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Sylvia Schwartz als zur Nonne konvertierte Bellezza. Foto: Hermann und Clärchen Baus
Sylvia Schwartz als zur Nonne konvertierte Bellezza. Foto: Hermann und Clärchen Baus
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Karneval und Katholizismus: Händels Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ szenisch an der Berliner Staatsoper im Schillertheater

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Nun hat die Stagionewelle Berlins Staatsoper unter den Linden im Schillertheater vollends erfasst. In weniger als einem halben Monat wird eine Inszenierung abgespult, die vor neun Jahren, im Januar 2003, am Opernhaus Zürich Premiere hatte und danach auch in Madrid auf dem Spielplan stand. Neuestes Ergebnis einer recht beliebigen Premieren-Abfolge der beiden Berliner Opernhäuser an der Bismarckstraße, wo in dieser Saison berühmte Opern gerne konzertant, Oratorien hingegen szenisch produziert werden und eine Spielplan-Rarität gleich doppelt auf dem Programm steht, ist im Schillertheater Georg Friedrich Händels erstes Oratorium in einer inzwischen legendär triumphalen Inszenierung des Hausherr Jürgen Flimm aus dem Jahre 2003, getreu dem Kölner Erfolgsrezept Karneval – Katholizismus – Klüngel.

Das Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ des 22-jährigen Georg Friedrich Händel erwies sich bei der Uraufführung als ein Erfolg, den der Komponist noch zweimal in abgeänderter Form aufgegriffen hat. In einer zweiten Fassung, im Jahre 1737 für London, ebenfalls in italienischer Sprache, fügte er Chöre ein und machte dann einen erweiterter Neuaufguss seines Erstlingswerks als „The Triumph of Time and Truth“ zum Schlusspunkt seines Schaffens.

In der Urfassung aus dem Jahre 1707 haben vier Solisten als Allegorien von Schönheit, Vergnügen, Zeit und Enttäuschung den zweigeteilten Abend allein zu bewältigen. Arg bemüht kreist das Libretto des Kardinals Benedetto Pamphilj um die durch Zeit und Enttäuschung forcierte, endgültige Absage der Schönheit an das weltliche Leben in Form einer finalen Entscheidung zum Rückzug in ein Kloster und die Hinwendung zu Gott.

Der spätere Musikdramatiker komponierte diese sich zum Nullpunkt bewegende Handlung zu einer Zeit, als in Rom die Gattung Oper per Dekret verboten war. Allerdings schenkte er seine schönste Musik dann doch der Gesangspartie des Vergnügens, Piacere.

Die Staatsoper Berlin wartet – gegenüber den Aufführungen dieser Flimm-Inszenierung in Zürich und Madrid – mit einer völlig neuen Solistenbesetzung auf, – und selbstredend sind auch die TänzerInnen (Choreographie: Catharina Lühr), sowie Scharen von Komparsen aller Altersklassen für Berlin neu besetzt.

Erich Wonders luxuriöser, blattgoldiger Barraum mit einer 40 Meter langen, geschwungenen Theke, hat nur wenig von seinem lichtintensiven Glamour verloren.
Die Theke wird von drei Models auch als Laufsteg für eine Modenschau genutzt.
Denn die Handlung ist ins 20. Jahrhundert verlegt. Aber wenn der nur durch seine Allongeperücke als Händel erkenntliche Kleindarsteller, an einer Orgelattrappe spielend, hereingefahren wird, dann beteiligen sich auch die Protagonisten am Mummenschanz, kostümieren sich kurzzeitig ebenfalls im Stil der Zeit des Komponisten. Üppig und zum Teil originell sind die Kostüme von Florence von Gerkan, die – wie auch die Dekorationen – in Zürich gefertigt wurden und sich offenbar gut gehalten haben.

Nach der Pause, als bereits die ersten Besucher gegangen sind, bringt der zweite Teil eine Verdichtung der vordem arg beliebigen Bebilderung und des karnevalesken Treibens, für dessen Personenführung neben dem Hausherrn auch Gudrun Hartmann verantwortlich zeichnet.

