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Barbara Sukowa als Hildegard. Foto: Concorde Filmverleih
Barbara Sukowa als Hildegard. Foto: Concorde Filmverleih
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Ohne weibliche Spiritualität geht nichts: Margarethe von Trottas Hildegard-Film „Vision“

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Hildegard stirbt nicht. Zumindest nicht, wenn Margarethe von Trotta ihr Leben verfilmt. In der letzten Einstellung dieser mit modernen Mitteln erzählten Heiligenlegende lässt sie ihre Heldin noch einmal ganz neuen Aufgaben entgegenreiten. Bruder Volmar, Hildegard von Bingens einziger, emanzipationsphilosophisch gesehen, vorbildlicher Streiter unter all den traurigen Exemplaren einer durch und durch verkommenen Männergesellschaft, folgt ihr dann wie ein getreuer Sancho Panza.

Bist Du, Bruder Volmar dabei, wenn ich dem Männer-Machtkartell jetzt die „Leviten“ lesen werde? Und ob! antwortet der lernfähige Vorzeigemönch, indem er ein letztes Mal seinen ustinowschen Dackelblick hervorkehrt. Was soll da noch schiefgehen?

Hildegard sagt, wo’s langgeht. Und wer nicht so blöd ist wie all diese obrigkeitshörigen Äbte, wie diese erst machtgeilen, dann ziemlich hilflosen Schachfiguren im Ränkespiel der großen Politik, der hört und folgt Hildegard. „Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ ist ein Alterswerk der von Trotta. Voller Weisheit, voller geläutertem Feminismus. Der Film erlaubt sich diesen berührend-melancholischen Blick auf die Jugend, etwa wenn sich die Kamera in das Gesicht der achtjährigen Hildegard versenkt als sei es ein Gemälde von Vermeer.

Zu den schönsten, nachdenklichsten Bildern in diesem gesellschaftsutopischem Kostümfilm gehört die Szene, in der Hildegard und die Ihren das Kloster zu Disibodenberg verlassen. Zurückbleiben die bedröppelten Herren Benediktinermönche. Da hocken sie dann in ihrer Mensa und schauen so traurig, so geistverlassen aus ihrer Mönchskutte, dass es ein Erbarmen ist. Also will uns von Trotta sagen: Ohne spirituelle Weiblichkeit, ohne Hildegard wird es nichts mit der Welt. Eine Gesellschaft ohne Hildegard-Qualität, eine Gesellschaft ohne Spiritualität wie sie Hildegard hatte, ist hoffnungslos.

So klar damit das emanzipatorische Eros hervorscheint, filmisch muss von Trotta manche Hürden meistern. Hildegards Visionen beispielsweise. Wie kann man sichtbar machen, was niemand sehen kann? Grünewaldsche Lichtphantasien, kaleidoskopartige überblendet, wechseln mit den Seherinnenaugen in Nahaufnahme. Mit Barbara Sukowa bietet die Regisseurin zudem gewiss eine Hildegard auf, die mimisch und in allen Lagen schlichtweg überzeugend ist. Berückend das Outcoming, wenn die Gemeinschaft der Nonnen mit offenem Haar eine geistliche Singspielszene tanzt. Hannah Herzsprung gibt dabei die glühende Geistjüngerin Richardis von Stade und Heino Ferch einen wunderbar platonischen Liebhaber Bruder Volmar. Bis in die Nebenrollen ist dieser postfeministische Identifikationsfilm exzellent besetzt.

Und die Musik? Sie begleitet, gibt Atmosphäre. Maria Jonas und Ars Choralis sorgen für stimmungsvollen soundtrack. An zwei Stellen wird Salome Kammer etwas zwanghaft in die Szene geschmuggelt. „Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ ist durch und durch Film, in der sich die Musik bewegen muss wie das „Buch zum Film“. Oder eben wie Hildegard, die sich so wunderbar offensiv-subversiv in einer Männergesellschaft behauptet, deren Götzen noch nicht die Opel-, sondern die Seelenrettung gewesen ist, wozu Afghanistaneinsätze respektive Jerusalem-Kreuzzüge selbstredend dazugehörten.

Wir sollten davon lassen. Wir sollten, wie Bruder Volmar, mit Hildegard gehen. Dann wird alles gut.

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