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Szenenfoto: „Götterdämmerung“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
Szenenfoto: „Götterdämmerung“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
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Nothung hat völlig ausgespielt – „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen

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Beim gut viertelstündigen Applaus nach dem Ende des Premieren-Zyklus wog Frank Castorf in der für ihn bewährten Bayreuther Weise durch Ausharren vor dem Vorhang minutenlang ab, wer im heftigen Schlagabtausch von Pro und Contra, Buhrufern und trampelnden Applaudieren die Oberhand behalten würde. Die Zustimmung siegte knapp – aber umso heftiger und unangefochten für die Solisten und insbesondere für den Dirigenten Kirill Petrenko.

Für Festspielbesucher vergangener Dezennien bedeuteten die Fanfaren auf dem Dach des Königsbaus beim „Ring des Nibelungen“ stets eine Besonderheit. Das dreimal in unterschiedlicher Dynamik geblasene, komplette Walhall-Thema vor dem dritten Aufzug der „Götterdämmerung“ wurde von nahezu allen Besucher abgewartet, die den Fanfarenbläsern mit Applaus dankten, bevor sie sich auf den Weg ins Festspielhaus begaben. Die von der Festspielleitung angestrebte Erneuerung des Publikums hat leider auch ein neues Verhalten hinsichtlich der Fanfaren mit sich gebracht. Obgleich die Programmzettel weiterhin darauf verweisen, dass der „Beginn jedes Aufzuges 15 Minuten vorher mit einer, 10 Minuten vorher mit zwei und 5 Minuten vorher mit drei Fanfaren angekündigt“ wird, veranlasst möglicherweise der nachfolgende, jedoch nicht neue Hinweis, „Nach Beginn der Aufzüge kein Einlass!“ (in Lettern), das Gros der Besucher dazu, bereits nach der ersten Fanfare hektisch seine Plätze aufzusuchen. Wer einen mehr in der Mitte positionierten (und damit teureren) Platz hat, wird von der sonst klassenlosen Festspielkarteninhaber-Gesellschaft scheel angesehen oder mit unfreundlichen Kommentaren bedacht, falls er sich erst nach der zweiten oder sogar erst nach der dritten Fanfare auf seinen Platz zwängt. Der einzige Besucher eines Mittelplatzes, der sich in diesem Sommer unbeirrt verhielt, war der Philosoph Peter Sloterdijk mit seiner Gefährtin – aber möglicherweise haben Kommentare von Besuchern in seiner Reihe doch dazu geführt, dass er nach der Hälfte des „Ring“-Zyklus ausgeblieben ist.

So makellos wie die Fanfarenbläser spielte das Festspielorchester in diesem Jahr in der gesamten Aufführung der „Götterdämmerung“. Zügiger im Tempo als in den vorangegangenen Jahren, lotet Petrenko Höhen und Tiefen der Partitur aus, forciert die dramatischen Schärfen und lässt Schönheiten voll ausschwingen.

Glücklicherweise verfügt die Besetzung mit Stefan Vinke über einen Siegfried, der mit einem sehr sympathischen, differenzierenden Organ die Partie scheinbar spielend meistert, heldisch im Volumen und bravourös und sauber in den gefürchteten, von ihm nicht nur angestoßenen, sondern ausgehalten gesungenen Spitzentönen des zweiten und dritten Aufzugs. Deutlich weiter gewachsen ist in der Partie der Brünnhilde die weiche, dramatisch tragende Stimme von Catherine Foster, ab ihrer Hochzeit im goldern blitzenden Pailettenkleid. Auch Claudia Mahnke in den Partien der 2. Norn und der Waltraute als Wotans verlängerter Arm wirkt packender als im Vorjahr. Einen deutlichen Gewinn bringt die Neubesetzung des Hagen mit Stephen Milling, einem hünenhaften Bassisten, klar und sicher in Stimmführung und Text und mit profunder, klarer Tiefe. Der nächtliche Dialog mit seinem Vater wird zum Bass-Fest, denn die Neubesetzung Alberichs mit Albert Dohmen ist auch für die „Götterdämmerung“ ein Gewinn.

Genussvoll spielen und singen, weit von Rhein und Wasser entfernt, die Rheintöchter Mirella Hagen, Julia Rutigliano, und Anna Lapkovskaja; letztere gestaltet, mit deutlich anderer Stimmfärbung als die Floßhilde auch als 1. Norn. Allison Oakes als Gutrune und Alejandro Marco-Buhrmester als Gunther und Christiane Kohl als dritte Norn fügen sich ein in ein überdurchschnittliches Solistenensemble. Und der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor macht die Volksszene des zweiten Aufzuges zu einem klanglich und optisch nachhaltigen Erlebnis.

Allerlei Details und eine vielfach geänderte Kameraführung bei den zahlreichen Live-Projektionen verweisen auf intensive Weiterarbeit des Regisseurs Frank Castorf und seines Teams am Ergebnis der Vorjahre. So wirkt manches in der dichten Bilderfolge schlüssiger, anderes aber bewusst verunklart. Insbesondere die Diskontinuität der Zeitebenen sorgt bei den Besuchern weiterhin für Irritationen. Die Verpackungskunst á la Christo verweist am Spielort Berlin zunächst auf den Reichstag, enthüllt aber ist es die Front der New Yorker Börse als ein Ort, an dem auch Kunst als Tauschobjekt gewertet wird.

