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Bachfest Leipzig 2016: William Christie und Les Arts Florissants musizieren in der Thomaskirche zu Leipzig. Foto: © Bachfest Leipzig/Gert Mothes
Bachfest Leipzig 2016: William Christie und Les Arts Florissants musizieren in der Thomaskirche zu Leipzig. Foto: © Bachfest Leipzig/Gert Mothes
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Leipziger Bachfest 2016 – Versuch eines Rundblicks

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Nach 112 Veranstaltungen endete am 19. Juni 2016 das Leipziger Bachfest 2016 mit dem traditionellen Schlusspunkt der „Messe in h-Moll“ in der Thomaskirche. Die ganze Stadt ist Austragungsort dieser kulturellen und prestigesteigernden Leistungsschau.

In Vorfreude auf die dadurch noch bessere Frequenz setzte die Oper Leipzig ihre Strauss-Premiere „Arabella“ auf den vorletzten Tag des Bachfestes, das anlässlich des 100. Todestages des ebenfalls mit Leipzig stark verflochtenen Max Reger einen weiteren spannenden Schwerpunkt verdichtete.

„Geheimnisse der Harmonie“ verhieß das diesjährige Bachfest, das den ersten Kantatenjahrgang des Thomaskantors 1723/24 als Zentrum feierte. Allein am von den Veranstaltern zum „Kantatentag“ ausgerufenen 18. Juni 2016 erklangen zehn. Auch der Vergleich unterschiedlicher Versionen umfangreicher Bach-Werke waren ein Fokus: Im Gewandhaus die „Matthäuspassion“ in der Originalfassung und in der Bearbeitung Mendelssohn-Bartholdys, die die romantische Bach-Rezeption begründete. Die „Markuspassion“ kam in einer Version für Hör-Geschädigte zur Aufführung und der Leipziger Komponist Steffen Schleiermacher setzte seine Neu-Kompositionen um deren erhaltene Teile. Neben Reger sollte auch Feruccio Busoni anlässlich seines 150. Geburtstages gewürdigt werden.

Als beeindruckend erwies sich ein weiteres Mal die Bemühung, mit einer Bühne auf dem Markt und einem Wandelkonzert der Initiative „Leipziger Notenspur“ am 19. Juni die Stadtgesellschaft teilhaben zu lassen. Verblüffend ist die Kreativität der Veranstalter im Erschließen aller geeigneten Orte des öffentlichen Raums bis zum Krystallpalast Varieté.

Und es sticht neben der Bemühung um Kollekten an den originären Hauptschauplätzen Thomas- und Nikolaikirche allerorten ein gehoben merkantiles Gebaren ins Auge: Christies wirbt mit Auktionen von Autographen. Das Bach-Archiv setzt einen großen Spendenaufruf in Szene, um die Partitur der Kantate „Oh Ewigkeit, du Donnerwort“ op. 20 bis zum Ende des Jahres 2016 von der Paul Sacher Stiftung, Basel, für 1,98 Millionen Euro zu erwerben (die Verwechslung von BWV 20 zum ersten Sonntag nach Trinitatis mit der am 18. Juni durch das Balthasar-Neumann-Ensemble aufgeführten gleichnamigen Kantate BWV 60 zum 24. Sonntag nach Trinitatis war nicht nur in dadurch belebten Pausenkonversationen vorprogrammiert). In einer achtseitigen schriftlichen Befragung erbaten die Veranstalter neben Angaben zum Einkommen der Besucher auch um eine Schätzung der durchschnittlichen Ausgaben pro Person und Tag während des Leipzig-Besuchs.

