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Vladimir Jurowski. Foto: Matthias Creutziger
Vladimir Jurowski. Foto: Matthias Creutziger
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Glückwunsch, Gohrisch! Schostakowitsch-Tage zum Sommeranfang

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Die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch sind im sechsten Jahrgang angekommen und nach wie vor weltweit die einzigen im Namen dieses Komponisten. Ein spürbar kundiges Publikum strömte in die Sächsische Schweiz und erhielt zweieinhalb Tage lang Gelegenheit zu nicht weniger als sieben Konzertveranstaltungen. Es begegnete musikalischen Raritäten und namhaften Interpreten, wurde umsorgt von charmanten Veranstaltern.

Quasi der ganze Kurort steht hinter diesem 2010 erstmals ausgetragenen Musikfest. Eine Künstlerschar war zu Gast, wie sie sonst nur in den großen Kulturmetropolen so aufeinandertrifft. Die Schostakowitsch-Tage sind der Beweis, welche Energie in Musik steckt und wie sie beflügeln kann.

Zu einem neuen musikalisch-literarischen Projekt beispielsweise: Die Schauspielerin Isabel Karajan machte darin mit einer fast unbekannten Künstlerpersönlichkeit, der vor 100 Jahren geborenen Dichterin Christine Lavant bekannt, die sich ihr Lebensleid in wutvoll ergreifender Lyrik von der Seele schrieb. In der Regie von Julian Pölsler entstanden unter der Überschrift „Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer“ ergreifende Szenen aus berührendem Spiel, packendem Text und der vom Cellisten Isang Enders betörend interpretierten Cellosonate op. 40, die Andreas Hering am Klavier begleitete. Plötzlich rückten die Schicksale von Schostakowitsch und Lavant nah aneinander – und sind dennoch nur exemplarisch.

Die Kraft der Kunst keimt oft aber auch in ganz anderen Quellen, viel gute Musik ist aus Widerstand erwachsen, aus purem Überlebenswillen. Müsste man Unterdrückern – in diesem Fall Stalin – also doch dankbar dafür sein, dass sie und ihre Vollstrecker so viel wichtige Kunst hervorgebracht haben? Würde der Menschheit ohne religiös und ideologisch doktrinierten Irrsinn möglicherweise viel gute Musik fehlen?

Zwischen angstvollem Anpassen und mitreißender Selbstbehauptung

Künstlerische Widerständigkeit hat sich ja stets und überall an den Repressalien der Obrigkeiten gerieben, um entweder daran zu scheitern oder aber um sie bloßzustellen, sie im Glücksfall zu überwinden. Drei herausragende Komponisten dieses Gohrisch-Jahrgangs standen beispielhaft dafür. Dmitri Schostakowitsch, Vsevolod Zaderatsky und Arvo Pärt. Der eine bewegte sich lebenslang auf schmalem Grat zwischen angstvollem Anpassen und mitreißender Selbstbehauptung. Der andere geriet 1917 in eine Welt, die er sich als Adelsspross und letzter Musiklehrer der Zarenfamilie kaum gewünscht haben konnte. Die neuen Machthaber hatten ihn mehrfach inhaftiert, viele seiner Werke vernichtet oder verboten, dennoch komponierte er weiter, sogar im Gulag. Wenn heute Musik von Zaderatsky erklingt, dann zumeist als Uraufführung. Und der nun bald 80jährige Arvo Pärt schließlich duckte sich als gebürtiger Este so lange in der Sowjetunion, bis er 1980 gen Westen auswandern und dort seinem orthodoxen Credo frönen konnte.

Große Namen sind auch wieder als Interpreten nach Gohrisch gekommen. Die Musik dieses Dreigestirns ist von Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle aufgeführt worden, deren Qualitäten eben auch im kammermusikalischen Bereich liegen. Ob Konzertmeister Matthias Wollong, der in Schostakowitschs G-Dur-Violinsonate sowie in einer unvollendet gebliebenen Sonate von 1945 Virtuosität und Inhaltsbewusstsein bewies, ob er mit seinen Kollegen frühe Quartettstücke vorstellte, oder ob das Orchester hintergründige Filmmusik interpretierte – stets werden da der dramaturgische Gedanke und die musikalischen Potenz klangvoll verbunden. Nicht minder gilt das für Schostakowitschs Gedichtvertonungen nach Marina Zwetajewa, die von Maria Gortsevskaja brillant umgesetzt wurden. Mit dem Dirigenten Vladimir Jurowski hat der Klangkörper einen kundigen Sachwalter, der just in Gohrisch eine vor fünf Jahren von seinem Vater Michail Jurowski begonnene Tradition ebenbürtig fortsetzt.

