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Foto: Stephan Bögel
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Musiktheaterprojekt „Neuland Blomagal“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die Fragestellung, wie sich jemand fühlt, der in einem Land ankommt, dessen Kultur er nicht kennt und dessen Sprache er nicht versteht, wurde von 22 Geflüchteten und 22 Berliner Jugendlichen an der Deutschen Oper bearbeitet, als ein „Neuland Blomagal“ mit eigener, einfacher Sprache und ungewohnten Verhaltensweisen, in der Tischlerei begehbar installiert.

In der von den Regisseuren Martin G. Berger und Jonas Egloff erarbeiteten szenischen Collage bilden Klänge von Bassklarinette (Milian Vogel) und E-Gitarre (Niklas Tillmann) angereichert mit elektronischen Zutaten, die Klammer. In Gruppen eingeteilt, wird das Publikum durch drei Raumsegmente der Tischlerei geführt, wo es die Einwohner von Blomagal zu beobachten gibt, etwa bei Sportveranstaltungen mit ganz eigenen Regeln, bei den verkürzten Tag-Nacht-Phasen (nachts dürfen jeweils zwei der Dreierpaarungen schlafen, während der Dritte putzt) oder beim Musizieren auf mit Bögen gestrichenen, lang gespannten Plastikseilen unter der Tribüne. Die Wohneinheiten sind – wieder mal wie bei Lars von Triers „Dodville“ – auf den Boden gezeichnet, respektive abgeklebt (Ausstattung: Sarah-Katharina Karl). Einiges über die sonderbaren Gebräuche erfahren die Besucher durch einen vorproduzierten Film des einheimischen Fernsehens, „Blomagal TV“, in dem auch Dietmar Schwarz, der Intendant der Deutschen Oper Berlin, in einem Statement über guten diplomatischen Beziehungen zu Blomagal schwärmerisch zu Wort kommt.

Stühle stehen – das wurde schon in der kabarettistischen Einführung durch zwei erfahrene Reisende betont – in Blomagal für Häuser. Dieses Land wird in rascher Folge mit aleatorischem Einschlag monarchistisch regiert. Der neu gewählte König will ein Opernhaus bauen lassen; dafür sollen andere Häuser abgerissen, sprich: die Stühle umgeschichtet werden. Das setzt Aufregung, aber die Revolte wird unterdrückt, und die Oper wird erreichtet und bespielt. Eine Kurzoper, komponiert von Ketan Bhatti und Vivian Bhatti (die als ins Spiel integrierte musikalische Leiterin mit gewohnter Zeichensetzung dirigiert) wird dann – in 4 Akten – dargeboten. Sie ist in Reibung zur Tradition einerseits und im eigenen Anspruch durchaus der wichtigste Teil des Abends, wenn auch der optisch am wenigsten effektvolle. Eindrucksvoll sind die dafür zusätzlich gefertigten, experimentellen Instrumente (Stefan Roszak).

In der Blomagaler Real-Opernhandlung geht es darum, dass ein junger Ex-Berliner aus dem Neuland ausgewiesen werden soll, da er sich geweigert hat, im „Haus der freien Liebe“ zwei Partner zu finden; aber in Blomagal ist nur die Ehe zu dritt gestattet. Obendrein muss er auf das Eigentum eines mitgebrachten roten Tuches verzichten, denn diese Farbe ist in Blomagal religiös besetzt und verboten. Doch er gibt nach und heiratet zwei (männliche) Partner. Als Schlusspunkt des Abends gibt es ein großes Fest, auf den leeren Stufen der Tribüne der Tischlerei wirkungsvoll choreographiert von Johanna Jörns.

Zum Fest ist das Publikum an Biertischen und Bänken zu einem Festmahl eingeladen: rohe Zwiebeln, schokoglasierte Eiweißschneegebilde und Gurkenscheiben. Nicht alle Besucher der ausverkauften dritten Aufführung finden an den Tischen Platz, aber die stark pigmentierten Schaumküsse, deren klassischen Namen – insbesondere in diesem Rahmen – keiner der Anwesenden, im Gegensatz zu den Süßigkeiten selbst, in den Mund nehmen will, sind am schnellsten verschlungen. Dann finden partiell auch die Gurkenscheiben Abnehmer. Nur die ungeschälten Zwiebeln bleiben liegen, bereit für eine – noch nicht geplante – Wiederaufnahme der Produktion.

Ob noch mit knurrendem Magen oder gesättigt, die Blomagal-Touristen müssen das Land stillschweigend verlassen. Die Applausordnung wird draußen, vor dem Eingang zur Tischlerei, nachgeliefert. Dazu singen und tanzen die Jugendlichen vor dem zentralen Banner des Neulandes erneut die Nationalhymne von Blomagal.

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