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Martinu an der UdK Berlin. Foto: Christoph Heyde
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Experimente zur ultimativen Glückssuche – Bohuslav Martinůs Filmoper „Die Drei Wünsche“ im Theater der UdK Berlin

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Bohuslav Martinůs 1929 in Paris vollendete Oper in drei Akten mit einem Vor- und einem Nachspiel ist die kurioseste seiner Partituren und sicher das verrückteste Bühnenwerk des Komponisten, basierend auf einem Text von Georges Ribemont-Dessaignes, einem Anhänger des Dadaismus. Die gattungstypische Zeitoper „Les Trois Souhaits ou Les vicessitudes de la vie“ mischt in den „Wechselfällen des Lebens“ eine Märchenebene mit Revue und Film, bricht aber die aufgestellten Behauptungen immer wieder, um Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich in Frage zu stellen. Über zwei Akte lang soll in dieser „Filmoper“ ein Stummfilm gedreht werden, der im dritten Akt gezeigt wird.

Eine von Monsieur Juste gefangene Fee Null ermöglicht ihm drei Wünsche, die der Intensivierung seiner in die Jahre gekommenen Beziehung dienen sollen, sich aber jeweils als Danaergeschenk erweisen. Statt der ersehnten Steigerung des Glücks, lebt sich das Paar immer weiter auseinander. Und auch die Beziehung des diese Personen darstellenden Liebespaars Arthur und Nina zerbricht.

Zu Lebzeiten von Martinů war diese Oper, allein aufgrund ihrer technischen Anforderungen in der Vermischung von Oper und Film, nicht zu realisieren. Erst im Jahre 1971 wurde sie, stark gekürzt, in Brno uraufgeführt. Das Theater Augsburg erzählte „Die drei Wünsche oder Die Launen des Lebens“ 2003 vergleichsweise linear, mit einem witzig vorproduzierten Film. Die Berliner Erstaufführung im Theater der Universität der Künste geht einen Schritt weiter: das Video-Zeitalter hat die ursprüngliche Problematik der Film-Vorproduktion überwunden, vermag Live-Einspielungen und vorproduzierte Teile mit Assoziativem zu mischen und forciert so die surreale Infragestellung der Reise des jungen Paares Arthur und Nina, das bei einer Kinodarbietung der „L'ile en Or – Produktion“ gekapert wird, hinter der Leinwand verschwindet und in den Rollen von Monsieur Juste und Indolende wieder auftaucht, um alsbald ein doppelbödiges Leben zu führen. Außer auf einem beigen Lamellen-Auftrittsrund als großer Projektionsfläche, gibt es zwei große TV-Kastenwagen, in denen Personen gefangen gehalten werden können, während die Bildschirme deren Innenleben und Phantasien der Inhaftierten zeigen, sie aber auch direkt durch die Mattscheibe mit der Umwelt kommunizieren lassen.

Das hat Regisseur Frank Hilbrich mit Sängerinnen und Sängern aller Jahrgänge des Studiengangs „Gesang-Musiktheater“ der Universität der Künste, mit Witz und Drive in Szene gesetzt, alle Mitwirkenden zu enormem Engagement und damit einhergehend zu musikdarstellerischen Hochformen motiviert.

Immer wieder ist der Zuschauerraum auch ein korrelierender Schauplatz. Das beginnt mit einer Kopulation des jungen Paares während der Filmvorführung auf dem Gang des Bodens, die so glaubhaft ausfällt, dass sich eine Besucherin zu meiner Linken veranlasst sah, das Paar zurecht zu weisen; aber da schritten auch schon Helfer des grauen Film-Regisseurs ein um die Ertappten und einen weiteren jungen Besucher als billiges Frischfleisch in die Filmproduktion zu integrieren.

Ab dann überlagern sich ständig die Wirklichkeitsebenen von Film und Wunsch, Traum und Realität. Ein Trampolin dient als levitierendes Glücksempfinden, ein großes Kuckucksei rollt im häuslichen Bereich oder auf der Glücksinsel, herein, um das Spiel – analog zu den von Martinů irritierend eingesetzten Kuckucksrufen – zu unterbrechen, neue Runden des Experiments um die ultimative Glückssuche einzuleiten.

