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Foto: Nielz Böhme
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New York, Magdeburg – „Guys and Dolls“ an der Oper Magdeburg voraufgeführt

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Ein Musical ins reguläre Programm zu nehmen, birgt für ein normales Opernhaus, auch ohne Coronaeinschränkungen ein gewisses Risiko. Denn das Genre hat sich seine eigenen, durchkommerzialisierten Verbreitungswege geschaffen. Mit speziell errichteten Theatern für international vermarktete Blockbuster an ein paar ausgewählten Standorten im Land. Sogar mit einem Haus für ein Musical. Dazu eine treue Anhängerschaft, die die Preise, die dort gezahlt werden, weit weniger kritisch akzeptiert als die heruntersubventionierten Eintrittspreise in der Oper.

Dass man aus dieser Konstellation auch Kapital schlagen kann, hat die Magdeburger Oper bis jetzt jedenfalls, über viele Jahre mit ihrem jährlichen Musical vor der imponierenden Kulisse des Magdeburger Doms bewiesen. Die einzige unsichere Größe waren da das Wetter beziehungsweise genervte Anwohner.

Für die vorsichtige Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach dem jüngsten Lockdown, hatte das Haus eine unter Coronabedingungen fertig produzierte Inszenierung des Musicals „Guys and Dolls“ in der Warteschleife, die jetzt unter dem offiziellen Label Voraufführung auf die Bühne kam und dem hygienebedingt stark reduzierten Publikum präsentiert wurde. In Magdeburg durfte man wegen der reichlich bemessenen Abstände zwischen den besetzten Plätzen und der spürbar funktionierenden Klimaanlage dem Treiben auf der Bühne sogar ohne Mundnasenmaske folgen. 

Frank Loessers „Guys und Dolls“ hat sein Uraufführungsjahr 1950 und den Ort 46th Street Theatre New York in der der DNA der Musik und der Story. Und das hört und sieht man (vor allem auch in den Kostümen von Valerie Hirschmann). Dass aus dem Reklameschild für irgendeine Zigarettensorte Rauchwolken paffen, ist da noch das Harmloseste. Überhaupt wirkt die Geschichte so auf jugendfrei gespült, dass jeden Moment Doris Day vorbeischauen könnte. Die Aktivitäten der New Yorker Unterweltler beschränken sich aufs Wetten und Würfelspiel. Die Spieler haben Namen wie Benny Banana (Timothy Roller), Super-Super Johnson (Tobias Stemmer) oder Harry der Hengst (Frank Heinrich). Da das aber illegal ist, muss Veranstalter Nathan Detroit (Johannes Wollrab) dafür jedes Mal einen polizeisicheren Austragungsort organisieren und das Geld für die Miete auftreiben. Der eigentliche schwarze Fleck auf seiner Moralweste ist, dass er seine Langzeitverlobte Miss Adelaide schon vierzehn Jahre mit der versprochenen Hochzeit hinhält. Die lebenspraktische Clubtänzerin und Diseuse hat für ihre Mutter in der Zeit schon fünf Kinder mit dem angeblichen Ehemann erfunden.

Zwischen diesem - nun ja – recht harmlosen New Yorker Szene-Sodom-und-Gomorra marschiert die Heilsarmee auf und kämpft unter dem Kommando von General(in) Cartwright (Ulrika Bäume) ihren Kampf um die verlorenen Seelen der Sünder. Die Eroberung von deren schönstem Gesicht Sarah Brown (Susanne Seimel) wird zum Gegenstand einer Wette, zwischen dem smarten (erstaunlicherweise auch bibelfesten) Spieler Sky Masterson (Nicky Wuchinger) und seinen Kumpanen: Wenn er sie nicht zu einem Abstecher ins Nachtleben im (vorrevolutionären!) Havanna rumkriegt, dann zahlt er die Miete für die Garage, in der gespielt werden soll. Natürlich kriegt er sie nicht nur rum und macht mit ihr einen Abstecher ins karibische Nachtleben. Auch verlieben sich beide ineinander. Am Ende rettet die vorgeblich reuige Spielertruppe mit ihrer Anwesenheit bei einer Gebetsstunde die Station der Heilsarmee vor der drohenden Schließung wegen mangelnden Erfolgs. Für den kleinen emanzipatorischen Schlenker beim Doppelhappyend sorgen die beiden Bräute Adelaide und Sarah, die darauf hoffen, dass sie sich „ihre“ Männer schon hinbiegen werden, wenn sie sie erstmal geheiratet haben. So entschlossen wie beide daherkommen, haben sie da sogar eine Chance. 

Für diese familientaugliche Broadway-Legende nach Motiven von Damon Runyon hat Loesser eine schmissige Nummernfolge komponiert, die durchweg und ohne einen Durchhänger nach wie vor funktioniert. Auch die deutsche Textfassung von Christoph Wagner-Trenkwitz ist pointensicher und wird zudem mit tadelloser Wortverständlichkeit gesungen und gesprochen. So wie Götz Hellriegel das Ganze in Jürgen Kirners Bühnen-New York inszeniert und choreographiert hat, ist es ein maßgeschneiderter Blick auf die fünfziger Jahre bzw. die gängigen Klischees des Selbstbildes dieser Jahre im Film und auf der Bühne. Ohne den rückwärts gerichteten Korrektureifer was das Frauenbild oder den Tiefgang sozialer Analysen betrifft. Da Hellriegel ganz bewusst den historischen Abstand wahrt und damit spielt, erschließt sich das, was zeitbedingt ist, von selbst. Oder ist immer noch zum Lachen.

Das Ensemble wirft sich durchweg mit spürbarer Spielfreude ins Musical-Geschehen. Gesungen und gesprochen wird souverän. Bei den typenrecht besetzten Protagonisten sitzt jeder Song. Den umständehalber ausgedünnten Balletteinlagen merkt man das nicht an. Hellriegel überspielt die Beschränkungen gekonnt. Der Besetzungsclou des Ensembles ist freilich Franziska Becker, die aus jedem Auftritt ihrer Miss Adelaide ein Kabinettstück macht, das für sich funkelt! Nathan Bas liefert dazu mit der Magdeburgischen Philharmonie im Graben das richtige Tempo. Der zugelassene Teil des Publikums war begeistert. Man kann sich gut vorstellen, wie diese Produktion bei vollbesetztem Haus zündet.

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