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Foto: A.T. Schaefer
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Hollywoodeske Rollenspiele – Mozarts „Gärtnerin aus Liebe“ reist aus Augsburg direkt in die Traumfabrik von LA

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„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ fragt nicht erst ein aktueller Buchtitel: wann immer sich Egozentrismus blütenreich, eitel, dummdreist oder manisch austoben darf, finden sich Rollenspiele und Selbstinszenierung. Das war so in der Adelswelt des 18.Jahrhunderts und findet sich derzeit in der Pop-Szene – noch mehr in und um Hollywoods Traumfabriken.

Dramaturgisch sehr überzeugend gab es also im Augsburger Theater nichts von der kongenialen Szenerie der eigentlichen Wiederentdeckung des Werkes 1986: als nach wochenlangen Vorstudien in Oberitalien Karl-Ernst und Ursel Herrmann Mozarts „dramma giocoso“ im Brüssel Gérard Mortiers in eine detailreich nachgebaute „Fattoria“ voll Italianità verlegten.

In Augsburg zeigte dagegen stilgerecht und Verständnis fördernd ein Film parallel zur Ouvertüre die Vorgeschichte um die fast tödliche Attacke Graf Belfiores auf seine geliebte Gräfin Violanta: während der Fahrt im offenen Cabrio auf einem dieser endlosen US-Highways Kaliforniens geraten ein Rock-Star-Protz und das blonde Gift an seiner Seite so in Streit, dass er sie aus dem Wagen schmeißt, „tödlich?“ verletzt liegen lässt und davon braust. Als „Gärtnerin Sandrina“ versuchte dann auf der Bühne die Violanta der bildschönen Cathrin Lange eine Rolle im Hollywoodesken Leben wiederzufinden – auf dem Anwesen eines Produzenten-Podestà (indisponiert: Mathias Schulz), in luftiger Hanglage über LA, wo sich das Leben hauptsächlich am Pool und hinter angrenzenden Lamellenwänden abspielt (Bühne: David Hohman). Die keck-freche Dienerin Serpetta (kess-spritzige Töne auch auf Rollschuhen: Samantha Gaul) bezeichnete einmal alle als „Karikaturen“ – und die lieferte Regisseur Roland Schwab ohne allzu grelle Überzeichnung. Christopher Busiettas Belfiore spreizte sich als John-Travolta-Imitat mit „Pulp-Fiction“-Zügen; die neuerdings ihm zugedachte Arminda von Adréana Kraschwaski inszenierte in Designer-Schick jeden ihrer Auftritte; Diener Nardo trug neue Beach-Mode - alles inmitten von grässlichen Plastik-Pinguinen – wodurch der eher bodenständig liebende Ramiro im braunen Anzug (Kostüme: Renée Listerdal) in diesem Ambiente ersichtlich „im Abseits“ stand, trotz Stephanie Hampls schönem Hosenrollen-Mezzosopran…

In diesen „Irrungen und Wirrungen“ trafen sich Szene und Musik, denn Dirigentin Carolin Nordmeyer wählte mit den schon bei Mozart streicherbetonten Augsburger Philharmonikern straffe Tempi und schlanken Klang, in dem Hörner und Pauke deftige Kontraste setzten. Durchweg guter Mozart-Gesang, und Nordmeyer ließ die Musik „mitspielen“: als Serpetta am Bühnenrand sitzend-liegend mit den Kontrabassisten handgreiflich zu flirten begann, verirrte sich das Orchester in Dissonanzen und musste neu ansetzen. Auch Nardos mehrsprachiges Werben um Serpetta führte Mozarts „Charakter-Musiken“ markant hörbar vor: elegantes französisches Parlando, fast röhrendes Russisch (mitsamt kyrillischen Übertexten!), unverständlich flüssiges Finnisch, dann breitmäuliges Holländisch, endend in einer bekannten „Fremdsprache“ – einem derben bayerischen Fluch – Szenenbeifall.

Doch dem 18jährigen Mozart gelang mehr als nur eine albern-amüsante Liebeständelei. Für das durch Rollenspiel nur mühsam kaschierte, immer wieder aufbrechende „menschliche Elende“ in der Liebe komponierte er schon aus seelischen Tiefen herauf klingende Töne, die voraus weisen auf die Abgründe der reifen Werke, bis hin zu Paminas Klage um Liebesglück „Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden…“ – dafür fanden Regie und Szene keine entsprechenden Bilder – nur in Cathrin Langes schlankem Glocken-Sopran waren da zutreffende Schatten zu hören, einfühlsam begleitet von Carolin Nordmeyer. Amüsiertes Erstaunen im Publikum und einhelliger Beifall.

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