Eine unschön absackende Haupt- und Staatsaktion war im Umfeld die Absage von Riccardo Chailly zu Mahlers dritter Sinfonie im Gewandhaus unmittelbar nach von ihm geleiteten Open-Air-Konzerten an seiner neuen Wirkungsstätte Mailand. So kam es, dass der zukünftig strahlende Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons den nach elf Jahren blässlich scheidenden vertreten durfte. Chailly dankte in einem Brief dem Gewandhausorchester für die künstlerische Zusammenarbeit und entschuldigte sich in einem Anruf bei der Leipziger Volkszeitung für die Absage wegen Krankheit. So wird der Mahler-Zyklus des Gewandhauses auf DVD zum „Unvollendeten“. Chaillys ersatzlos ausgefallenes Abschiedskonzert bescherte dem ohnehin bestens gebuchten Bachfest-Finale mit William Christie und Les Arts Florissants zur „h-Moll-Messe“ noch mehr Besucher.

Ein umjubeltes und lebhaft bedanktes Glanzlicht setzte die Geigerin Anne-Sophie Mutter, als sie mit ihrem langjährigen Pianisten Lambert Orkis und dafür engagiert eingetretenen jungen Gewandhaus-Musikern extra nach Leipzig kam und in der Moritzbastei konzertierte. Den Gewinn aus dem Barbetrieb, die kompletten Einnahmen für Eintrittskarten zum Veranstaltungsort und Beträge aus freiwilligen Spenden – alle zusammen auf einen Schlag über 14.000 Euro – gingen an die rein ehrenamtlichen und nur aus Spendengeldern ermöglichten Bildungsinitiativen des Leipziger Flüchtlingsrats.

Das Veranstaltungsangebot des Bachfestes offenbart wie gehabt die Eindruck heischende Überfülle prominenter Künstler und eine bewährt hochkarätige Auswahl internationaler Spitzenensembles, für die kein Wort der Anerkennung hoch genug sei. Die Auswahl von Höhepunkten kann da nur subjektiv sein.

Von besonderer Bedeutung scheint die bereits mit dem Leipziger „Reger Jahr 2016“ begonnene Gegenüberstellung von Bach und Reger in den Orgel-Konzerten zu Pfingsten und bei einem Konzert des Thomanerchors, das neben Regers „Requiem“ auch die Einrichtung der Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ BWV 21 in der Einrichtung des Bach-Herausgebers Robert Franz (1815-1892) vorstellte. Dirigent war der kurz davor ins Amt gekürte Thomaskantor Gotthold Schwarz. Die Ausstellung  „Alles, alles verdanke ich Joh. Seb. Bach! – Bach und Reger“ ist noch bis 23. Oktober im Bachmuseum Leipzig zu sehen.

Neben der um den Kantaten-Zyklus 1723/24 gerankten Konzertreihe waren die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und der RIAS Kammerchor unter Sir Roger Norrington ein Höhepunkt, die in der Gegenüberstellung mit Haydns „Harmoniemesse“ den Akzent auf Bach aus der Perspektive eines spätfeudalen Welttheaters setzten, ähnlich wie auch William Christie mit Les Arts Florissants mit der „h-Moll-Messe“.

Die Vielfalt heutiger Bach-Interpretationen auf Spitzenniveau wirkt begeisternd. Es bleibt also naheliegend, dem Bachfest Leipzig in der Bemühung um kulturelle Markenidentität wie auch den Wagner-Großveranstaltungen der Oper Leipzig Gewicht und Zukunft zu prognostizieren. Eingedenk auch der Alternativen: Noch vor dem nächsten Bachfest vom 9. bis zum 18. Juni 2017 in der Bach-, Wagner- und (neuen) Richard-Strauss-Stadt Leipzig legt die Wagner- und (tradierte) Richard-Strauss-Stadt Dresden im Parallelschritt ein hochkarätiges Bachfest vom 23. September bis 3. Oktober 2016 vor. Mitteldeutschland putzt sich – so scheint es – zur ganzjährigen Musikolympiade und lockt weltweit Kulturreisende. Auch gibt es noch viele kaum erschlossene Schätze und Karfunkelsteine, denkt man an Heinrich Marschner, Johann Adolf Hasse, Felix Draeseke, Carl Loewe und-und-und… - „Tu felix Saxonia!“

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