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Finales Grusel-Desaster: Henzes „Elegie für junge Liebende“ in Essen. Foto:Kathrin Holighaus
Finales Grusel-Desaster: Henzes „Elegie für junge Liebende“ in Essen. Foto:Kathrin Holighaus
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Holzhammer unterm Hammerhorn: Henzes „Elegie für junge Liebende“ in Essen

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„Immer wieder einmal“, hatten sich Henze und seine Librettisten Wystan Auden und Chester Kallman vorgestellt, sollte einem in diesem Stück „das Lachen vergehen“. Karoline Gruber, mit der Erstaufführung von Henzes Psychodrama am Essener Aalto-Theater betraut, lässt dieses Lachen erst ganz am Ende vergehen. Dann aber gründlich. Ein dem Wahnsinn naher Gregor Mittenzauber drückt sich ein Riesenei an die Brust – wie weiland der Große Diktator, alias Charles Chaplin, die Erdkugel. Vom Schnürboden baumeln Leichen. Düster irrlichtert es aus dem Orchestergraben. Kehraus im Berggasthof zum Schwarzen Adler.

Auf einmal fängt im Parkett ein kleines Kind an zu weinen. „Zu gruselig!“ flüstern die Sitznachbarn. Stimmt. Immerhin: Zwei lange Elegie-Akte lang hatte die Kleine in den Armen ihres wohlmeinenden Papas durchgehalten; hatte den wotanesk-grotesken Dichterfürsten im Pfauenmantel (Claudio Otelli), seine ihm verfallene Assistentin Gräfin von Kirchstetten im SM-Outfit (Ildiko Szönyi) genauso ertragen wie den kriecherischen Leibarzt Dr. Wilhelm Reischmann (Michael Haag) im Trachtenjanker samt rasiertem Himmlerschädel. Alles kein Problem. Schließlich hatte Karoline Gruber beim Plündern der Theaterkiste mit der Aufschrift „Vorsicht! Ironisierungsmittel!“ auch die lustigen Ingredienzen mitausgepackt. Als hätte sie ihre erste Essener Regiearbeit explizit für Herrn und Frau Kannitverstan angelegt, bekommt der tot geglaubte Bräutigam, der nach vierzig Jahren im Eis auf einmal wieder auftaucht, Engelsflügelchen auf den Rücken geschnallt. Und damit wir nur nicht glauben, es würde etwas werden mit dem Glück des jungen Toni Reischmann (Andreas Hermann) und der abtrünnigen Mittenzauber-Geliebten Elisabeth Zimmer (Francisca Devos) dürfen vom Schnürboden die Schmetterlinge herabschweben.

Alle kleinen und großen Kinder im Aalto ahnen es – solches geht sich schlecht aus. Noch einmal schwingt der Grubersche Holzhammer. Gleich unterm Hammerhorn hat sie sich von Roy Spahn ein Kuckuckshäuschen hinstellen lassen. Das Türchen geht auf und im Robotergang spaziert ein Botschaften verkündender Bergwart heraus. Entsprechend das ganze Einheitstableau: Almhüttenkitsch, ein quer über die Bühne gehängter Baumstamm, vertikal dazu ein weißes Riesenrechteck mit poetisch-apotheotischem Bildschmuck, gedacht freilich vor allem als (mittlerweile ubiquitär-unverzichtbare) Video-Projektionsfläche für (in diesem Fall) die Visionen der Hilda Mack (Astrid Kropp-Menéndez), die im Brautkleid auf dem Laubbett liegend, seit Jahr und Tag auf die Rückkehr ihres verschollenen Ehemannes wartet.

In ihrer Suche nach dem Positiven in dieser bitter-beißenden Satire ohne Happy End ist Karoline Gruber bei eben jener „verrückten Ollen“ (Henze) fündig geworden, deren Gesichte Meisterdenker Mittenzauber verwertet und in preisgekrönte Dichtungen ummünzt. Der Versuchung, daraus eine Konstellation aus männlichem Täter und weiblichem Opfer aufzubauen, ist Gruber erlegen. Unterschlagen beispielsweise, dass sich die hehre Seherin dem Suff ergeben hat. Henze, heterosexueller Geschlechterspannung bekanntlich auch auf der Bühne abhold, hat mit seinem überaus erfolgreichen, 1961 in Schwetzingen uraufgeführten Dreiakter ein Stück radikaler Desillusionierung geschrieben. Auch wenn es von ihm und seinen Librettisten keineswegs als politisches Musiktheater geplant war – im Restaurativen der Adenauerära, in der die Nazis und die Mitläufer jedweden Grades wieder Boden unter den Füßen hatten, war die Demontage eines Potentaten, „der seiner Muse Menschopfer bringt“ (Henze) von nicht unbeträchtlichem Störpotential. Verleger, Produzenten, Festivaldirektoren wahrten Abstand, verhehlten ihr Missfallen keineswegs.

Die Aalto-Produzenten haben sich bei einem Herzstück des ausgerufenen „Ruhr.2010“-Henze-Projektjahrs für den konfliktfreien Gestus des Es-war-einmal entschieden. So braucht sich immerhin niemand die Frage vorzulegen, wo die Mittenhofers dieser Welt heute anzutreffen sind. Vom Tisch damit, dank einer Überdosis Klamotte, Klamauk und finalem Grusel-Desaster, die Brisanz eines verstörenden Schlüsselwerks eines einst Jungen Wilden, der in seiner (ursprünglich auf ein englisches Libretto komponierten) Elegy nicht zu unrecht einen „tiefen Ernst“ herausgehört hat. Dass die Essener Produktion einen enttäuschenden Eindruck hinterlässt, ist jedenfalls nicht den Darstellern geschuldet. Im Gegenteil. Das Sängerensemble agierte ebenso auf hohem Niveau wie die von Noam Zur geschmeidig-präzise geführten Essener Philharmoniker. Beide leistet man sich – warum dann nicht auch eine Oper, die mehr sein will als Kino?
 

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