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Arabella. Premiere 18.06.2016 // Ensemble & Chor der Oper Leipzig. Foto: © Kirsten Nijhof
Arabella. Premiere 18.06.2016 // Ensemble & Chor der Oper Leipzig. Foto: © Kirsten Nijhof
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Gefühlschaos auf leerer Bühne: Oper Leipzig beendet Spielzeit mit Strauss

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Wer Richard Wagner kann, kann auch Richard Strauss. Zumindest rein musikalisch. Nachdem die Oper Leipzig ihren ersten „Ring“ seit vierzig Jahren fertig geschmiedet hat, ist sie nun „Arabella“ angegangen. Das Gewandhausorchester unter Ulf Schirmer kann beides. Und gute Sänger haben sie auch.

„Arabella“ ist eine der wenigen Opern mit glücklichem Ausgang. Was aber nicht heißt, dass die Protagonisten einen Abend lang ohne Blessuren auskommen dürfen. Vor allem psychisch geht es reichlich schmerzhaft zu, getragen vor allem von Ängsten. Hier sind das in erster Linie Verlust-Ängste.

Graf Waldner hat fast alles was er besaß am Spieltisch verloren. So logiert er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in einem Hotel, um zumindest den Schein zu wahren, von dem er schon längst keinen Schimmer mehr hat. Gattin Adelaide musste sämtliche mit ihrem Mann verbundene Hoffnung fahren lassen, die jüngere Tochter Zdenka soll mit dem Hoffen erst gar nicht anfangen und wird als Bube Zdenko ausgegeben (zwei Mädchen zu verheiraten kann sehr teuer sein!), Arabella aber als die Ältere verliert sich zwischen dem Ende ihrer Mädchenzeit und der selbstbestimmten Suche nach richtigen Mann.

Der steht in Form von Mandryka schon vor der Tür, respektive am Fenster, ein Bildnis Arabellas hat ihn aus seinem fernen Anwesen auf dem Land in die Hauptstadt Wien gelockt. Tatsächlich finden die beiden augenblicklich zueinander, Arabella will sich nur noch rasch von ihren seit Jugendtagen so dämlich wie vergeblich hoffenden Grafen verabschieden und ihr Vater freut sich schon, bald von seinen Spielschulden befreit zu sein, da geht die Sorge um, dass alle gleich wieder alles verlieren. Die Hoffnung ebenso wie das Lebensglück. Denn es gibt ja noch Herrn Matteo in dieser raffiniert gestrickten Komödie von Hugo von Hofmannsthal, die sich Richard Strauss Ende der 1920er Jahre so gern als zweiten „Rosenkavalier“ gewünscht hatte. Es sollte seine vielleicht schönste „Operette“ werden, die just am 1. Juli 1933 in Dresden uraufgeführt worden ist. Da war bekanntlich ohnehin schon fast alles verloren.

Dieser Matteo also, obwohl Offizier, ist in tiefer Liebe zu Arabella verfallen. Zdenka, die wiederum ihn liebt (obwohl Offizier!), tröstet ihn mit vermeintlichen Briefen der Schwester, in denen er hingehalten wird, von denen Arabella aber nichts weiß. Und Matteo (weil Offizier?) kapiert nichts und glaubt die Lügengeschichte.

In nicht ganz und gar klassischer Stückentwicklung strebt „Arabella“ zielstrebig auf eine Erlösung hin, um kurz davor in einer kompletten Konfusion zu stecken. Zdenka will Matteo retten und gibt sich ihm als Arabella hin, das merkt der natürlich auch nicht (Offizier, siehe oben), aber Mandryka wittert Verdacht, stellt seine Braut kompromittierend zur Rede, vergnügt sich obszön mit der Fiaker-Milli, will abreisen ... – Chaos pur, bis Zdenko sich als Zdenka offenbart und alle allen alles verzeihen. Schließlich steht eine Doppelhochzeit an und zieht sich Graf Waldner an den Spieltisch zurück.

Treffen sich zwei Verliebte und wollen ins Grab ...

Eine realistische Oper ist das nicht. Welche Frau würde schon unmittelbar in der ersten Verliebtheit „in deinem Grab will ich mit dir begraben sein“ als Ziel sehen und singen? „Arabella“ sollte mal feministisch inszeniert werden, wer weiß, welche Abgründe und/oder Entdeckungen uns das Stück dann offenbart?

