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Benno Fritz, Claudio Orlacchio, Rosa Brudek, Linda Senftleben, Andreas Rudolph. Foto: David Baltzer
Benno Fritz, Claudio Orlacchio, Rosa Brudek, Linda Senftleben, Andreas Rudolph. Foto: David Baltzer
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Grenz-Erfahrungen der „Expedition Freischütz“ auf der Bürgerbühne des Staatsschauspiels in Dresden

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Carl Maria von Weber ohne Musik? Die Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden startet ihre „Expedition Freischütz“ zumindest frei von Gesang. Ein Musiktheaterprojekt „mit Bergsteigern, Abenteurern und anderen Grenzgängern“ war da versprochen.

Angst vor der Wolfsschlucht? Mitnichten. Aber auch keine Vorfreude aufs Gruseln. Denn hier wird in aller Vorsicht eine Expedition unternommen. Annäherungen an Carl Maria von Webers „Freischütz“ hätte man das auch nennen können. Oder als Antwort auf die Frage bezeichnen, was die einzelnen Darsteller in ihrem Leben als grenzwertig empfanden. Es sollte jedoch ein Musiktheaterprojekt werden. Trotz des Versuchs, das Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ zu intonieren, eins ohne viel Musik. Verbannt unters Dach des Kleinen Hauses am Staatsschauspiel Dresden. Dort agiert das Bürgertheater, ein inzwischen sehr selbstbewusstes Laienensemble, dessen frühere Mitglieder einst das Spiel auf der großen Bühne überraschend bereicherten.

Unterdessen ist daraus eine eigenständige Kunstform geworden. Angesichts kultureller Sparprogramme an kommunalen und Staatstheatern ein ziemlicher Luxus. Verglichen mit darbenden Off-Theatern nahezu ein Schlag ins Gesicht der freien Szene.

Was aber macht die Dresdner Bürgerbühne mit ihrer kreativen Alleinstellung? Eine besondere Therapieform? Jedenfalls keine Entdeckungsreise, was Weber, was Wolfsschlucht oder was die Wesenheit öffentlich subventionierten Staatstheaters betrifft. In der Regie von Matthias Rebstock werden da Ansätze zum „Freischütz“ an- und ausprobiert, elf Darstellerinnen und Darsteller deklinieren die Hauptstränge dämonischer Grenzüberschreitungen durch, wie sie die teuflischen Freikugeln in der 1821 in Berlin uraufgeführten Romantischen Oper versinnbildlichen. Zunächst ist das eine sehr private Situation zwischen Tochter und Vater, gewollte Abgründe tun sich schon hier auf. Wieder und wieder fällt ein Porträt von der Wand, das verheißt Unglück – und richtig: Aus der biederen Wohnzimmeratmosphäre mit dem auf Tochters Hilfe und einen Rollstuhl angewiesenen Vater gebiert sich schon bald ein einziges Chaos. Wuchernde Emotionen vermengen sich mit angedeuteten und verzerrten Weber-Melodien, der Bursche Max wird gesucht und bleibt nur ein Sinnbild für Grenzerfahrung und Grenzüberschreitung.

Vermeintlich sollen die drei Aufzüge der ersten deutschen Nationaloper nacherzählt werden, doch es kommen auch die ganz persönlichen Lebenssituationen der Akteure zur Sprache. Der Rollstuhl nämlich ist kein Requisit, sondern tatsächlich eine Notwendigkeit für den einstigen Bergsteiger, der nach einem Kletterunfall auf dieses Hilfsmittel angewiesen ist. Da sind sich ursprünglicher Handlungsort und die erfahrene, ja überschrittene Grenze des Mimen plötzlich sehr nah. Auch einige weitere Akteure offenbaren sich dem Publikum teils ungeschützt und privat. Andere bringen ihre Instrumente mit, was einerseits klingender Schutzschild, andererseits noch weit privater sein kann. Klavier, Violine, Cello und Saxofon, aber auch Gießkanne, Blechkanister und Schallplattenspieler werden da eingesetzt, um kleine Collagen zu zaubern, die Weber und „Freischütz“ vermittels der Einfälle von Komponist Michael Emanuel Bauer zwar hier und da anklingen zu lassen, die neuen Konstrukte aber vor allem als Stilgrenzen aufhebende Opernfortführung deutbar machen.

Wie weit geht so eine Expedition – in die Wolfsschlucht hinein, darüber hinaus? Oder trägt jeder handelnde Mensch seine eigene Wolfsschlucht in sich? Webers Oper endet bekanntlich nicht tödlich, da der Eremit die teuflische Kugel umzulenken versteht. In der märchenhaften Vorlage zu Webers Libretto von Johann Friedrich Kind war das noch ein mörderischer Schuss.

Bei den teils frei von der Leber weg ihre Biografiedetails verratenden Mimen der Bürgerbühne taucht selten ein solcher deus ex machina auf, werden überwundene Grenzen mitunter auch erst im Rückblick als solche erkannt. Trotz einiger dramaturgisch überzeugender Einfälle und manch witziger Wendungen geht diese von töchterlichem Etüdenspiel umrahmte „Expedition Freischütz“ über das Experiment einer Etüde kaum hinaus. Mit dem Wort Musiktheaterprojekt wurde die Latte recht hoch gehängt und aufrecht unterwandert. Therapeutische und Unterhaltungswerte des kleinen und von Sabine Hilscher sehr stimmungsvoll ausgestatteten Spektakels stehen auf einem jeweils anderen Blatt.

Termine: 14., 28.4., 28.5., 6.6.2014
www.staatsschauspiel-dresden.de

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