Siegfrieds besungenes Schwert Nothung hat völlig ausgespielt, als Derivat des Schwertes verweist Siegfried auf seine – ebenfalls in weiße Tücher verpackte – Kaleschnikow. Anstelle von Hagens Speer brechen Hagen und Siegfried zunächst Zaunlatten aus dem Abbruchsgelände von Berlin Mitte, dann spielt kurz doch ein Speer mit, aber Hagen erschlägt Siegfried schließlich brutal mit einer Eisenstange. Brünnhilde gibt Siegfried ihr Wissen in Form von kleinen Zetteln mit, und anstelle Granes erhält er eine Kinderpuppe. Der silberne Wohnwagen der Nibelungen ist offenbar kollektives Eigentum: Siegfried wohnt darin mit Brünnhilde, danach sucht sich dessen neue Braut Gutrune darin ein Kleid aus, in das sie sichtbar schlüpft, und in der darauf folgenden Szene mit Waltraute bewohnt, ist wieder Brünnhilde die Bewohnerin. Als Projektion beobachtet Wotans Gesicht, von Waltraute mit Pfeil und Bogen beschossen, den Bericht seiner Tochter. Ein Campingklappstuhl bricht unter Brünnhildes Last zusammen, aber die sorgt für Ersatz und beruhigt sich mit einigen Schlücken aus einem Flachmann.

Gutrune rührt den grünen Inhalt eines Fläschchens in Siegfrieds Vergessenheits-Bier. Als Siegfried, der sie umgehend begattet, an Gunther die Frage stellt, „Wie heißt deine Schwester?“, löst dies ebenso Lacher aus, wie die Enthüllung des Gutrune für den gelungenen Coup geschenkten Fahrzeugs, einer Isetta mit Fronteinstieg. Als Hagen über sie herfällt, muss Gutrune sich zur Wehr setzen, doch sie raucht, trinkt und poussiert auf der eigenen Hochzeit mit einem Fremden aus den Reihen des Volkes. Mit den Fähnchen der vier Siegermächte des 2. Weltkrieges gleichzeitig jubeln und winken sie und werden mit Bier und Döner abgefüllt. Aber im Gegensatz zur eigenen, ausgelassenen Saturiertheit kleben sie – in diesem Sommer erstmals – Flugblätter mit den Worten „Hunger“ und „Krise“ an die maroden Brandfassaden der Häuser.

Der Underdog und Alexanderplatz-Kellner aus dem „Siegfried“ (Patric Seibert) provoziert im Spot mit roter Fahne, stiehlt Wertgegenstände aus Gutrunes Pkw und bekifft sich in seiner Dönerbude mit einem ganzen Paket Mehl. Zu Beginn des dritten Aufzugs wird er blutüberströmt tot aufgefunden und von den Rheintöchtern in den Kofferraum jenes schwarzen Mercedes gepackt, den sie in der „Rheingold“-Handlung an der Golden Road von Wotan geklaut haben, der allerdings inzwischen kein Öl mehr hat. Dieses fließt hingegen aus einem von Hagen geschlagenen Leck einer Pyramide von Ölfässern vor der grellen Lichtreklame „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Der mit dem Nachwende-Signet der Buna-Werke übertünchte Hinweis auf die VEB leuchtet später dann doch wieder einsam in nostalgischer Verklärung: die Zeit läuft eben manchmal auch rückwärts. Rechtsgerichtete Plakate („Oma statt Sinti und Roma“) übersprüht Siegfried mit dem Anarchiesymbol, raubt aber umgehend einem Penner seine attraktive Partnerin und schlägt auf den Wehrlosen brutal ein.

Schlüssiger als in den Vorjahren erscheint die Flucht der Götter-Gegner der Neuzeit in den Irrationalismus von Voodoo-Zauber, den Bühnenbildner Aleksandar Denić als blutige Kult- und Schnaps-Weihestätte in die Nische einer Häuserwand gebaut hat.

Die hier bereits im Vorspiel wirkenden Nornen, die nebst vielen anderen Sakraldevotionalien seit diesem Sommer auch ein Seil mit sich führen, hat Adriana Praga Peretzki neu in Schwarz, Rot und Gold gewandet.

Dass bei dem mitreißend musizierten Trauermarsch der vorproduzierte Film mit dem durch den Wald laufenden Hagen-Darsteller der vorangegangenen Jahre projiziert wird, scheint mir selbst im Sinne eines Verfremdungseffekts als äußerst fragwürdig. Unverändert geblieben sind auch die vorproduzierten Videoprojektionen einer über den Erdboden kriechenden Spinne und die Fahrt des auf einem Schlauchfloß über das Wasser treibenden, überlebenden Hagen.

  • Die nächsten Aufführungen: 15. und 27. August 2013.

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