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Das Rheingold – Immer noch Loge. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Das Rheingold – Immer noch Loge. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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„Immer noch Loge“ – Gordon Kampes Oper in Bayreuth uraufgeführt

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In der Vorbereitung des für das Vorjahr geplanten, dann aber auf den kommenden Sommer verschobenen Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ haben die Bayreuther Festspiele, um in diesem Jahr nicht ganz auf Wagners Hauptwerk zu verzichten, „Ring 20.21“ ins Programm genommen. Nicht am Vorabend, sondern am Vormittag des Ersten Tages des Bühnenfestspiels, vor der „Walküre“ erfolgte musiktheatrale Auftragswerk, Gordon Kampes „Das Rheingold – Immer noch Loge“, mit drei Gesangssolisten, Klappmaulpuppen und einem Instrumentalensemble am und im Teich unterhalb des Festspielhauses.

Dieses neue „Rheingold“ dauert nicht zweieinhalb Stunden, es kommt auch nicht im Festspielhaus zur Aufführung, sondern in dem hierfür ringsum abgeschirmten Festspielpark. Dorthin war es ursprünglich verlagert worden, um den COVID-19 Restriktionen Parole zu bieten; doch nun nur je 200 Besucher die Aufführungen besuchen, auf Einzelstühlen mit Sicherheitsabständen und mit FFP2-Masken im Freien.

Die Mannschaft der beteiligten Darsteller*innen ist reduziert auf Erda, die drei Rheintöchter und Loge. Um die halbe Breite des Teiches im Park sind einzelne Stühle aufgestellt, am Ende des Teiches ist zur Stadtseite hin eine kleine Tribüne für die beteiligten sieben Musiker des Festspielorchesters errichtet, auf der rechten Seite ragt eine mächtige Lautsprecher-Batterie zur Übertragung der Instrumente, der Elektronik und der mikroportverstärkten Stimmen. Von der linken Seite führt ein langer, schräger Steg in den seerosenbedeckten Teich, am oberen Ende ist er mit einem schwarzen Portal abgeschlossen und am unteren Ende ruht ein mit weißer Wagner-Fahne bedeckter Sarg (Ausstattung: Julius Theodor Semmelmann).

Das Publikum wird bei dieser Aufführung, für die es keine Regen-Variante gibt, von der Sonne geblendet – so, wie dies im griechischen Festspiel, der Urzelle des europäischen Theaters bereits der Fall war, wo das Publikum gegen die Sonne zur Skenae sehen musste, wo die Protagonisten, insbesondere auf der Ebene des Theologeion, durch die sie umstrahlende Sonne eine göttliche Aura erhielten.

Wie Richard Wagners Vorlage-Komposition, so beginnt auch die neue „Rheingold“-Komposition auf ein Libretto von Paulus Hochgatterer mit einem langen, zunächst elektronischen Es, aus dem sich dann die solistischen Instrumente Violoncello, Kontrabass, Klarinette/Bassklarinette, Horn, Trompete, Posaune und Schlagzeug herausschälen. In der neuen Handlung geht es um die Frage, was nach dem Ende der „Götterdämmerung“ passiert. Dies deutet der niederösterreichische Dramatiker so, dass nur Erda, Loge und drei Rheintöchter überlebt haben. Deren Reflexionen über die Ereignisse des Weltendes kulminieren darin, dass sie über den gefangenen Brandstifter Loge zu Gericht sitzen. Gemäß den Anweisungen des Librettisten soll ihm am Ende ein Fisch in den Mund gesteckt und der ihn umhüllende Sprengstoffgürtel entflammt werden.

In der Regie des Puppenkünstlers von Nikolaus Habjan ist jedoch alles etwas anders: Zwei Sängerinnen und ein Bariton stehen zunächst am Uferrand und singen von Notenpulten, während eine große Erda-Puppe im Rollstuhl den Steg hinunter- und wieder hinaufgleitet, mit exakten Mundbewegungen zum Gesang der Altistin Stephanie Houtzeel. Auf diese Weise entsteht eine ähnliche Situation, wie sie in diesem Jahr auf der Bühne des Festspielhauses, mit der stumm agierenden Chor-Hälfte zur elektronisch zugespielten anderen Hälfte des Chores zu erleben ist.

