ab. Der Chor entwickelt auf der Bühne wie mit seinen Kommentaren vom dritten Rang herab intensive Präsenz. Zu der fügen sich die von Dietrich Hilsdorf ausdifferenzierten Tableaus in idealer Weise: Der „Rächer der Menschheit“ bleibt eine geschichtliche Figur. Er wird nicht zum Rambo erniedrigt, sondern als Präzedenzfall für Heldhaftigkeit genommen. Mit historischem Respekt und tiefer Skepsis gegenüber dem Heldischen.

Weitere Aufführungen: 15., 17., 21., 25.12., 12., 16., 23.1.

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