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„Alcina“ an der Rheinoper Düsseldorf. Foto: Jochen Quast.
„Alcina“ an der Rheinoper Düsseldorf. Foto: Jochen Quast.
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Kaleidoskopartig schillerndes Tableau – Händels „Alcina“ in Düsseldorf

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Barockoper mit dem hauseigenen Orchester auf modernen Instrumenten? So wie jüngst im Essener Aalto-Theater bei Scarlattis „Kain und Abel oder Der erste Mord“? Oder doch mit einem Spezialensemble als Gast, das auf historischem Instrumentarium spielt? Für letztere Version hat sich die Düsseldorfer Rheinoper entschieden, um Georg Friedrich Händels „Alcina“ aus dem Jahr 1735 umzusetzen. Mit Erfolg, wie sich am Premierenabend zeigte.

Keine Frage, der „Neuen Düsseldorfer Hofmusik“ muss man nicht mehr beibringen, wie „historische Aufführungspraxis“ geht. Das Ensemble hat sich im Rheinland und weit darüber hinaus längst einen Namen gemacht und seine stilistische Kompetenz in Sachen Barockmusik unterstrichen. Mit einem Monteverdi-Zyklus am Düsseldorfer Opernhaus beispielsweise, gefolgt von einer Reihe mit Rameau-Opern und zuletzt mit Händels „Xerxes“. Insofern war es zu erwarten, dass auch die jüngste Produktion bei den „Hofmusikern“ in besten Händen war. Dirigent Axel Kober, Generalmusikdirektor des Hauses am Rhein, organisierte die rhythmisch mitunter diffizile Partitur mit großer Präzision – für transparenten, federnden Klang sorgten die erfahrenen Streicher und Bläser samt umfangreicher Continuo-Gruppe im besten Sinne routiniert. Heraus kam ein kaleidoskopartig schillerndes Tableau an Farben, in dem sich Holz und Streicher schön mischten, in das sich Naturhörner ebenso wie Blockflöten als i-Tüpfelchen einfügten. Für das Solistenensemble auf der Bühne also das perfekte Fundament für eine „Zauberoper“, als die „Alcina“ ja gemeinhin gilt.

Das „Zauberreich“ der Alcina – das verlegt Regisseurin Lotte de Beer auf den ersten Blick, wenn sich der Vorhang hebt, in eine Art Club, wie man ihn sich in einem mondänen Urlaubsresort für gutbetuchte Gäste gut vorstellen kann: viele florale Elemente, die Ambiente schaffen, eine Pool-Bar, ein kleiner Teich, komfortable Liegen zum Entspannen und ein etwas futuristisch anmutender Kamin. Hier ließe es sich gut leben! Doch für Entspannung bleibt leider nicht viel Zeit, weder für Club-Chefin Alcina noch für ihre Gäste. Denn zumindest einer von ihnen, Ruggiero, ist unfreiwillig hier. Meinen jedenfalls dessen Verlobte Bradamante und ihr Begleiter Melisso. Auf der Suche nach Ruggiero sind die beiden hier auf dieses Urlaubsrefugium gestoßen. Und jetzt beginnt an diesem Ort jenes komplizierte Spiel, das vom Rollentausch der Geschlechter lebt, von Eifersucht und verratener wie neu entfachter Liebe, auch von Herrschaft und Macht. Und am Ende kommt eigentlich fast jeder der Beteiligten nur beschädigt aus der Geschichte heraus. Mit dem Zauberreich jedenfalls, in dem jede und jeder nach Alcinas Pfeife tanzt und im schlimmsten Fall in Tier oder Pflanze verwandelt wird, ist es gründlich vorbei.

Lotte de Beer setzt – obgleich die von Christof Hetzer entwickelte Bühne dies durchaus gestatten würde – nicht in erster Linie auf äußere Effekte oder übermäßige optische Reize. Ihr geht es um die Psychologie der Akteure, wie sie geradezu genial in Händels so sprechender, ausdrucksvoller Musik im Keim schon angelegt ist. So intensiv, dass man sich beinahe fragen könnte, ob die szenische Umsetzung in dieser Düsseldorfer Produktion nicht ein klein wenig hinter der Musik zurückbleibt. Oder anders: ob es nicht stärkerer Bilder bedurft hätte. Oft bleiben die handelnden Personen in voraussehbarem Aktionismus stecken, der zwar punktuell überzeugt, aber keine über drei Stunden hinwegtragende Geschichte glaubhaft erzählt.

Sängerisch allerdings kann die Rheinoper mit ihrem Bühnenpersonal punkten. Mit Jacquelyn Wagner in der Titelrolle etwa. Eingangs ihrer Macht bewusst, am Ende („Mi restano le lagrime“) am Boden zerstört, trägt sie ihre innersten Gefühle anrührend nach außen. Shira Patchornik (kurzfristig eingesprungen für die erkrankte Elena Sancho Pereg) gibt die anfangs etwas brachial, im Verlauf der Handlung dann gern mal kokett und kraftvoll sich Gehör verschaffende Morgana (Alcinas Schwester). Die Rolle der Bradamante füllt Wallis Giunta mit ihrem perfekten und koloraturensicheren Mezzo ausgezeichnet aus – eine durch und durch glaubwürdige Figurenzeichnung. Das gilt in noch höherem Maß für Maria Kataeva: Als Ruggiero changiert die russische Mezzosopranistin zwischen entschlossener Parteinahme für Alcina, der er verfallen ist und dann maßlose Wut entwickelt, als Alcina sich ihm zu entledigen trachtet – bis hin zu tiefster Traurigkeit, wenn es gilt, sich vom schönen Schein der „Zauberwelt“ zu verabschieden („Verdi prati, selve amene“). Das sind großartige musikalische Augenblicke! Auf ähnlich hohem Niveau agieren Beniamin Pop als Bradamantes Begleiter Melisso und Andrés Sulbarán als Oronte, der sich in Morgana verguckt hat. Kindlich-naiv, wie man ihn sich vorstellt, schlüpft Maria Carla Pino Cury in die Rolle des Oberto, der in Alcinas Urlaubsresort nach dem Vater sucht.

Am Ende stellt sich dieses Fazit ein: musikalisch kann Düsseldorfs „Alcina“ punkten, vor allem auch emotional tief bewegen. Szenisch entwickelt die Inszenierung durchaus Turbulenzen, die man indes teilnahmslos zur Kenntnis nimmt. Gleichwohl: Riesenapplaus nach der Premiere für alle Beteiligten.


  • Weitere Termine: 19., 22., 26. und 28. 2.; 1. 3. 2020 (zum letzten Mal in dieser Spielzeit)
  • https://operamrhein.de/

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