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„Die Irrfahrten des Odysseus“, Szenenbild. Foto: Thomas Aurin
„Die Irrfahrten des Odysseus“, Szenenbild. Foto: Thomas Aurin
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Mit betont lässiger „Heutigkeit“ – Odysseus-Musiktheater von Ole Hübner in Berlin uraufgeführt

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Wer bisher die Homersche Odysse nicht kannte, kann jetzt in der Deutschen Oper Berlin Nachhilfeunterricht in antiker Mythologie nehmen. Mittels Trickfilm, Livevideo und performativem Spiel werden die wichtigsten Stationen des griechischen Epos um Odysseus, der als männliche „Lady Gaga“ charakterisiert wird, nacherzählt, respektlos, frech, salopp, cool, im Pennälerjargon eben: unter anderem die Episoden mit Polyphem, Circe, den Sirenen, Aiolus sowie die einsame Rückkehr des Helden nach Ithaka.

Anvertraut ist diese „Bildungsveranstaltung“ einer bunten Truppe von drei Schauspielern, fünf Musikern (Schlagzeug, Saxophon, Kontrabass, Keyboard und E-Gitarre) und der Hamburger Vokalperformerin Frauke Aubert, einer singenden Tiergeräuschimitatorin. Es handelt sich um eine Koproduktion mit dem Theater an der Parkaue. Mit Jakob Kraze und Johannes Hendrik Langer stehen zwei Mitglieder aus dem Parkauen-Ensemble zusammen mit dem Schauspieler Tom Quaas auf der Bühne, seinerseits ein künstlerischer Weggefährte von Harriet Maria und Peter Meining. Hinzu kommen die drei Improvisationsmusiker Nicola L. Hein, Alexander Dawo und Leif Berger, die im Jazz genauso zu Hause sind wie in der improvisierten zeitgenössischen Musik, mit Sebastian Berweck (Tasteninstrumente) und Ruth Velten (Saxophon) zwei „Local Heroes“ der Berliner Neuen Musik.

Das Odysseus-„Musiktheater für alle ab 10“ ist eine Mischung aus Lehrtheater im Brechtschen Sinne, Performance, Parodie, Travestie und Geschichtunterricht mit erhobenem Zeigefinger, aber betont lässiger „Heutigkeit“. iPad, Google und Skype werden durch den Kakao gezogen. Über Schule, Erwachsene und TV macht man sich lustig. Man gibt sich politisch (korrekt), denn die Geburt der Idee dieses Musiktheaters als billigere Alternative zu Hollywoodfilm und großer Oper im griechischen Restaurant (Olymp) wird mitgeliefert, zur Imageaufbesserung des durch die Schuldenkrise arg angeschlagenen Images Griechenlands.

Das ist nicht ohne Ironie und Witz. Und natürlich, die Moral von der Geschicht‘ für die Kids von heute muss sein, Odysseus war ein fragwürdiger „Held“, Haudegen und Totschläger. Er hat bekanntlich nach seiner Rückkehr sämtliche Freier, die seiner Gattin Penelope nachstellten, erschlagen. „Steht in der Odyssee“, so wird betont. „Das war damals eben so“. Heute müsse man das Ende des noch so berühmten Epos natürlich anders erzählen. Gesagt, getan: Die Textautoren und Regisseure Harriet Maria und Peter Meining stricken das Finale kurzerhand ins moralisch Unbedenkliche und Kindertaugliche um. Spätestens dann rutscht dem Inszenierungsteam das Projekt ins Betulich-Bemühte ab.

So didaktisch-geschwätzig das Ganze, so sophisticated ist die Musik des mit 90 Minuten deutlich zu langen Stücks. Der 1993 geborene Shootingstar unter den jüngsten Komponisten, Ole Hübner, der seine Band selbst leitet, wollte offenbar einmal zeigen, was er alles kennt und kompositorisch so drauf hat. Er präsentiert eine gekonnt eklektizistische Mischung aus Jazz, früher Madrigalkunst, Barockmusik, Rock und Pop, angereichert mit Alltagsgeräuschen, Synthesizerklängen, allerhand Tonverfremdungen und Lauten der besonderen Art. Das rein Illustrative, Narrative seiner Musik ist so treffsicher wie souverän geschrieben. Die Stilzitate quer durch die Musikgeschichte zeugen von Bildung und Talent. Doch seine finale, für eine fragwürdige Griechen-Pantomime komponierte Musik, mit der er demonstrieren zu wollen scheint, auch so etwas wie „moderne Oper“ schreiben zu können (über das Genre macht man sich zu Anfang der Aufführung lustig), aber auch seine Paraphrase von Isoldes Liebestod für Saxophon und Synthesizer wirken, mit Verlaub gesagt, draufgesetzt und verlängern die Irrfahrten des Odysseus nur unnötigerweise.

Dass die „Kleinen“ die Intelligenz dieser Musik verstehen oder goutieren können, muß bezweifelt werden. Die Begeisterung des jungen Zielpublikums, das bedauerlicherweise nicht so zahlreich wie erhofft zur Premiere in die Tischlerei der Deutschen Oper Berlin kam, hielt sich denn auch in Grenzen.

  • Premiere: 2. Oktober 2015 um 10 Uhr in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin
  • Weitere Vorstellungen: 3.10. um 16 Uhr, 5., 6., 7., 8., 9.10. um 10 Uhr, 11.10. um 16 Uhr, 12., 13., 14.10. um 10 Uhr; 2., 3., 4.12. um 10 Uhr und 6.12. um 16 Uhr

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