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Orchester © Marco Borggreve
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„Mesopotamia Symphony“ – Musik aus dem Zweistromland

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Fazil Say ist Pianist und Komponist, ein Brückenbauer der Kulturen. Vor der deutschen Erstaufführung seiner 2. Sinfonie durch die Dresdner Philharmonie hat er mit Beethoven überrascht. Als Wanderer zwischen Orient und Okzident könnte er den Dialog zwischen Ost und West fördern. Seine Bilanz allerdings klingt eher nüchtern. Umso lauter ist seine Musik über das Land zwischen Euphrat und Tigris ein hörenswerter Ruf nach Frieden.

In seiner „Mesopotamia Symphony“ nimmt er sein Publikum mit auf die Reise, entführt es nach Mesopotamien, ins Zweistromland. Dort rauschen Euphrat und Tigris, scheinen Sonne und Mond, ist die Menschheitsgeschichte bis nahe an ihre Anfänge heran zurückzuverfolgen.

Vor allem aber beschreibt Fazil Say in seiner zweiten, zehnsätzigen Sinfonie eine Kultur des Todes: „Ich erzähle nicht von der Geschichte, sondern von der Gegenwart aus dem heutigen Nahen Osten. Dieses Drama der Kriege, des Terrors, der Todeskultur. Die gibt es auch in der Tradition. Bestrafungen und solche archaischen Dinge, die sind übernommen worden von den Religionen.“ Aber natürlich bedeute Mesopotamien für den Künstler von heute auch „6000 Jahre Kultur, die Sumerer, das alte Babylon …, hier fängt die menschliche Geschichte an.“ Kriege und Terror allerdings auch. Macht, Staatssysteme, das alles hat in Mesopotamien seine Ursprünge.

Der Brückenbauer

Den 1970 in Ankara geborenen Künstler als Brückenbauer zu beschreiben, das ist keine Erfindung des Feuilletons, Fazil Say sieht sich auch selbst so: „Ich bin ein Brückenbauer zwischen den Kulturen. Wenn man die Kulturen als Feinde sieht, wie es unsere Regierung oft tut, wenn man andere Kultur nicht als Dialog sieht, sondern als Feind, da fängt der Kulturenkrieg an, der Gedankenkrieg. Das ist das Schlimmste.“

Er selbst ist mehr oder weniger westlich aufgewachsen, hat das Miteinander von Orient und Okzident hautnah erlebt. Diese Kulturen nun in ideologische Kämpfe zu verstricken, sei schädlich und dialogfeindlich. Gerade weil der Komponist in seiner Musik diese „Todeskultur“ des Nahen Ostens so gründlich beschreibt, sieht er sich umso mehr als Friedensbotschafter. Ausgerechnet damit macht er sich aber nicht nur Freunde, im Gegenteil. Eben erst hat er in seiner türkischen Heimat einen langwierigen Prozess ausgestanden, der ihn mit langer Haft bedrohte, weil er auf Twitter einen persischen Dichter zitiert hatte. Und Fazil Say weiß, dass ähnliche Dinge in Türkei an fast jedem Tag immer wieder geschehen, dass Akademiker, Künstler und Journalisten für ihre Meinungen im Gefängnis verschwinden. Das passe in unserer heutigen Zeit überhaupt nicht, gibt er sich überzeugt.

Freundschaft finden mit Mozart

In den vergangenen zehn Jahren sei in den islamistischen Parallelgesellschaften etwas gewachsen, das westliche Kultur nicht als Freund, sondern zum Teil sogar als Feind sieht und diese Kultur ablehnt. Gerade die Türkei sei vor etwa zehn Jahren viel weiter gewesen. Eine Überzeugung, die Fazil Say mit zahlreichen kritischen Beobachtern teilt. Man habe immer gedacht, dass die türkische Regierung Kulturbrücken und Dialoge suchen würde. „Die haben das nicht getan“, resümiert der Künstler. „Ganz im Gegenteil, wie man im Gezi-Park vor drei Jahren gesehen hat mit sehr vielen Toten. Da wurden die Wünsche und die Würde vieler Menschen mit Füßen getreten. Diese Regierung sucht wirklich kein Dialog.“

Man müsse Freundschaft finden mit Mozart und mit Picasso. „Wenn man das alles verneint, ja wie soll das dann sein?“ Entsprechend skeptisch blickt Fazil Say, dessen Musik während des Prozesses aus den staatlichen Konzertsälen seines Landes verschwand, auch auf den möglichen EU-Beitritt der Türkei: „Wenn wir keinen Dialog zwischen den Kulturen finden, hat das überhaupt keinen Sinn. Für Europa nicht und auch nicht für die Türkei.“

Wie so oft ist die Kunst da schon viel weiter. In seinen Konzerten verbindet Fazil Say regelmäßig Musik aus Orient und Okzident. „Wenn ich in einer anatolischen Kleinstadt Mozart, Beethoven oder Chopin spiele, ist das schon eine natürliche Brücke. Zum Teil hören die Leute dann zum ersten Mal ein klassisches Konzert. Da muss ich schon gut erklären, was diese Musik erzählt.“ Aber dann könne man sie auch sehr gut verstehen, hat Fazil Say wieder und wieder erfahren.