Tempo, die Personifizierung der Zeit, überprüft auf der Vorbühne selbige mit seiner Taschenuhr und verweist Bellezza auf das Spiel des Theaters hinter der durchsichtigen Courtine. Im anschließenden Tanz berühren sich die Handflächen von Bellezza und Piacere nur durch den Gazeschleier. Ein reizvoller Effekt, der aber verpufft, wenn sich der Zwischenvorhang hebt.  

Immer neue Masken betreten die Luxusbar, darunter drei Adlerköpfe und tanzende, weibliche Ministranten (die zuvor als Kinderstars Händel pantomimisch auf Flöten begleitet hatten). Eine Gruppe von Männern wird mit einer Schneewolke hereingeweht. Und wenn vom Steuermann gesungen wird, nehmen sich zwei tanzende Matrosen eine gemeinsame Braut. Disinganno, die personifizierte Ent-Täuschung, legt ihren dunklen Haarschopf ab und singt fortan mit Vollglatze. Und Bellezza, ihrer Luxuskleider ledig, schminkt sich ab, während die Kellner zur Sperrstunde chorisch akzentuiert die weißen Tischtücher zu Boden werfen.

Zur Nonne eingekleidet, wird Bellezzas einsamer Schlussgesang zur nachträglich vollzogenen Vorstufe aller berühmten Bühnen-Nonnen, von Megildis in Reinhardt-Vollmoeller-Humperdincks „Mirakel“ (das vor exakt 100 Jahren seine Uraufführung erlebt hat), über Puccinis „Suor Angelica“ bis hin zu Hindemiths „Sancta Susanna“. Nur dass der Schluss bei Händel musikalisch ätherisiert wird: Regisseur Flimm lässt die Nonne, die sich schließlich für eine Gemeinschaft von „Ungeheuern“ im Kloster entscheidet, flach auf dem Boden enden – in Kreuzform.

Mit ihrer wesenlosen Stimme, erscheint die junge, schlanke Sopranistin Sylvia Schwartz eine rollendeckende Verkörperung der Bellezza, sie vermag jedoch erst am Ende, mit linearen Piani, stimmlich voll zu überzeugen. Mit dunklerem Timbre erweist sich die lettische Sopranistin Inga Kalna in der Partie der Piacere als enorm steigerungsfähig und erntet die Ovationen für Händels wohl schönste Komposition. Wendiger im Spiel als in seiner Stimmführung, gleichwohl souverän in seiner Gestaltung, ist der amerikanische Bariton Charles Workman als Tempo. Makellos verkörpert die französische Altistin Delphine Galou die Partie des Disinganno.

Die nachgebaut alten Instrumente von Les Musiciens du Louvre Grenoble verhießen in der Ouvertüre wenig Gutes, so schlecht aufeinander abgestimmt klangen die diffizilen Läufe der Streicher, aber dies änderte sich im Laufe des Abends, kulminierend in reinem Wohlklang, den Marc Minkowski am Ende nicht mehr dirigiert, sondern nur frei schweben lässt.

Der Dirigent versteht es, Glanzlichter in die oft gleichförmig dahin fließenden Arien zu setzen. Die sonst oft lähmenden Dacapo-Teile der Gesänge erhalten beim wiederholten Erklingen häufig anderen Ausdruck; so etwa beim Duetto Nr. 28, wo der Dacapo-Teil als ein geradezu unwirkliches Echo ertönt. Die wenigen Momente dieses Oratoriums, in denen sich der Sologesang zu Duett, Terzett oder gar Quartett steigert, sind als echte Höhepunkte mit Opernformat ungewöhnlich herausgearbeitet.

Hatte Marc Minkowski Zwischenapplaus während der Aufführung zumeist gestisch oder durch sofortiges Anknüpfen der nächsten Nummer unterbunden (was jedoch eine Claque für die Sopranistin nicht störte), so genoss er merklich die gesteigert heftige Publikumsgunst am Ende. In den emphatischen Schlussapplaus mischten sich wenige Buhrufe, als Regisseur Flimm mit seinen szenischen Mitstreiterinnen auftrat.

Weitere Aufführungen: 18., 21., 24., 27., 29. Januar 2012

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