In der technisch aufwändigen Produktion (Bühne: Isabelle Kaiser) bedarf es für die Fahrt mit dem Schiff und dessen Untergang aufgrund von Überladung mit Gold, nur eines quer gespannten Taus, alles Andere suggeriert das in die vielfältigen Rollen springende Ensemble körpersprachlich.

Höhepunkte sind das den „Comedian Harmonists“ nachempfundene Männerquartett (Pascal Herington, Kornel Maciejowski, André Baleiro, Youngbin Park), und die Gesänge der mit Superatombusen und Tellerpopo ausgestatteten Victoria Cox Casanova als schwarzer Männervamp Dinah, sorgen für Ohrwürmer auf höchstem Niveau. Die auf Monsieur Justes dritten Wunsch verjüngte Indolende (die ja ohnehin junge Sopranistin Jelena Bankovic, mit jugendlich dramatischem Impuls) erhält eine blonde Wasserstoffperücke und weiße Plateaustiefel, die ihr der verliebte junge Cousin Adolphe (Robert Schär) genussvoll auszieht. Die aufreizende, geradezu einem Nachtclub entstiegene Fee (Luise Lein hat Kostümbildner Claudio Aguirre ein Ganzkörper-Nackttrikot zugestanden) schießt den zur Übergröße mutierten Kuckuck aus dem Bühnenhimmel. Der von seiner Frau und dem Leben enttäuschte Monsieur Juste wünscht sich nur noch geliebt zu werden – und kommt damit vom Regen in die Traufe: denn eine verwachsene Bettlerin (Kimberley Boettger-Soller) liebt ihn so stark, dass sie ihn aus Eifersucht erschlägt.

In Hilbrichs Inszenierung sieht das Publikum im Schlussakt nicht die Filmvorführung bereits erlebter Szenen, sondern neue, die Konsequenz der zuvor erfolgten Abläufe in Frage stellende Bilderfolgen und Live-Aktionen der Protagonisten im Zuschauerraum, sowie vor und neben der zur Filmdarbietung herabgelassenen Leinwand (Video/Film: Elisa Gómez Alvarez / Alma Frederyke Sauerbrey / Marc Trompetter aus dem Studiengang Visuelle Kommunikation).

Die letzten Momente dieses stets spannenden, ungewöhnlichen Opernabends gehören dem als Tangosänger mit abgehackten Bewegungen zu LP-Laufgeräuschen im rosa Latexfrack und als übermüdeter Barkeeper im Netzhemd gleichermaßen großartig agierenden und singenden Tenor Pascal Herington und als dem – trotz seiner drei Wünsche – das Leben schließlich unbegreiflich erscheinenden Arthur, rollendeckend gespielt und gesungen von Bariton Athanasios Pogkas.

Rundum gelungen und köstlich zu erleben ist die musikalische Seite der Aufführung: Errico Fresis lässt das groß besetzte Sinfonie-Orchester der Universität der Künste wie ein verzauberter Spielzeugkasten erklingen, stets durchsichtig und somit überaus hilfreich für die jungen Solisten und das als Chorformation agierende, elfköpfige Vokalsolistenensemble. Wie Fresis mit Martinůs Stilmixtum von Musical und großer Oper, Jazz und Modetänzen der Zwanzigerjahre umgeht, aus dem Klang von Streichern, Bigband, Banjo, Akkordeon, Saxophon und Flexaton den solistischen Flügel hervorwachsen lässt, das vermag das Bühnengeschehen zu veredeln und das Auditorium mitzureißen.

Auch am Abend der B-Premiere heftiger Jubel des Publikums für die selten zu erlebenden „Les Trois Souhaits“ – in Berlin im französischen Original und mit deutschen Übertiteln nahezu ungekürzt dargeboten: das besondere Opernerlebnis macht den Besuch zu einem Muss!

  • Weitere Aufführungen: 7., 8., 9. Juli 2014.

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