Mit der Deutschland-Premiere seiner vor vier Jahren in Istanbul uraufgeführten Mesopotamia-Sinfonie lag es nun am hiesigen Publikum, gut zuzuhören und zu verstehen, was dieses Werk von der geschundenen Wiege der Menschheit berichtet. Zuvor gab es, interpretiert von der Dresdner Philharmonie unter der musikalischen Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling, Beethovens „Egmont“-Ouvertüre sowie dessen 3. Klavierkonzert c-Moll.

Beethoven

„Egmont“, aus purer Liebe zum Dichter-Fürsten geschrieben, darf durchaus als widerständiges Werk gesehen werden. Beethoven hatte aus Goethes Trauerspiel ein triumphales Kleinod geschaffen, das Sanderling und die Philharmonie in reich schillerndem Farbspektrum aufblühen ließen.

Dass Fazil Say für seine Interpretation von Beethovens 3. Klavierkonzert c-Moll gar als Komiker wahrgenommen werden konnte – in bestem Sinne, versteht sich –, lag einerseits an der verwegen perfekten Spieltechnik des Solisten, andererseits an seiner schier kommentierenden Mimik. Was nicht bedeutet, Say wäre nicht tief eingetaucht in dieses so assoziationsreiche Werk. Wiewohl dem Preußen-Prinzen Louis Ferdinand gewidmet, der sich trotz romantischer Ader dem Militär hingab, ist diese Musik schicksalhaft menschlich. Say ging den Solopart mit federnden Tempi an, kostete alle rhythmischen Spielräume bis in den letzten Winkel hinein aus, ließ seine Läufe in den Orchesterklang einfließen und setzte dialogische Anschläge dagegen. Schier verwegen seine Kadenz im 1. Satz, die mit Beethovens Themen ein Feuerwerk ausrichtete, in dem schon mal anatolische Grüße zu hören gewesen sind.

Wie als Überleitung zur Mesopotamien-Sinfonie setzte Fazil Say sein Solo „Schwarze Erde“ als Zugabe für den begeisterten Applaus vor die Pause, in der man die Einsicht bewegte, dass ein Land, welches solche Künstler hervorbringt, wahrlich keine Politiker vom Schlage eines Erdogan verdient hat.

Musikalisches Abbild dunkler Epochen

Was danach aber zu hören gewesen ist, war nicht weniger als das musikalische Abbild dunkelster Epochen einer alles andere als idyllischen Landschaft. Die 2. Sinfonie ist Says Opus 38 (inzwischen ist er bei über 70 angelangt) und war ein Auftrag für das Musikfestival Istanbul 2011. Sie fügt sich quasi räumlich zwischen die 1. und 3. Sinfonie, die „Istanbul“ und „Universe“ betitelt sind.

In „Mesopotamia“ tauchen zwei Brüder, hörbar durch tiefe Flöten-Soli, in diese uralte Kulturlandschaft ein. Aller fast filmisch konkreten Anklänge zum Trotz ist dies aber kein launiger Reisebericht, sondern ein Wehklagen über die Angst und den Hass, über Krieg und Zerstörung in dieser Region. Selbst da, wo Fazil Says Satztitel scheinbar deutlich sind und „Über die Todeskultur“ oder „Über Krieg“ heißen, treten die Worte hinter der Musik zurück. „Tigris“ und „Euphrat“, „Sonne“ und „Mond“ sind keine Bildbetrachtungen, sondern Wege von Kummer und Leid, Zeichen von Licht und allertiefster Dunkelheit.

Einziger Hoffnungsschimmer ist der wortlos sangliche Klang des Theremin, den der Komponist wie eine symbolische Engelsfigur eingesetzt hat. Er glaube nicht an solche Wesen, bekennt er, wisse derzeit aber kaum noch, woher denn sonst eine Rettung für diese Region kommen soll.

„Mesopotamia“ tönt geradezu archaisch brutal vom Leiden der Menschen, verursacht vom menschlichen Willen – oder von deren Unvermögen, friedlich miteinander umzugehen. Diese Sinfonie ist eine erschütternde Anklage. Und ein schallender Ruf nach Frieden.

  • CD-Tipp: Fazil Say - „Mesopotamia Symphony“ / „Universe Symphony“, naïve V5346

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