Aus Nebelkanonen dampft es über dem Wasser, zwei Puppenspielerinnen als Rheintöchter tauchen mit übergroßen Masken und einer dritten, kompletten Puppe mit Fischschwanz aus dem Wasser auf. Sie werfen mit Algen und künstlichen Fischen um sich.

Unter der musikalischen Leitung des Komponisten, der sein Opus, vor dem Publikum am Ufer sitzend, präzise leitet, plätschert die tonale Musik mit einigen wenigen Höhepunkten der Altpartie, einem seltsamen Rheintöchter-Trio (Sopranistin Daniela Köhler und Bariton Günter Haumer neben Stephanie Houtzeel), inklusive einiger wenigen Wagner-Zitate, inklusive des Walhall-Themas, dahin.

Der Komponist selbst umreißt sein Werk so: „Die Musik folgt dabei zum einen der Idee einer Gerichtsverhandlung: Ritualisierte Momente, plötzliche Einsprüche und ariose Plädoyers prägen weite Teile des Geschehens. Zum anderen gibt es immer wieder wilde Ausbrüche, treibende Pulse und falsche musikalische Fährten – aus dem Rauch der Arie kann sich ein etwas erheben, das fast ein naives Volkslied sein könnte, gefolgt von einem trockenen Song, in dem Loge den Neid der Beteiligten beklagt – und diese Akkorde hier und da, ob sie sich aus Wagners Rheingold herüberretten konnten? Wem ist zu trauen in diesen albtraumhaften Trümmern? Der Musik sicher nicht.“

Kampes straussische Kantilenen werden in der Inszenierung von Nikolaus Habjan durch große Gesten übersetzt, die singende Darstellerin, aus ihrer konzertanten Position erlöst, schwingt beim Monolog über das Brennen szenisch mit zwei Ästen einer Trauerweide. Dann steigt die Solistin, im schwarzen Kleid und mit Perlenkette, auch ins Wasser und spielt mit der dritten Rheintochter.

Die Frage „Was bleibt von den Göttern? – Asche!“ wird mit Paraffin-Wolken unterstützt, während die Rheintöchter die Reste der handelnden Personen der „Ring“-Handlung in Gläser füllen. Schließlich steigt auch Günter Haumer als baritonaler Loge, der in dieser Inszenierung nicht gefesselt ist, ins Wasser, singend bewegt er neben sich den Kopf seines Puppen-Doubles.

Überraschend sind eher die ungewollten Elemente der Aufführung, etwa wenn bei der Diskussion der Freitags-Philosophie, welche die Figuren hinsichtlich des Gerichtstages betreiben, plötzlich ein Wasservogel aufschreckt. Bisweilen werden Originaltexte Loges aus dem „Rheingold“ zitiert und anderen Stimmen in den Mund gelegt, wobei dann Text-Fehler der Sängerinnen (konsequent „hab ich gehört“ statt „hab‘ ich gelobt“) umso gravierender auffallen. Loge, hier ein notorischer Raucher, deckt den gläsernen Sarg wieder zu und bedeckt mit der Wagner-Fahne auch die Puppe der Erda, welche er abschließend auf das verhüllte Haupt küsst.

Mit viel Paraffin-Nebel über dem Teich endet diese gut einstündige „Rheingold“- Version, damit um gut die Hälfte kürzer als Richard Wagners Original, ohne welches das neue Opus nicht denkbar wäre. Ob es eine Bühne nachzuspielen bereit ist, muss sich noch zeigen. Aber gleichwohl intendiert die Spielvorlage auch durchaus andere Realisierungsmöglichkeiten als sie hier gewählt wurden. Freundlicher Applaus des Publikums dankt allen Beteiligten.

  • Die nächsten Aufführungen: 3. und 19. August 2021.

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