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Szenenfoto: „Die Walküre“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
Szenenfoto: „Die Walküre“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
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Film- contra Bühnenhandlung – „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

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Nach dem „Rheingold“, das in der Inszenierung von Frank Castorf in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA angesiedelt ist, springt die kontinuierliche Forterzählung der Handlung in Aleksandar Denićs Bühnenraum um ein halbes Jahrhundert zurück, nach Baku und in die Zeit der Revolution. Die Spielastik der Darsteller ist gegenüber dem Vorabend bedeutend reduziert, allerdings intensiv konterkariert durch Schwarzweißfilme. Gleichwohl kommt so die Musik stärker zu ihrem Recht – und das in der Interpretation unter Kirill Petrenko erstklassig.

Wotan hat sich mit mächtigem Rauschebart zum Potentaten im Ölgeschäft gewandelt. Eine namenlose seiner zahlreichen Geliebten beschenkt er mit Kleidern und Süßigkeiten – und prompt kommt sie im völlig faschen Moment zu ihm, als ihm gerade seine Gattin Fricka eine Standpauke hält und von ihm fordert, den Sohn Siegmund nicht mehr zu schützen. Wotan muss seinen Plan, einen freien Helden gegen sich selbst heranzuziehen, fallen lassen; Siegmund sollte Fafner, dem Wotan durch Verträge verbunden ist, selbständig töten, um so Wotan zu nützen, sich den Ring erneut verschaffen zu können.

Durch parallel ablaufende Filmhandlungen mit russischen Zwischentiteln, auf Tücher oder auf das Schrägdach der Ölförderungskathedrale projiziert, wird die Rezeption von Gedankengängen und Erzählungen der Bühnenhandlung erschwert. Wotans persönlicher Verzicht geht einher mit der (von ihm selbst geschürten) Revolution, und von einer zur nächsten Szene ist er dann kahl rasiert. Auf dem Turm des Gebäudes leuchten im Schlussakt rote Sterne, und ein großer Ölbohrhammer, der über dem Orchestergraben schwingt, führt einen roten Wimpel an der Spitze.

Ein Käfig mit zwei lebendigen Truthähnen erweist sich später als Zitat aus der Handlung eines russischen Stummfilms über die frühe Erdölgewinnung. Die letzte Szene dieses Films läuft dann parallel zu Wotans Abschied.

Der Einheitsraum ist zunächst als Hundings Behausung definiert, offenbar ist es die Leiche jener jungen Frau, die Siegmund gegen eine Zwangsvermählung schützen wollte, welche hier als Leiche auf einem Schlitten verwahrt wird; den Kopf eines Gegners hat Hunding (Kwangchul Youn) auf seinen überlangen Speer gepflanzt. Im zweiten Aufzug lässt Wotan in der großen aserbaidschanischen Werkhalle Dynamit produzieren, und auch Brünnhilde ist damit beschäftigt. Im dritten feiern die Walküren in Kostümen russischer großer Opern und Revuen (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) eine Revolutionsparty, sie geilen sich an den toten Männern der Revolution auf. Originell ist, dass die acht Schwestern eifersüchtig sind auf Brünnhilde, als Wotan bei der Strafpredigt deren Vorrangstellungsmerkmale aufzählt. Bevor Wotan einen Ölkessel abfackelt, wirbelt er das Fell eines toten russischen Bären herum, dann genießt er Kaviar und betrinkt sich maßlos mit Wodka.

Bühnenbild und eine Reihe von Aktionen sind identisch mit einer Inszenierung von Anton Tschechows „Das Duell“, welche das selbe Regieteam wenige Monate vor der „Walküre“-Premiere an der Volksbühne herausgebracht hatte – allerdings an dem von Castorf geleiteten Berliner Theater etwas kleiner in den Dimensionen als auf der Bayreuther Drehbühne.

Castorfs Entscheidung, in diesem Teil der Tetralogie Filme gegen Bühnenaktionen auszuspielen, hängt vermutlich auch mit Besetzungsfragen zusammen. Johan Botha als Siegmund ist so schwerfällig, dass er auf zu einem Sitz gestapelten Heuballen zusammenbrechen oder nur im Off zu Boden fallen kann. Aber das Publikum genießt den lyrisch vollen Schönklang seiner außergewöhnlichen Stimme.

Ganz besonders gefeiert wird Anja Kampe als jugendlich heldenhafte, wohltönende Sieglinde – wobei hier im Publikum deutlich mitschwingt, dass die Sopranistin in diesem Sommer ursprünglich als Isolde angekündigt war und dass sie – gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Kirill Petrenko – im nächsten Sommer nicht mehr in Bayreuth auftreten wird.

Catherine Foster verleiht dem „Wotans-Kind“ Brünnhilde mädchenhafte Töne und vermag die in den Folgeteilen des „Ring“-Zyklus gebotenen dramatischen Steigerungen spürbar werden zu lassen.  Claudia Mahnke als Zitat einer russischen Diva, mit Geißel und von einem Leibeigenen auf den Armen getragen, ist stimmlich Wotans adäquat ebenbürtige Partnerin. Den Potentaten gestaltet Wolfgang Koch stimmlich facettenreich und – abgesehen von einigen Textproblemen – durchaus souverän.

Mit Allison Oakes als Gerhilde und Dara Hobbs als Ortlinde gibt es zwei Neuzugänge im Walkürenensemble, in das auch die Sängerdarstellerin der Fricka, sowie aus dem „Rheingold“ die der Erda (Nadine Weissmann, hier als Schwertleite) und die Wellgunde (Julia Rutigliano, hier als Siegrune) integriert sind, außerdem sorgen Christiane Kohl (Helmwiege), Simone Schröder (Grimgerde) und Alexandra Petersamer (Roßweiße) für individualisierte Rollenprofile. Dass auch der Tankstellenwärter des Golden Motel bei der Revolution in Aserbaidschan mitmischt, verwundert allerdings.

Kirill Petrenko lässt mit dem bestens disponierten Festspielorchester die Lyrismen der Partitur aufblühen und setzt kluge Schwerpunkte mit den Naturgewalten, etwa bei der szenisch als Dynamitexplosionen umgedeuteten Gewitterszene, und mit sehr hellen Spitzen beim Feuerzauber.

Der Publikumszuspruch war bereits nach den ersten beiden Akten gewaltig und steigerte sich am Ende zu Ovationen für die Solisten und insbesondere für den Dirigenten.

  • Die nächsten Aufführungen: 10. und 22. August 2014.

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