Zaderatskys 24 Präludien und Fugen

Die späte Uraufführung von Zaderatskys 24 Präludien und Fugen durch Jascha Nemtsov geriet zu zweieinhalb virtuosen und nachhaltig berührenden Hochleistungsstunden. Der Pianist und Musikwissenschaftler Nemtsov bekannte größten Respekt vor der Komplexität dieses vor 77 Jahren im Gulag entstandenen Zyklus‘, den er mit pianistischer Inbrunst interpretierte. Zaderatsky erwies sich hörbar als Fährmann zwischen Bach und Schostakowitsch, schuf eine Melodiefülle, in der auch jazzige Anklänge tönten. Ein Zyklus, der sich durchaus als Opus der Geschichten aus dem Lager deuten lässt. Enorm viel Sehnsucht steckt da drin, viel Trauer – aber auch Heiterkeit klingt an, Szenen des Erinnerns an bessere Zeiten, vielleicht eine Hoffnung, den Gulag vermittels Musik zu überwinden. Jascha Nemtsov erntete für seine Großleistung stehende Ovationen und kündigte baldige CD-Aufnahmen der 24 Präludien und Fugen an.

Eigens für Kompositionen von Arvo Pärt kam Countertenor Andreas Scholl nach Gohrisch und sang überwältigend schön vier Kompositionen, in denen seine Stimmlage besonders ausdrucksvoll zum Tragen kam. Zu schade, dass der Schostakowitsch-Verehrer Pärt nicht, wie angekündigt, mit dabei sein konnte. Er hätte seine Musik in würdigen Aufführungen erlebt. So auch sein wohl bekanntester Stück, „Fratres“, das hier in Originalfassung für Streicher, Bläser und Xylofon in Kammerbesetzung erklang.

Borodin-Quartett

Gekommen aber ist – und das mag selbst festspielerfahrene Konzertgänger überrascht haben – das legendäre Borodin-Quartett, gewiss ein weiterer Höhepunkt der Gohrisch-Geschichte. Das 1945 gegründete Ensemble ist von jeher eng mit Schostakowitsch und dessen Schaffen verbunden. Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, die aktuelle Besetzung dieses Quartett in die Schostakowitsch-Scheune zu holen. Nun geschah dies just zur Welttournee anläßlich des 70jährigen Bestehens. Präzise und seelenvoll wurden hier gleich drei Streichquartette von Schostakowitsch vorgetragen und ist auch Nikolai Mjaskowski als musikalischer Zeitzeuge präsentiert worden. Neben dem 3. und dem 6. Quartett führten die Borodins das 1960 in Gohrisch geschaffene 8. Streichquartett auf (das wohl meistgespielte Musikstück dieses Ensembles) und verbeugten sich so vor diesem Komponisten und dem ihm gewidmeten Festival.

Zu ihrer Gründung 2010 haben die Internationalen Schostakowitsch-Tage einen Preis ins Leben gerufen, der damals posthum an Rudolf Barschai verliehen wurde. Quasi in der Nachfolge ihres Gründungsmitglieds nahm das Borodin-Quartett nun den diesjährigen Preis entgegen. Vielleicht eine Verpflichtung zu einem erneuten Gastspiel in Gohrisch? Vom 24. bis zum 26. Juni 2016 werden die 7. Schostakowitsch-Tage stattfinden. Der Zuspruch von namhaften Mitwirkenden und internationalem Publikum ist ihnen sicher. Der von weiteren Sponsoren sollte es ebenfalls sein.

MDR Figaro sendet am 3. Juli 2015 ab 20.05 Uhr einen etwa zweieinhalbstündigen Querschnitt aus dem diesjährigen Schostakowitsch-Programm.

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