In Leipzig aber wurde dieser Strauss von Jan Schmidt-Garre auf nackter Bühne inszeniert, die erst allmählich von ratternd hineingeschobenen Zimmerelementen gefüllt wurde. Das ging zwar lautstark gegen die Musik, erschloss sich aber spätestens gegen Ende, als sich alles fügen musste, was sich fügen sollte. Also auch diese von Heike Scheele ästhetisch, aber sparsam ausgestattete Zimmerflucht.

... aber alle landen im Bett

Reduktion kann äußerst reizvoll sein, wenn sie das Publikum auf Fährten lockt, die eigene Denkräume eröffnen. Wenn aber das Gegenteil erfolgt, wirken inszenatorische Leerstellen entlarvend. Ein Beispiel: Das Bett, in dem eben noch der alles entscheidende Akt erfolgte – Matteo vorerst gerettet, Zdenka selbstlos „entehrt“, Arabella beinahe um ihren Ruf gebracht, Mandryka scheinbar betrogen –, es wäre nach heutigem Sprachgebrauch sofort zum „no go“ geworden. Stattdessen tummeln sich irgendwie alle darin, als würden Decke und Laken nicht noch atmen, was soeben dort geschah. Schlimmer noch, als die Katastrophe abgewendet und alles aufgeklärt ist, legt sich Mandryka dort erst einmal schlafen. Männer können manchmal zur falschesten Zeit müde sein! Wenn aber beim Aufwachen seine geliebte Arabella mit dem berühmten Glas Wasser vor ihm steht und ihn trotz allem zu ihrem Gebieter bestimmt, dreht sich wohl niemand zur anderen Seite und zeigt ihr den Rücken. Oder?

Dabei waren die Personen mitunter recht fein geführt. Im Spagat zwischen reichem Bauern und städtischer Noblesse genügen für Mandryka ein offener Hemdkragen und der derbe erste Kuss. Daneben aber wurden Albernheiten serviert – ein auf allen Vieren krabbelnder Graf Elemer etwa, eine schnelle Nummer von Adelaide mit Graf Dominik und im Karneval ohnehin viel Fleisch in eindeutigen Posen –; wo es um seelische Abgründe ging, ist psychologischer Tiefgang unglaubwürdig gestrandet. Da blieben die von Thomas Kaiser insgesamt sehr stimmig kostümierten zu oft sich selbst überlassen.

Was die aus Kalifornien stammende Sopranistin Betsy Horne im Titelpart und ihre ukrainische Kollegin Olena Tokar als Zdenka daraus machten, war wunderbar und hat in allen Facetten spielerisch wie sanglich überzeugt. Eine Arabella mit schlankem und dennoch sehr starkem Ausdruck, eine (auch als Bruder absolut glaubhafte) Schwester voller Nuancen in ihrer traumschönen Stimme. Auch der finnische Bassbariton Tuomas Pursio als Mandryka ging mit schönem Timbre und meist stattlichem Spiel sehr zu Herzen. Die kurzfristig aus Wien eingesprungene Daniela Fally becircte mit ihren leichthin gejodelten Fiaker-Koloraturen, der Freiburger Markus Francke sang einen grundanständigen Matteo, den er glaubwürdig darstellte. Vokal solide waren auch die Kartenaufschlägerin von Karin Lovelius und Gräfin Adelaide von Renate Behle. Jan-Hendrik Rootering als Graf Waldner hat allerdings überrascht und schien mit mattem Organ wie aus der Zeit gefallen.

Ein Fest hingegen war die üppig gezeichnete Farbgebung des Gewandhausorchesters, das unter Ulf Schirmer regelrecht aufgeblüht ist, ohne die fast durchweg sehr textverständlichen Sängerdarsteller zu brüskieren. Der Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig hat seinem Hause einen musikalisch empfehlenswerten Spielzeitabschluss gegeben. Auch der von ihm geleitete „Ring des Nibelungen“ ist hörenswert und in den aktuellen Komplettaufführungen an der Kasse sehr nachgefragt. Inszenatorisch hinterließ der jedoch auch einige Schwachstellen. Nachdem darin so viel verschenkt wurde, blieben halt auch bei „Arabella“ Wünsche offen. Bekanntlich gibt es bei Wagner und Strauss ebenso viele Vergleichsmöglichkeiten wie Unterschiede.

  • Termine: 26. Juni, 18. September, 15. Oktober und 16. Dezember 2016

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